Besuch im CAS*, dem außerordentlichen Aufnahmezentrum der Kooperative „Arc-en-Ciel“ in Acate
Am 8. Februar haben wir das CAS* in Acate in der Provinz Ragusa besucht. Es wird von der Kooperative „Arc-en-ciel“ geführt, die bereits andere außerordentliche Aufnahmezentren in den Gemeinden von Giarratana, Ragusa und Modica unterhält. Unser Besuch erfolgt mit behördlicher Genehmigung und vorausgehender Vereinbarung mit den Angestellten des Betreibers.
Die Einrichtung befindet sich an der Landstraße am Ausgang des Städtchens und unterscheidet sich von den anderen in der Umgebung nur durch die zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Das Gebäude ähnelt gänzlich einer von den Lagerhallen, die man in dieser Gegen zwischen den Gewächshäusern sieht und es ist schwierig, sich darin ein Aufnahmezentrum für Asylsuchende vorzustellen. Das rechteckige, einstöckige Gebäude ist mit dem offenen Eingangstor durch ein Zementmäuerchen verbunden. Rundherum gibt es nichts außer der aufgehängten Wäsche auf den Zäunen oder den Drähten, die im Hof gespannt sind, einigen Abfallbehältern und einigen Stühlen neben der offenen Eingangstür.
Bei unserer Ankunft ist die zuständige Mitarbeiterin noch nicht anwesend und wir beginnen darum mit einigen Bewohner*innen das Gespräch. Wir stellen uns vor und die Reaktion aller ist die gleiche: „Wir haben so viele Leute gesehen, die behauptet haben, sich für die Rechte von Geflüchteten einzusetzen. Alle haben uns viele Fragen gestellt, aber dann ist niemand zurückgekommen, oder zumindest fast niemand, und vor allem hat sich hier für uns rein gar nichts geändert!“ Dieser Ausbruch ist verständlich und die Migrant*innen haben tatsächlich viel zu berichten. So hören wir zunächst die individuellen Berichte der hier seit längerer Zeit sich aufhaltenden Bewohner*innen. Die Mitarbeiterin des Zentrums bestätigt uns später, dass viele der 21 Gäste seit fast zwei Jahren in diesem Zentrum ausharren! X. erzählt, er sei seit Februar 2013 in Italien. Spontan und bedächtig berichtet er von der gesamten Reise, die er zurückgelegt hat, um in diesem Land anzukommen. Er sei vor Folter und Verfolgung geflüchtet. Trotzdem habe er von der beurteilenden Kommission den internationalen Schutzstatus nicht erhalten. Wie für manch andere, war seine einzige Möglichkeit, mit der Unterstützung eines Anwalts des Zentrums Einspruch gegen den Entscheid einzulegen. Daraufhin fragen wir ihn, ob er vor der Anhörung bei der Kommission Gelegenheit gehabt habe, sich mit jemandem zu besprechen und was er aktuell für eine Beziehung zu seinem Anwalt habe. „Nein, als ich angekommen bin hat mir kein Mensch richtig erklärt, was die Kommission eigentlich ist. Den Anwalt habe ich erst nach dem negativen Entscheid gesehen, aber nur wenige Male. Er spricht nicht englisch, nur italienisch, wir können also nur wenig miteinander reden.“ Mindestens fünf der Anwesenden bestätigen uns die Unmöglichkeit mit den Anwält*innen zu kommunizieren, und wenn, dann nur über Andere, die übersetzen. Neuankömmlinge haben also keinen Zugang zu Information und Begleitung in der eingeleiteten Prozedur für den internationalen Schutzstatusantrag. „Jetzt siehst Du, in welcher Situation wir uns befinden und was wir dagegen tun können: Nichts! So ist es seit zwei Jahren und das gilt nicht nur für mich.“ In dem kleinen Aufenthaltsraum, wo wir uns befinden, sind die Wände mit Zetteln beklebt, auf denen italienische Vokabeln, Verben und Sätze notiert sind. Hier sprechen alle verschiedene Sprachen: englisch, französisch oder andere Sprachen und Dialekte.
„Eigentlich hätten wir zweimal pro Woche am Nachmittag eine Italienischstunde, aber leider findet der Unterricht nicht regelmäßig statt. Es hängt davon ab, ob die Lehrerin, die auch die Mitarbeiterin ist, die ihr gleich trefft, nicht etwas Dringenderes zu tun hat“ berichtet X. weiter. Ich erkundige mich, ob sie auch Italienischkurse in den umliegenden Dörfern besuchen, wie es andere Bewohner*innen der verschiedenen CAS* der Provinz tun, doch die Antwort lautet nein. Bald gesellen sich immer mehr Bewohner*innen zu uns. Jeder hat etwas zu erzählen, manche stecken sich danach gleich wieder Kopfhörer in die Ohren und sondern sich auf dem trostlosen Platz vor dem Gebäude ab. „Wir sprechen nicht Italienisch auch weil wir nicht viele Italiener*innen kennen. Die Menschen, die hier bei uns arbeiten, bleiben nicht lange in der Einrichtung. Außer der Italienischlehrerin, die zweimal pro Woche kommt, gibt es einen anderen Angestellten, der ein paar Stunden am Morgen hier ist, und eine Frau, die für ein paar Stunden putzt. Aber seit Samstag haben wir sie nicht mehr gesehen. Manchmal kommt ein junger Mann, der uns die Einkäufe bringt.“
Wir fragen, ob sie eine Notfalltelefonnummer haben: „Ja, aber oft nützt sie nichts und wenn sie uns antworten, sprechen sie, wie wenn sie uns damit einen Gefallen erweisen würden. Sehr wahrscheinlich ist das ja so, für sie. Wir haben alle Bedürfnisse, aber wir werden nicht ernst genommen. Nur zwei Sätze auf Italienisch und Schluss.“ Andere berichten von verschiedenen Fällen, aus denen hervorginge, dass der zuständige Mitarbeiter nicht im Geringsten prompt auf ihre Anrufe reagiere. „Wir werden hier uns selbst überlassen. Es wird für uns eingekauft, uns werden Kleider gegeben und das Taschengeld von 36 € alle 15 Tagen, mehr nicht.“ Manche nennen Mitarbeiter*innen anderer humanitärer Organisationen und Ärzt*innen. Später im Gespräch bestätigt die Mitarbeiterin, es handle sich dabei um Mitarbeiter*innen von Medu* und MSF*, die die psychologische Betreuung innerhalb des Zentrums übernommen hätten.
Nun frage ich die Migrant*innen, ob sie die Umgebung ein bisschen kennen und die Frage klingt für sie geradezu wie eine Provokation. „Den einzigen Ort, den wir zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können außer Acate, ist Ragusa. Dorthin bringen sie uns wegen der Dokumente. Du siehst ja selber wo wir hier sind, und dass wir nicht mobil sind. Es ist vielleicht besser, dass uns niemand anschaut, wenn wir uns im Dorf bewegen, besser als beschimpft zu werden.“
Y. greift das Thema Geld wieder auf. Für ihn ist die fehlende Arbeit das größte Problem. „Das Taschengeld reicht nicht, und wenn man sich ein Leben in Italien aufbauen und vor allem für seine Familie sorgen will, kann man nicht jahrelang so weitermachen.“ Ihm geht es gleich wie vielen Migrant*innen. Er gibt zu, schon mehrere Male die Nummer seines Mobiltelefons gewechselt zu haben, um nicht permanent von seiner Familie bedrängt zu werden, Geld zu schicken. „Wenn man keine Kontakte mit der lokalen Bevölkerung hat und mit niemandem sprechen kann, bleibt die einzige Möglichkeit in den Feldern zu arbeiten. Es sind ausbeuterische Bedingungen. Für 8 Stunden pro Tag bekommt man 25 Euro! Das machen viele, ich mach es nicht mehr. Aber der Preis dafür sind noch mehr Sorgen.“
Nun trifft auch die zuständige Mitarbeiterin ein, die auch für das außerordentliche Empfangszentrum in Modica, im Ortsteil Frigintini verantwortlich gewesen ist. Wir begeben uns in ein kleines Büro rechts neben dem Eingang und sie beginnt mir ein Bild von der aktuellen Situation zu zeichnen. Sofort stellt sie klar, dass die Umstände in diesem Zentrum um vieles komplexer seien, als in den anderen. Es sind 21 Gäste zurzeit, sie kommen aus Mali, Gambia, dem Senegal, aus Pakistan, Bangladesh und der Elfenbeinküste.
Außer den 5 erst vor ein paar Wochen angekommenen, sind die anderen schon lange hier, einige schon seit zwei Jahren, wie bereits erwähnt. Die Mehrzahl von ihnen hat von der Territorialkommission einen ablehnenden Bescheid ihren Schutzstatus betreffend erhalten und sie haben mit den Anwälten des Zentrums Widerspruch eingereicht. Die Betreiberin meint, dass dies das größte Problem darstelle und große Unduldsamkeit unter den Gästen auslöse. Sie nimmt unsere Besorgnis über den schlechten Zustand der Gebäude zur Kenntnis und präzisiert, dass die Räumlichkeiten vor kurzem instand gestellt worden seien, nach dem Umzug aus einem Gebäude im Zentrum von Acate vor einem Jahr. In jedem Zimmer seien Heizlüfter installiert worden, die im Sommer als Klimaanlagen funktionieren und es gäbe andere Sanierungsarbeiten, die sie nicht weiter erklärt. Daraufhin besichtigen wir das Haus: neben dem Unterrichtszimmer, das wir bereits kennen, liegen ein Aufenthaltsraum, die Küche und die Duschen und Toiletten. Der Fußboden ist nass, ebenso in der Waschküche daneben. Für 21 Gäste gibt es drei Toiletten und 3 gemeinsame Duschen. Für die Reinigung ist jeden Morgen eine Frau zuständig. Wir machen darauf aufmerksam, dass diese offenbar seit 2 Tagen nicht mehr hier war. Die Verantwortliche weiß den Grund dafür nicht, und sie verweist uns auf den Leiter von Arc-en-Ciel für weitere Auskünfte. Dem Korridor entlang liegen die 5 Schlafzimmer, jedes mit 4 Betten und mindestens einem Fenster. Die Zimmer scheinen recht geräumig, minimal mit Möbeln und je einem Heizlüfter ausgestattet. Einer der Bewohner*innen informiert uns, dass es erst seit drei Monaten eine Heizung gebe, aber dass sie funktioniere. Was die Mahlzeiten betreffe, erfahren wir, dass die Gäste selbst kochen und dabei die Öffnungszeiten der Küche einhalten müssen. Die Einkäufe werden ihnen jeden Tag von den Mitarbeiter*innen gebracht. Unter dem Bewohner*innen haben wir keine Beschwerden oder weitere Kommentare in Bezug auf das Essen aufgenommen. Als wir ins Büro zurückkehren warten zwei der Männer und klagen über Schmerzen. Einer hat Zahnweh, der andere Magenbeschwerden. Die Mitarbeiterin erklärt, dass hier, wie in den anderen Einrichtungen, der Krankenversicherungsausweis so rasch als möglich beantragt wird und die Migrant*innen Ärzt*innen zugeteilt werden. Sie fährt aber fort, dass die Krankheitssymptome oft anderer Natur seien, was wir während unseres kurzen Besuchs nicht beurteilen können.
Nun kommen wir auf das Personal zu sprechen. Außer ihr, die an zwei Nachmittagen in der Woche auch als Italienischlehrerin arbeitet, ist ein anderer Angestellter jeden Morgen im Zentrum anwesend, der jederzeit telefonisch erreichbar ist. Mit ihm arbeitet auch eine Reinigungskraft, deren Stundenplan nicht klar ist, und manchmal ein anderer Angestellter ohne fixe Arbeitszeiten, der für logistische Probleme zuständig ist. Wir erkundigen uns nach anderen Bezugspersonen und betonen deren Wichtigkeit für die Migrant*innen. Was Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen betrifft, könne man sich gegebenenfalls mit den Kolleg*innen in Ragusa in Kontakt setzen, während die Zusammenarbeit mit Medu* und MSF* gut funktioniere. Diese hätten die psychologische Begleitung und eventuelle Gutachten für die Widerspruchsverfahren bei der Kommission übernommen. So erkundigen wir uns, ob die Rechtsberater*innen oder Sozialarbeiter*innen die Leute vor der Anhörung informieren. Die Antwort lautet, dass am Anfang jedem die Situation mehr oder weniger dargestellt werde, doch würden die Anwält*innen nur im Falle eines Widerspruchs tätig werden. Wir machen die Unduldsamkeit der Migrant*innen +ber die Unmöglichkeit deutlich, direkt mit den Anwält*innen zu sprechen, aber die Antwort lautet direkt, dass in dieser Einrichtung „inzwischen alle Italienisch sprechen“. Wir weisen deutlich darauf hin, dass (selbst wenn das so wäre) das nichts mit dem Recht jedes einzelnen zu tun hat, mit den nötigen Informationen in der ihm verständlichen Sprache aufgeklärt zu werden.
Wir trennen uns, da die Italienischstunde beginnen soll und begegnen an der Tür weiteren Migrant*innen, die betonen, dass vieles hier im Argen liegt: „Wir sagen Ihnen die Wahrheit, machen Sie daraus, was sie wollen.“ Sie sprechen ohne Angst sondern eher mit der Selbstsicherheit einer Person, die Tatsachen schildert. „Wir wissen, dass unsere Worte nicht den gleichen Wert haben wie andere. Aber das ist alles, was wir tun können.“ Ein junger Mann erklärt mir verzweifelt, dass er keine Auskunft über seine Dokumente erhalte: „Seit drei Monaten erklärt mir der Mitarbeiter dass ich warten müsse, dass es in der Präfektur Probleme gebe, dass darum meine Dokumente noch nicht bereit seien. Aber ich sehe, dass es für die Bewohner*innen der anderen Zentren viel schneller geht, obwohl sie in der gleichen Situation wie ich sind. Kannst Du mir sagen, warum?“ Wir können nur antworten, dass ein Vergleich mit den anderen sinnlos ist. Weil jede Situation verschieden und von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Viele Migrant*innen haben uns genau die gleichen Fragen gestellt – und wir wissen, dass die Wartezeiten wegen der langwierigen Bürokratie zermürbend sind. Was unseren Gesprächspartner nicht überzeugt sind die unklaren Antworten der Mitarbeiter*innen. „Wenn das so wäre, warum weigert er sich dann, mich in die Präfektur zu bringen, damit ich es selber sehe und daran glauben kann, was er erzählt?“ Darauf wissen wir nichts zu antworten. Aber wir merken, dass ihnen eine individuelle Betreuung fehlt. Eine Person, die ihnen die jahrelange Wartezeit erklären kann, die wirklich schwer zu verstehen ist. Die mangelnde Präsenz der wenigen Sozialarbeiter*innen spricht nicht für die Kooperative. Das gleich gilt für die Krankenversicherungsausweise: zwei der Bewohner*innen zeigen mir, dass ihre schon seit fünf Monaten abgelaufen sind, dagegen ist die Aufenthaltserlaubnis schon erneuert worden. „Warum bekomme ich keine neue? Ich verstehe das nicht! Wenn wir dem Mitarbeiter das Rezept des Arztes zeigen, geben sie uns nicht die Medikamente der Apotheke, sondern die Generika, die sie hier haben. Wir wollen die Medikamente des Arztes!“
Die während dieser Klagen anwesende Mitarbeiterin meint, dass alle ärztlichen Verschreibungen eingehalten werden und dass die häufige und verwurzelte Unduldsamkeit der Auslöser für diese Klagen sei. „Auch wir wissen, dass zwei Jahre Wartezeit zu viel sind. Deshalb wäre es richtig, dass die, die schon lange hier sind, eine eigene Unterkunft finden ausserhalb der Zentren. Diejenigen, die Einspruch eingelegt haben, sind am ungeduldigsten“, fügt sie noch an.
Diese Bemerkungen weisen auf die dramatische Absurdität der Situation hin. In einem System, das nicht das Wohlergehen und den Schutz der Migrant*innen zum Ziel hat, und dessen Unzulänglichkeit und Gewalt jeden Tag von neuem zu Tage treten, beginnt man über solche Lösungen nachzudenken. Die Bewohner*innen erzählen weiter, auch wenn die Gruppe nach der Ankunft der Lehrerin kleiner geworden ist. Auch sie verweisen mich für weitere Erklärungen an den Verantwortlichen der Kooperative, den wir in den nächsten Tagen kontaktieren werden. Bereits am Telefon macht dieser deutlich, dass er die Migrant*innen kenne, mit denen wir gesprochen haben. Sie warten schon zu lange dort auf eine Änderung ihrer Situation und seien darum besonders frustriert. Er gibt zu, dass es große Schwierigkeiten in der Kommunikation gebe und sich die Beziehungen zwischen Mitarbeiter*innen und Betroffenen laufend verschlechtert hätten. Darum stünden ab nächsten Monat verschiedene Veränderungen an. Zuerst werden Veränderungen im Personal vorgenommen und die juristische Begleitung vor den Anhörungen in der Kommission soll organisiert werden. Zudem ist vorgesehen, die Räumlichkeiten zu vergrößern. Es sollen ein Aufenthaltsraum neben der Mensa und ein Schulungsraum für Italienischkurse für die Migrant*innen in diesem Gebiet entstehen. Wir erwähnen die verschiedenen Probleme der Migranten, darunter die mangelnde Kommunikation mit den Anwält*innen. Er meint, dass bei den Verfahren für den Erhalt der Aufenthaltserlaubnis und der anderen Dokumente für alle übersetzt werde. Und dass er vermute, dass das auch bei den Widerspruchsklagen der Fall sei. Aber da er nicht bei den Unterredungen der Migrant*innen mit den Anwält*innen anwesend sei, könne er das nicht mit Sicherheit sagen. Was die Krankenversicherungsausweise betreffe, hätten sie allen erklärt, dass das Problem die Langsamkeit der italienischen Bürokratie sei, das sei für alle so, ob italienische Staatsbürger*innen oder nicht. Er gibt wiederum zu, dass die Kooperative nur manchmal Generika liefere, und die übrigen Medikamente mühsam beschafft werden. Das geschehe, weil seit kurzem der Gesundheitsbezirk von Vittoria, zu dem Acate gehört, die Ausnahmeregelung für abgewiesene Asylsuchende nicht anerkenne, auch wenn sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seien, mit der Begründung, dass sie arbeiten könnten.
Wir verurteilen diese schlimme Verletzung der geltenden gesetzlichen Anordnungen und fordern ihn auf, diese anzuzeigen. Er betont wiederholt, dass wir ein verzerrtes Bild von der Situation hier hätten, aufgrund der Gespräche mit einer bestimmten Gruppe von Migrant*innen. Denn diese seien am Ende ihrer Kraft, wegen der zu langen Wartezeiten. Er sieht folgende Lösungsansätze: die dringende Reorganisierung des Asylsystems; der Wechsel vom Erstaufnahmezentrum in die Aufenthaltszentren muss innerhalb der vorgeschriebenen Zeit erfolgen; diejenigen Geflüchteten, die in Italien bleiben wollen, sollten aus dem Kreis der Aufnahmezentren so bald wie möglich herauszukommen, um sich selbständig eine Zukunft aufbauen zu können. Mit welchen Mitteln? Mit wenig Italienischkenntnissen, mit der Möglichkeit, sich in einer eingegrenzten Gegend bewegen zu dürfen und ohne Mittelspersonen in der empfangenden Gesellschaft, mit der unleugbaren Anwesenheit von Rassismus auch auf institutioneller Ebene in der Gegend, der kürzlich dazu geführt hat, dass Unterschriften gegen die Neueröffnung von Aufnahmezentren gesammelt wurden. Unter diesen Bedingungen übersteigen die guten Vorschläge die Möglichkeiten auch derjenigen, die die Entschlossenheit und eine gute Gesundheit hätten, diese umzusetzen, diesen Aspekt dürfen wir nicht vergessen.
Was bleibt, ist nur das Warten – oder vielleicht nicht nur das – wie uns ein Geflüchteter zum Abschied sagt: „Jetzt schaue ich mir den Sonnenuntergang an. Viele Monate habe ich gedacht, dass es das Einzige ist, was mir bleibt. Jetzt kann ich mich auch verständigen und darum geht es mir ein wenig besser.“
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
*CAS: Centro Accoglienza Straordinaria – ausserordentliches Empfangszentrum
*Medu: Medici per i diritti umani – Organisation der Ärzte für Menschenrechte
*MSF: Medici Senza Frontiere – Ärzte ohne Grenzen
*Sprar: Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati – Einrichtung zum Schutz von Asylsuchenden und Geflüchteten
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne