Warum das Schiff von Proactiva freigegeben wurde – Der Richter: „In Libyen gibt es noch keine sicheren Häfen.“
Von Meridionews.it – In der Verfügung, in der der GIP* den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen hat, wird unterstrichen, dass die Vorwürfe in einem Kontext voller Ungewissheiten zu verorten sind. Für den Richter handelt es sich im Augenblick nur um einen „Ungehorsam gegenüber Anweisungen“. Wenig um einen Tatvorsatz festzustellen, insbesondere, wenn man die wenigen Garantien in Betracht zieht, die von den libyschen Behörden geliefert werden.
Unabhängig von der Existenz einer eigenen SAR*-Zone und unabhängig von dem Engagement Italiens, eine libysche Küstenwache auszubilden, erfüllt das nordafrikanische Land im Augenblick nicht die Mindestvoraussetzungen, um einen Place of safety (Pos) anzubieten. Das ist der wichtigste Abschnitt in der Verfügung, mit der der GIP* des Gerichts in Ragusa, Giovanni Giampiccolo, den Antrag auf Bestätigung der Beschlagnahme des Schiffes der spanischen NGO Proactiva zurückgewiesen hat. Dieser war zuvor vom Leiter der Staatsanwaltschaft Fabio D’Anna und Staatsanwalt Santo Fornasier gestellt worden. Der Richter hatte sich dazu geäußert, nachdem die Untersuchungsakten von Catania an Ragusa übergeben worden waren und nachdem die Anklage wegen krimineller Vereinigung fallen gelassen worden war; diese Anklage wurde von den Staatsanwälten aus Catania, in Folge der Ereignisse des 16. März auf dem Mittelmeer, unterstützt. Als das Schiff mehr als 200 Migrant*innen gerettet hatte, die sich auf einem Schlauchboot befanden, in Auseinandersetzung mit dem Personal der libyschen Küstenwache.
„Die Rettungseinsätze enden nicht im reinen Bergen von Migrant*innen auf dem Meer, sondern müssen mit der Anlandung an einem sicheren Ort abgeschlossen werden, wie es in der SAR*-Konvention, die 1979 in Hamburg unterzeichnet wurde, vorgesehen ist“, schreibt der GIP*. Weiterhin stellt er klar, dass auf der Grundlage der Resolution, die vom Ausschuss für Sicherheit im Seeverkehr 2004 angenommen wurde, unter einem sicheren Ort ein Platz zu verstehen ist, wo das Leben der Personen nicht mehr bedroht ist. Das kann aber nicht von Libyen behauptet werden. „Angesichts der Informationen, die zur Zeit zur Verfügung stehen und die Libyen noch als einen Ort beschreiben, in dem schwere Verletzungen der Menschenrechte vorgehen; Personen, die in überfüllten Gefangeneneinrichtungen untergebracht sind, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung oder angemessener Ernährung, und Misshandlungen, Vergewaltigungen und Zwangsarbeit ausgesetzt sind“, unterstreicht Giampiccolo, „Es gibt keine Beweise dafür, dass man in Libyen oder in Teilen des libyschen Territoriums zu einer akzeptierbare Lage gekommen ist, was den Schutz der auf See geretteten Migrant*innen betrifft.“
Diese Bedenken sind von solch einer Bedeutung, dass sie die Tatsache, dass es bei der Vorgehensweise der NGO Schritte gab, die nach Meinung des GIP* als „Ungehorsam gegen Anweisungen der Behörden, die der Koordinierung der Rettungen übergeordnet sind“ interpretiert werden, zweitrangig wurde. In seiner eigenen Rekonstruierung hebt der Richter hervor, dass, in seinen Worten, die NGO die Rettungsaktion zu Ende gebracht hat, obwohl ihr von der Operationszentrale der italienischen Küstenwache kommuniziert worden war, dass die Libyer die Einsatzkontrolle übernommen haben. Die italienische Küstenwache ihrerseits ist von dem Schiff Capri der italienischen Marine benachrichtigt worden, das im Rahmen der Operation Nauras die Beziehungen zu den nordafrikanischen Seebehörden verwaltet.
Dem Richter zufolge sind Elemente, um die Beschlagnahme der Open Arms anzuordnen, auch in den darauffolgenden Ereignissen nicht zu finden. Das heißt, als sich das Schiff der maltesischen Küste genähert hat. Die kleine Insel südlich von Sizilien kommt in dieser Geschichte in dem Augenblick ins Spiel, als das Personal der ONG begreift, dass es dringend nötig ist, eine Neugeborene mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen an Land zu bringen. Die maltesischen Behörden – normalerweise nicht bereit, Migrant*innen aufzunehmen – erklären sich bereit, die Kleine und ihre Mutter zu übernehmen und schicken eines ihrer eigenen Schnellboote für die Übernahme. An diesem Punkt, als das Kind in Sicherheit ist, entscheidet der Kapitän des Schiffes, Marc Reig Creus – der gemeinsam mit der Einsatzleiterin Ana Isabel Montes Mier beschuldigt wird – ohne Malta um Aufnahme zu bitten Richtung Sizilien weiterzufahren und bekommt von der italienischen Küstenwache das OK, im Hafen von Pozzallo anzulegen. Für die Staatsanwälte der Ätnaregion, angeführt von Carmelo Zuccaro, stecke hinter dieser Entscheidung der klare Wille, den Zugang der Migrant*innen zu unserem Land zu begünstigen. Wohingegen sich die Entscheidung nach Meinung der Rechtsberater*innen der Nichtregierungsorganisation allein aus der mit der Zeit gereiften Erfahrung ableitet.
Der GIP* von Ragusa bestätigt seinerseits auf der einen Seite, dass die Tatsache, dass Malta nie eine Vorreiterrolle in Sachen Aufnahme gespielt hat, „nicht mit sich bringt, dass man in jedem dinglichen Fall von einer automatischen und selbstverständlichen Verweigerung der Hilfe ausgehen darf“; er impliziert damit de facto, dass Proactiva eine Annäherung hätte versuchen können. Auf der anderen Seite gibt er zu, dass es Elemente der Unsicherheit gibt, die es schwierig machen, vorsätzliches Handeln zu erkennen. Zu diesen Unsicherheiten rechnet Giampiccolo die nicht ratifizierten Verbesserungen der Übereinkommen SAR* und SOLAS*, die dem Thema im Blick auf die Erkennung der place of safety Zügel anlegen, aber auch die Kenntnis der italienischen Behörden selbst – angefangen bei der italienischen Küstenwache – dass Valletta bis heute nie ein wirklicher Partner in der Verwaltung der Migationsströme gewesen ist.
Simone Olivelli
*GIP – Guidice per le indagini preliminari – Richter für vorläufige Untersuchungen
*SAR – Search and rescue – Suche und Rettung
*SOLAS – International Convention for the Safety of Life at Sea – Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber