Dutzende Leichen an den Libyschen Stränden. Und in Pozzallo wird die Leiche eines weiteren Opfers der Meeresüberquerung angespült.
Am 23. Juli berichten die Medien über vierzig Leichen, welche das Meer an den libyschen Strand von Sabrata gespült hat. Eine Zahl, die im Lauf der Woche noch weiter steigen sollte. Am Wochenende sind es gut 87 Leichen, die an besagtem Strand geborgen wurden.
Sabrata ist einer der Orte, von denen aus Geflüchtete die Fahrten über das Mittelmeer in Richtung Italien antreten: Reisen, die von der Gewissheit des Todes und der Hoffnung auf Ankunft begleitet werden. In der vergangenen Woche waren es 39 Geflüchtetenleichen, die bei Seenotrettungsmaßnahmen in Trapani und Vibo Valentia geborgen wurden. Ein tägliches Massaker, das in der Gleichgültigkeit der Menschen unterzugehen scheint.
Europa und Italien wenden hastig den Blick von diesen Tragödien ab, wodurch der Weg für weitere Todesfälle geebnet wird. Gleichzeitig wird dem Bau von immer höheren Mauern und der Errichtung von immer strengeren Grenzkontrollen stattgeben. Auch heute noch zwingt das Europa der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten Menschen dazu, ihr Leben zu riskieren und fördert damit das Schleppergeschäft, welches es vorgibt zu bekämpfen. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen dominieren noch immer über die Achtung der Menschenrechte und die Berichterstattung über Todesfälle in den Zeitungen bringt diese weder mit der verfehlten Flüchtlingspolitik, noch mit einem fehlenden Zugang zum Rechtssystem für Geflüchtete in Verbindung.
In der Zwischenzeit sterben die Geflüchteten weiter. Derjenige der die Wüste, die Ausbeutungen, die Folter und den Freiheitsentzug überlebt hat, bevor er in See sticht, wird oftmals hier vom Tod eingeholt. Gestern Morgen ist im Hafen von Pozzallo der Körper eines jungen Sudanesen angespült worden, der seine Reise zusammen mit hunderten Schicksalsgenossen vor mehr als einer Woche angetreten hatte. Eine Reise, die an der ägyptischen Küste begann und 11 Tage dauerte, verbunden mit viel Leid und Problemen, was auch an dem kritischen psychischen und physischen Zustand ablesbar ist, in welchem sich die meisten Ankömmlinge befinden. Viele stammen aus dem Sudan, aus Ägypten, Eritrea, Somalia, aus Palästina, Gambia und von den Komoren.
Viele sind sehr jung, 16 diejenigen, die als unbegleitete Minderjährige registriert werden. Obwohl sie nach Tagen des Hungerns von den Rettungskräften gefunden wurden, berichten sie, dass sie auch an Bord der maltesischen Patrouillenboots Hunger und Durst zu erleiden hatten. Sie kommen sichtbar erschöpft an den Landungsstegen des Hafens an, können sich aber nicht den überstürzten Registrierungsmaßnahmen entziehen. Einige überkommt starkes Unwohlsein, während sie unter der brennenden Sonne auf den Bus warten, der sie zum Hotspot bringen soll, wo sich bereits 40 Migranten aufhalten und wo sie wohl noch weitere Zeit werden warten müssen, bevor sie Essen erhalten werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass schwerwiegende Verspätungen in der Essensausgabe, auch bei Kindern festgestellt werden. In einem so kritischen Moment wie dem Transport zum Hotspot wäre auf die prekäre Situation der Geflüchteten eine schnelle und aufmerksame Antwort erforderlich.
Aber die minimalen Leistungen und die Defizite bei Finanzierung und Betrieb in den Hotspots bleiben bestehen und während sich der Bürgermeister von Pozzallo über Vernachlässigung seitens der Institutionen beklagt und Politikern die Tür verschließt, werden in der Provinz von Siracusa neue Aufnahmezentren (CAS) eröffnet, bereit bis zu 50 Personen aufnehmen zu können.
Eine unendliche Odyssee der Geflüchteten, die dazu gezwungen sind, sich den Schleppern, den Gefahren der improvisierten Reisen über das Meer, den Journalisten auf der Jagd nach Sensationsmeldungen und den Fragen der Polizeibeamten auszuliefern. Die einzigen Spuren, die von dieser Ankunft in den Zeitungen zu finden sein werden, werden sehr wahrscheinlich die Fotos der zwei mutmaßlichen Schlepper sein, welche, die Polizei schnell ausgemacht hat. Zeitgleich aktualisieren die Beamten umgehend die steigende Zahl von Festnahmen in der Provinz von Ragusa.
Kurze, eindringliche Begegnungen ohne angemessene Übersetzungen, überstürzte Fragen und falsche Meldeaufzeichnungen: alles was wir von Erzählungen von Geflüchteten wissen, lässt mutmaßen, dass die Zukunft von Menschen die dem sicheren Tod entkommen sind, sich in dem kurzen Augenblick der Ausschiffung entscheidet, wo rechtliche Garantien und Schutz nichtig zu sein scheinen.
Die Scheinwerfer zielen in eine andere Richtung und stellen den Prozess der Wiederaneignung des eigenen Körpers und der eigenen Autonomie, der den Neuankömmlingen zusteht in den Schatten. Vielleicht schaffen sie es uns eines Tages daran zu erinnern, dass noch eine zweite Erzählweise von den aktuellen Geschehnissen existiert, sowie die Notwendigkeit ein korruptes, gewaltsames und todbringendes System, welches ihre Leben bestimmt, zu ändern.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Giulia Coda