Unbegleitete Minderjährige in Pozzallo: Seit Wochen im Hotspot
Die letzte Anlandung im Hafen von Pozzallo geht auf den 24. Februar dieses Jahres zurück. 313 Migrant*innen sind an Bord der Diciotto, einem Schiff der Küstenwache, angekommen. Unter ihnen befanden sich 33 unbegleitete Minderjährige, die sich zu den Vielen hinzu addieren, die in den vergangenen Tagen angekommen sind; es war eine Woche, in der es eine Abfolge von zahlreichen Ankünften gegeben hat.
Vor mehr als 10 Tagen haben wir einige der erwachsenen Migrant*innen getroffen, die im Hotspot „beherbergt“ werden. Sie gingen in Richtung des Zentrums von Pozzallo, mit der Erlaubnis sich morgens und nachmittags von der Einrichtung zu entfernen. Wir sprachen mit ihnen und sie monierten, dass der eine sich seit 9, ein anderer sich seit 14 Tagen in der Einrichtung befindet. Wir erfahren, dass sich im Zentrum auch zahlreiche Minderjährige und Frauen befinden, die sich den Schlafsaal mit Männern und Erwachsenen teilen. Wir erinnern daran, dass die Migrant*innen nach dem Gesetz höchstens 72 Stunden im Hotspot verbringen sollen; vor allem die besonders Schutzbedürftigen und die Minderjährigen sollen so kurzfristig wie möglich in geeignete Einrichtungen verlegt werden.
Besorgt über die erhaltene Nachricht verlangen wir Informationen zur Anwesenheit von unbegleiteten Minderjährigen von den verschiedenen Organisationen, die mit verschiedenen Funktionen und Mandaten im Hotspot beschäftigt sind. UNHCR, Terres des Hommes und Save the Children bestätigen die Anwesenheit einer hohen Zahl von unbegleiteten Minderjährigen, die bei etwa hundert liegt. Sie erklären, dass sie schon seit langem entsprechende Empfehlungen zwecks ihrer unverzüglichen Verlegung eingereicht hätten. Diese hätte schon seit Tagen stattfinden sollen. Inzwischen haben wir Gelegenheit, mit den Mitarbeitern verschiedener Erstaufnahmezentren der Provinz zu sprechen, die uns eine erhöhte Anwesenheit von Jugendlichen im Hotspot bestätigen und ein allgemeines Klima der Unduldsamkeit. Dies sei dem verlängerten Aufenthalt der unbegleiteten Minderjährigen geschuldet und vor allem der Unmöglichkeit hinauszugehen, nicht aus den Toren der Einrichtung und nicht einmal in den eingezäunten Hof, der sie umgibt. Die Sache alarmiert uns, aber überrascht uns leider nicht, weil es eine Praxis ist, die wir des Öfteren im ehemaligen CPSA* von Pozzallo feststellen konnten. Eine sehr schwerwiegende und unbegründete Einschränkung der persönlichen Freiheit zu Lasten der unbegleiteten Minderjährigen, die per Gesetz Anrecht auf höheren Schutz haben. Diese Einschränkung bemerken wir seit Jahren und sie setzt sich in nicht akzeptabler Weise fort.
Um nur einige vorhergehende Fälle zu nennen: Im September 2014 waren ca. 40 Jugendliche, nicht nur ägyptischer Nationalität, fast 15 Tage im ehemaligen CPSA* untergebracht, denen es nicht einmal erlaubt war, sich in den Hof der Einrichtung zu begeben. In diesem Fall handelte es sich um Jugendliche, die schon seit Monaten im Land waren; sie wurden wieder ins CPSA zurückgeschickt, nachdem sie Wochen in einer städtischen Turnhalle verbracht hatten. Diese war zu einer „Not“-Erstaufnahme umgerüstet worden, um den unbegleiteten Minderjährigen einen Ort zu bieten, an dem sie getrennt von den Erwachsenen wohnen konnten. Nachdem die Sporthalle wieder für die normale Nutzung geöffnet wurde, wurden die Minderjährigen in den Hangar zurückgebracht; von hier aus konnten sie nichts anderes tun als zu beobachten, was hinter der Glastür der Einrichtung geschah. In den Hof hinauszugehen, der damals wie heute durch ein Gittertor verschlossen war und von den Ordnungskräften bewacht wurde, wurde ihnen aus Sicherheitsgründen nicht gestattet. Die Rechtfertigung, die von den Institutionen gegeben wurde, scheint surreal und inakzeptabel. Sie erklärten diese Haltung mit einem vermeintlichen Schutz der Minderjährigen, während es sich doch um eine offensichtliche Verletzung ihrer Rechte handelt, wenn diesen Personen nicht einmal eine Stunde „Freigang“ vergönnt ist. Sie haben sich keiner Straftat schuldig gemacht, doch sie hatten das „Pech“, geboren zu sein und sich jetzt am falschen Ort zu befinden. Geschichten dieser Art wurden uns auch im ganzen Jahr 2015 von unterschiedlichen Jugendlichen erzählt, die wir in den Aufnahmeeinrichtungen in ganz Sizilien kennengelernt haben. Wenn sie von ihrer Ankunft in Pozzallo sprechen, sagen viele: „ Die brutalste Sache war, dass wir nicht einmal in den Hof gehen durften. Wir „Kinder“ mussten immer in der Einrichtung bleiben, auch wenn wir zu vielen waren und es keinen Platz gab, sich zu bewegen. Sie ließen uns Fußball spielen, aber immer nur drinnen, es fehlte wirklich die Luft zum Atmen.“ Oder auch: „Als ich in Pozzallo angekommen bin, haben sie mir gesagt, dass ich sofort verlegt würde. Inzwischen kann ich nicht einmal mehr einen Fuß vor die Tür setzen, und wenn ich eingeschlossen bin, geht die Zeit noch langsamer vorüber. Ich habe gedacht, auch in Italien ist es besser, niemandem zu vertrauen.“
Wir könnten noch zig ähnliche Fälle auflisten, für die die Institutionen immer die Rechtfertigung der „Notfallhaftigkeit“ des Falles gefunden haben. Genauso wird auch die Unmöglichkeit gerechtfertigt, eine Verlegung in angemessener Zeit durchzuführen, weil im Land verfügbare Plätze fehlen. Eine Angabe, die schwer zu verifizieren ist, denn wir sprechen von ganz Italien. Aber dies rechtfertigt nicht die seit Jahren erfolgende Verletzung der Rechte der besonders Schutzbedürftigen, zu denen die unbegleiteten Minderjährigen gehören. Und das führt zu möglicherweise explosiven Bedingungen des erzwungenen Zusammenlebens am Limit des Erträglichen. Wie viele alternative Lösungen hätte man in der Zwischenzeit finden können?
Inzwischen vergehen die Tage und wir kehren zurück, um uns nach der Situation der Jugendlichen im Hotspot zu erkundigen und wir hoffen, dass das Versprechen der Verlegung eingehalten wurde. Das Team von Terres des Hommes, von dem wir wissen, dass es im Hotspot wirkt, erklärt uns, dass es nicht autorisiert sei, uns Informationen zu geben. Save the Children sagt uns, dass sich noch gut sechzig unbegleitete Minderjährige im Zentrum befinden und dass weiterhin daran gearbeitet wird, die Verlegung zu beschleunigen und diese wahrscheinlich in wenigen Tagen vonstattengeht. Soviel hat uns auch das UNHCR mitgeteilt, sie informieren uns auch über die Chance, dass die unbegleiteten Minderjährigen in diesen Tagen in kleinen Gruppen in den Hof gelassen werden. Nichts Neues also, außer der Fortsetzung der Rechtsverletzungen und der Einschränkung der Freiheit.
Auf der einen Seite festgehalten, auf der anderen Seite abgeschoben: Im Gegensatz zur oben beschriebenen Situation werden in der Provinz von Agrigent und Messina viele unbegleitete Jugendliche, die offensichtlich minderjährig sind, ständig als Erwachsene registriert und sogar schon Ablehnungsbescheide erhalten haben. Ein Phänomen, das, wie es der Zufall will, ansteigt, seitdem die meisten Aufnahmezentren, die sie beherbergen sollten, voll belegt sind. Der Schutz des Wohls und der Respekt vor den Gesetzen scheint also in Italien keine Priorität zu haben, nicht einmal für die besonders Schutzbedürftigen.
Viele Jugendliche und junge Männer, die ihr Leben riskiert haben, um hier anzukommen, werden sich sicher nicht an die Fotos erinnern, die zuhauf von ihnen geschossen wurden, um die eigene Aufnahmefähigkeit zur Schau zu stellen oder um die öffentliche Meinung zu gewinnen, um Mittel zu sammeln. Aber sie werden nicht ohne Weiteres die langen Wartezeiten vergessen, in denen sie glaubten, noch einmal durchzudrehen, ohne spüren zu können, wie der Wind auf der eigenen Haut weht und sich endlich frei zu wähnen.
Ach, das haben wir vergessen: Die in Pozzallo seit Wochen weggeschlossenen unbegleiteten Minderjährigen sind heute verlegt worden. Uns scheint das kein Zufall zu sein, dass die Wiedereinführung der Rechtmäßigkeit mit der Ankunft von fast 900 Personen in Ostsizilien zusammenfällt, die den Hotspot von Pozzallo passieren müssen. Geht es um den Bedarf an verfügbaren Plätzen oder um den Schutz des übergeordneten Interesses des unbegleiteten Minderjährigen?
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
*CPSA – Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber