Die erschöpfende Konfrontation mit dem Unterbringungssystem, von Verlegungen und dem Verlust von Vertrauen in die Institutionen. Die Erfahrungen einiger in Ragusa untergebrachter Migranten

In der Provinz von Ragusa setzen sich in der
Erwartung von neuen Ankünften die Verlegungen von Migranten fort. Bis heute
sind im C.P.S.A. (Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten
Hilfe und Erstaufnahme) von Pozzallo 150 Menschen geblieben, um den
Identifizierungsprozess abzuschließen, sowie 70 weitere im außerordentlichen
Aufnahmezentrum von Comiso.

In
der Zwischenzeit müssen die Migranten, die es bereits geschafft haben den Weg
für die Erlangung des internationalen Schutztitels einzuschlagen, sich täglich mit
den Widersprüchen und „schwarzen Löchern“ des Unterbringungssystems
auseinandersetzen und haben immer mehr Mühe, in dieses zu vertrauen. Unter
diesen Migranten sind auch welche, die im Erstunterbringungszentrums von Ragusa
untergebracht sind, verwaltet von der Kooperative Arc.En.Ciel., seit Jahren ein
Bezugspunkt für die linguistische und kulturelle Mediation in der Provinz.

Ich
erreiche die Einrichtung in den frühen Stunden eines sehr heißen Nachmittags.
Die Straßen des Stadtzentrums sind immer noch verlassen und am Tor treffe ich
gleich auf Z., einen Jungen aus Gambia, der seit Stunden darauf zu warten scheint
mit jemandem zu sprechen. Z. erzählt mir gleich von seiner Ankunft in Italien
und von dem Weg, den er seitdem verfolgt hat, welcher im Punkt der Verlegungen
denen von 9 Anderen der 12 im Zentrum Untergebrachten ähnelt. Im Januar in
Pozzallo angekommen, ist er etwa anderthalb Monate im C.P.S.A. geblieben, um
dann direkt hier in die Via Leggio verlegt zu werden, um den Prozess des
Ansuchens um Asyl durchzuführen, der leider vor ein paar Tagen mit einer
Ablehnung des Ersuchens um internationalen Schutz von der territorialen
Kommission abgeschlossen wurde. Z. erzählt mir von der guten Aufnahme, die er
von der lokalen Bevölkerung von Pozzallo erfahren hat, wo er es sogar geschafft
hat, erste freundschaftliche Beziehungen zu Italienern aufzubauen. Aber die
Hitze lässt nicht nach, so dass wir uns entscheiden, ins Innere umzuziehen, wo
er mich den anderen Jungs vorstellt und ich auch eine der Mitarbeiterin des
Zentrums treffe, Stefania Criscione.

Wir setzen uns
alle an den Tisch, vor uns Gläser mit kaltem Wasser, wo augenblicklich sechs
von zwölf zur Zeit im Haus anwesenden Jungs zu uns stoßen. Die Mitarbeiterin
erklärt mir, dass dies vormals ein Sprar-Zentrum war, demnach der zweiten
Unterbringung gewidmet, aber seit Beginn des Jahres zu einem
Erstunterbringungszentrum für Erwachsene umfunktioniert wurde. Im Moment leben
hier 10 Jungs aus Gambia, einer aus Guinea und einer aus der Elfenbeinküste.
Das Zentrum wird von 5 Angestellten verwaltet, darunter Mitglieder der
Kooperative, Köchin und Reinigungskräfte, die in Schichten bis zum Abend in der
Einrichtung arbeiten. Letztendlich ist die Situation besonders heikel, da der
Großteil der hier Untergebrachten eine Ablehnung ihres Ansuchens um Asyl
erhalten hat; etwas, wie sie mir sagt, das immer öfter denjenigen passiert, die
aus Gambia kommen. Das bedeutet für sie den Ausstieg aus den staatlichen
Dienstleistungen, ohne die Möglichkeit in anderen Unterbringungseinrichtungen
unterzukommen, auch in dem Moment, in dem sie eine Aufenthaltserlaubnis nach
der Berufungsklage erhalten. Die Kooperative wird
sich mit ihren Anwälten für eine Berufung im Verfahren einsetzen, aber bis
heute weiß sie noch nicht, wie sie ihnen helfen kann, zukünftig eine Unterkunft
zu finden. Das alles zeigt die Kurzsichtigkeit des Unterbringungssystems und
der Gesetzgebungen, die von oben die Wege der Migranten regeln, ohne sich
realistisch mit ihren Lebensbedingungen auf dem Territorium und ihren
Bedürfnissen als neu in Italien angekommenen Flüchtlingen auseinanderzusetzen.

Die Jungs
wünschen sich merklich zu sprechen und Stefania überlässt ihnen das Wort. Unter
ihnen beginnt L., ein sehr junger Gambier, in einem flüssigen Englisch von
seinem fast totalem Misstrauen in die italienischen Regeln und Gesetze zu
erzählen, mit denen er sich konfrontieren musste. L. vertraut mittlerweile auch
den Personen, die für die Migranten arbeiten, nicht mehr. Er fragt mich
detailliert nach den Gründen meines Besuches aus und vertraut mir an, dass alle
Angestellten, Journalisten, Freiwilligen und Wissenschaftler, mit denen er
bisher gesprochen hat, versprochen hätten ihm zuzuhören, seine Aussage nach
draußen zu tragen und vor allem mindestens noch einmal zurückzukommen, um ihn
zu besuchen, aber niemand hat dies je getan. Die jungen Männer scheinen
wirklich der Situation müde, wenn auch nicht resigniert, und beschweren sich
darüber, dass es nicht möglich ist, Beziehungen außerhalb des Zentrums
aufzubauen. Gelegentlich organisieren sie Fußballspiele mit anderen Migranten,
die in den anderen Zentren Ragusas untergebracht sind, aber sie sagen mir, dass
sie sonst in der Stadt keine weiteren Anknüpfungspunkte finden. „Hier sind die
Menschen rassistisch“, betont L. „Ich habe die Ablehnung der Kommission
erhalten und das Gesetz besagt, dass ich kostenlos eine Berufung einlegen kann,
aber dann muss ich für die Einschreibung als Berufungskläger bezahlen! Was bedeutet das? Welchen Sinn hat es?
Ich fühle mich auf die Schippe genommen. Wenn ich mit den Italienern spreche,
sagen sie, das alles sei die Schuld von Europa und nicht von der italienischen
Regierung, kannst du mir sagen wer Schuld ist? Was soll das, mir einerseits Hilfe
anzubieten und mich andererseits zu zwingen, dieses zu bezahlen, ohne dass ich
arbeiten darf?“ Die Diskussion wird wirklich lebhaft, ein weiterer Junge mischt
sich ein und sagt mir: „Mein Problem ist nicht das Gesetz, es ist nur die
Arbeit. Wenn ich nichts verdiene, kann ich nichts machen, aber wie soll ich
eine Arbeit finden, wenn ich immer noch auf eine Aufenthaltserlaubnis warten
muss und niemanden kenne? Außerdem habe ich diese Regelungen wirklich satt, die
sich ständig ändern. Hier im Zentrum haben sich die Regeln mindestens zwei Mal
in den letzten Monaten geändert. Wir reden mit den Verantwortlichen und das ist
positiv, weil man sich konfrontiert, aber warum muss ich Regeln für die
Abwicklung meiner Mahlzeiten haben? Warum versprechen sie uns oft Dinge, die
sie dann nicht halten?“ L. führt unaufhaltsam seine Beschwerde fort: „Ich will
in Italien bleiben, ich will hier leben. Aber wie kann ich es schaffen jemandem
zu vertrauen, der mir auf dem Papier eine Sache verspricht und mich dann
alleine lässt?“ Wir sprechen über die Zukunft und ich schlage ihnen vor, andere
Vereinigungen zu kontaktieren und kennenzulernen, andere Organisationen der
Gegend, die ihnen nützliche Informationen geben könnten und ihnen ermöglichen
würden verschiedene Stützpunkte kennenzulernen, in dem Moment, in welchem sie
das Zentrum zwingend verlassen müssen. „Es stimmt, das Wichtigste sind die
Kontakte mit neuen Leuten. Ich bin auf der Suche nach menschlichen Kontakten,
aber wie viele Enttäuschungen erwarten mich noch?“ Währenddessen fragen einige
Jungs nach Informationen über den Blog: „Wir schauen uns den gleich an“; aber
vor allem fragen sie: „Du kommst wieder vorbei, oder? Auch um zu wissen, wie
viele von uns hier geblieben sind. Es ist hart, aber wir geben nicht auf!“

Lucia Borghi

Borderline
Sicilia Onlus


Aus dem Italienischen von Philine Seydel