Free Open Arms und Iuventa. Keiner darf mehr in die libysche Hölle zurückgewiesen werden
Aufruf der Antirassistischen Organisationen Siziliens
Wir brechen das Schweigen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Untergang der Menschenrechte. Wir rufen zu Kundgebungen in ganz Italien auf mit der Forderung die Seenotrettungsschiffe Open Arms und Iuventa freizugeben und den Präfekturen folgenden Aufruf schriftlich zu übergeben:
Das Rettungsschiff der NGO Open Arms ist immer noch im Hafen von Pozzallo festgesetzt, ebenso das Rettungsschiff Iuventa der NGO Jugend Rettet im Hafen von Trapani. Jeder Tag, an dem die Rettungsschiffe in den Häfen stillstehen, ist ein Todesurteil für Hunderte von Menschen, die ertrinken oder in die Hölle Libyens zurückgebracht werden.
Der Vorwurf ist im Grunde immer derselbe: Die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer. Hinzu kommt im Falle der Open Arms sich geweigert zu haben, dem Tode entrissenen Menschen der libyschen Küstenwache zu übergeben, dessen Verhalten die Vereinten Nationen als „waghalsig und gewalttätig“ bezeichneten. Die Anklage wird von sizilianischen Staatsanwaltschaften erhoben, die einen offenen Krieg gegen die Solidarität zu führen scheinen, als ob dies das kriminelle Problem Italiens wäre.
Auf See bleiben nur sie übrig, die Libyer, die flüchtende Kinder, Frauen und Männer zurückbringen und in Zentren einsperren, die in dem vom ehemaligen Premierminister Paolo Gentiloni und Al Serraj – einer der libyschen Führungsköpfe – unterzeichnetem Memorandum als „Aufnahmezentren“ bezeichnet werden und von UNO-Hochkommisar für Menschenrechte hingegen als „inakzeptabel“ beschrieben, denn: „Das Leiden von den in Libyen festgehalten Menschen ist eine Schmähung des menschlichen Bewusstseins“.
Wir leben in einer verkehrten Welt, in der die italienische Regierung mit Zustimmung der Europäischen Union Abkommen mit einem Land schließt, das von Milizen und Mafien beherrscht wird, denen tausend wehrlose Menschen überlassen werden; in der diejenigen, die sich Tag für Tag für die Rettung von Menschenleben einsetzen, angeklagt und somit in die Lage versetzt werden, dies nicht mehr tun zu können.
In ganz Italien, von den Alpen bis zum Mittelmeer, wird der Angriff auf die Solidarität immer stärker.
Wie Piero Calamandrei 1965 die Frage stellte, als er Danilo Dolci verteidigte, schuldig dessen, mit friedlichen Mitteln für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, fragen wir heute: Wo ist das Verbrechen, worin besteht es, wer hat sich seiner schuldig gemacht? Was haben diese Angeklagten Schlechtes getan? Inwiefern haben sie gegen gesellschaftliche Solidarität und gegen die zivile Pflicht zum Altruismus verstoßen?
Wir fragen uns, worin das Verbrechen liegt, wer die wirklichen Verbrecher sind. Wir erinnern daran, dass der Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zur Stunde in Bezug auf mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen ermittelt. Wir erinnern daran, dass Italien für diese Verbrechen direkt und unmissverständlich Verantwortung trägt: Zwar sind es keine italienischen Schiffe, auf denen die Menschen in diese entsetzliche Lage zurückgedrängt werden, aber Italien hat sie bezahlt und die Soldaten ausgebildet, die sie verwenden. Zwar sind die Folterknechte in den libyschen Zentren keine Italiener, doch handeln sie im Einvernehmen mit denjenigen, mit denen Italien Abkommen geschlossen hat, und denen im Grunde folgendes gesagt wurde: Behaltet die Migrant*innen, um jeden Preis; macht mit ihnen, was ihr wollt.
Mit diesem Aufruf fordern wir die italienischen Politiker*innen, die Richter*innen und alle Bürger*innen auf, eine einfache Frage zu beantworten: Seid ihr einverstanden, möchtet ihr Komplizen einer Politik sein, die im Mittelmeergebiet unmittelbar Folter, Vergewaltigungen, Versklavungen und Tötungen zur Folge hat? Wofür seid ihr gewillt, diesen Preis zu zahlen? Seid ihr Komplizen, die einer nicht vorhandenen Invasion Glauben schenken? Komplizen derer, die Migrant*innen ausnutzen, um auf Angst und Verbreitung von Rassismus ihre Karriere aufzubauen, und um die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen der Menschen abzulenken, die die Arbeit und das Einkommen, das privatisierte Gesundheitswesen und privatisierte Schulen, Armut und dauerhaft zunehmende Ungleichheit betreffen? Was hat Migration mit alldem zu tun? Wie können uns das Zunichtemachen der Menschenrechte und die Legitimierung einer Wut- und Hassgesellschaft dabei helfen ein besseres Leben zu führen?
Wir brechen das Schweigen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Untergang der Menschenrechte.
· WIR FORDERN Rechenschaft darüber, was unter Missachtung internationaler und europäischer Abkommen, unter Missachtung unseres Grundgesetzes, des Seerechtes, und überhaupt der sogenannten europäischen Rechtskultur geschieht
· WIR FORDERN mit Nachdruck die sofortige Freigabe der Schiffe Open Arms und Iuventa
· WIR FORDERN die sofortige Auflösung des Abkommens zwischen Italien und Libyen
· WIR FORDERN legale und sichere Wege nach Europa.
Aus Sizilien startet der Aufruf, am Samstag, den 14. April, vor den Präfekturen ganz Italiens Kundgebungen zu organisieren, um den Vertreter*innen der italienischen Regierung im ganzen Land diesen Brief und unsere Forderungen zu übergeben.
Die antirassistischen Organisationen Siziliens
Arci Palermo, Artemigrante Palermo, Associazione Onlus LAB.ZEN 2, Borderline Sicilia, Borderline-Europe, Caffè Internazionale, Centro Salesiano S. Chiara, Ciai Palermo, CISS/Cooperazione Internazionale Sud Sud, CLEDU- Clinica Legale per i diritti umani Università di Palermo, Comitato Antirazzista Cobas Palermo, Cooperativa Libera…mente, Emmaus Palermo, Forum Antirazzista di Palermo, Giocherenda, Gris Sicilia, H.R.Y.O./Human Rights Youth Organization, Idee in movimento, Laici comboniani Palermo, Le Onde Onlus, Missionari comboniani Palermo, Rifondazione Comunista – Palermo, Sinistra Comune, Stato Brado
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanna Karasz