Quarantäneschiffe: GNVs Imperium der Meere
Artikel vom 29. Juli 2021
Vor kurzem war ich zufällig Passagier auf einem GNV*-Schiff. Das ist nicht ungewöhnlich, denn diese Schiffe bringen vor allem im Sommer Tourist*innen von einer Küste Italiens zur anderen. Eine ganz andere Erfahrung ist es jedoch, wenn man einige Monate in Sizilien lebt und das Ausmaß der Komplizenschaft des Unternehmens mit dem italienischen Staat bei der wochenlangen Internierung von Menschen, die über die Straße von Sizilien nach Italien kommen, erfährt.
Ich habe verschiedene und widersprüchliche Gefühle, als ich an Bord der GNV Aries, die mich nach Sizilien zurückbringen wird, gehe: Wut, weil ich nicht zur Wirtschaftstätigkeit derjenigen beitragen möchte, die illegitime und diskriminierende Praktiken logistisch unterstützen; Neugier, weil ich es für wichtig halte, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie diese Schiffe gebaut sind, von ihren Räumen, von den verwendeten Geräten und Technologien; Bewusstsein, das im Gegensatz zu der gleichgültigen Ruhe steht, mit der sich Hunderte von Menschen zwischen den Kabinen und dem Deck dieses scheinbar komfortablen und harmlos dahin treibenden Schiffes drängen.
Das Treffen
„Ihr könnt hier nicht bleiben“. So beginnt das Treffen mit einem Matrosen, der mich und einen anderen Passagier auffordert, den Hundebereich zu verlassen, der gleichzeitig der einzige Außenbereich für die Besatzung und der einzige Bereich mit Tischen im gesamten kleinen Außenbereich des Schiffes ist.
Nach ein paar Scherzen überzeugen wir den Matrosen, uns bleiben zu lassen, und der Passagier neben mir kommentiert: „Dieses Schiff ist ein morscher Kahn. Wir zahlen, haben aber keine Gegenleistung“.
In nur wenigen Minuten erfahren wir, dass die Aries wie auch die Antares – ein Schiff, das bereits in Sizilien für die Quarantäne von Migrant*innen eingesetzt wird – vor nicht mehr als zwei Monaten von der Reederfamilie Aponte gekauft wurde, die Eigentümer von GNV, aber vor allem von MSC ist, dem größten Fracht- und auch Kreuzfahrtunternehmen der Welt.
Die Aries und Antares wurden von Unternehmen in Nordeuropa gekauft. Es handelt sich um Schiffe, die für ganz andere Meere konzipiert sind und tatsächlich beschwert sich der Seemann: „Wo ich arbeite, ist es 50 Grad Celsius. Diese Schiffe sind an eisige See gewöhnt, daher kühlt der Motor schnell ab. Aber in unserem warmen Meer ist das nicht der Fall. Ich bin seit einem Monat hier und habe fünf Kilo abgenommen, also werde ich nie wieder einsteigen. Auch weil der einzige Platz im Freien, den ich nach meiner Schicht habe, voller Scheiße und Hundepisse ist, und drinnen in meinem Zimmer ist nur Neonlicht. Also bleibe ich in meinen Pausen nur auf meinem Bett liegen und schalte den Fernseher ein“.
Der Fahrgast neben mir fügt hinzu: „Für uns Fahrgäste ist es nicht besser. Dieses Schiff ist sehr klein, es gibt nur sehr wenige Räume und Dienstleistungen, aber die Preise sind nicht niedriger als auf anderen Schiffen“. Der Seemann nickt und geht. Interessiert versuche ich, dem Passagier ein paar Fragen über Quarantäneschiffe zu stellen, aber das Einzige, was er dazu sagen kann, ist, dass es sich um ein „Business mit irrwitzigen Gewinnmöglichkeiten“ handelt.
Business
Während ich zwischen den Decks der Aries umherlaufe, einem Schiff mit einer Hightech-Infrastruktur und vor allem einer großen Anzahl von Kameras, die in verschiedenen Ecken des Schiffes verstreut sind, mache ich eine kurze Suche im Internet, um mehr über die Familie Aponte zu erfahren. Und in der Tat ist das Geschäft der Familie riesig: es reicht zu wissen, dass MSC, das von der Familie Aponte geführt wird, vor wenigen Tagen zur größten Containerschiff-flotte der Welt wurde.
Ein Riese im Logistikgeschäft, einer Branche, die im letzten Jahrzehnt zum Rückgrat der Weltwirtschaft geworden ist, und zu einer fortschreitenden „Urbanisierung“ des Meeres geführt hat. Im Jahr 2020 wurden 41 % der in italienischen Häfen ein- und ausgeschifften Container über von MSC kontrollierte Terminals abgefertigt. Ja, denn neben dem Besitz von Schiffen und der Beförderung von Gütern kontrolliert das Unternehmen auch mehrere italienische Häfen oder Teile von Häfen: Gioia Tauro in vollem Umfang, Genua, Neapel, Palermo und Catania in großen Teilen.
Angesichts eines so großen Seeimperiums fällt es kaum ins Gewicht, dass MSC Crociere – das größte private Kreuzfahrtunternehmen der Welt – im Covid-Jahr Verluste von fast einer Milliarde Euro gemacht hat. In diesem Zusammenhang hat das Geschäft mit den Quarantäneschiffen weitaus bescheidenere Zahlen erbracht – im März 2021 war von „nur“ 34 Millionen die Rede –, die aber unerlässlich waren, um dieses Stück Imperium zu retten, das andernfalls aufgrund von Covid-19 untergegangen wäre.
Der italienische Staat und seine rassistisch motivierten hygienischen Einschließungspraktiken haben es dem Eigentümer also erspart, in die Brieftasche zu greifen, und es ihm sogar ermöglicht, über mittel- bis langfristige Investitionen, wie den Kauf der Aries und der Antares nachzudenken. Als ich die Struktur des Schiffes von der Anlegestelle im Hafen aus sah, dachte ich sofort, dass es ein perfektes Schiff für die Unterbringung von Menschen ist: kompakt und mit sehr wenig offenem Raum. An Bord wurde dieser Gedanke angesichts der Kameras und der wenigen gemeinsam genutzten Räume noch verstärkt. Kurz gesagt, für die Familie Aponte war es ein guter Schachzug, um die Gewinne während der Tourismussaison zu steigern, aber warum nicht auch, um die Dienste des Schiffes dem Meistbietenden – also auch der italienischen Regierung – anzubieten.
Der Container als Paradigma, der Körper als Ware
Was mich an dieser Geschichte vielleicht am meisten beeindruckt hat, ist, dass ich eine erste empirische Antwort auf eine Reihe von Fragen gefunden habe, die ich mir schon seit einiger Zeit stelle. Es besteht eine sehr enge Verbindung zwischen dem zeitgenössischen globalen Wirtschaftssystem mit seinen Hauptakteuren, wie der Familie Aponte und der nekropolitischen Regelung der Migration; und der Container wird zum materiellen und metaphorischen Ausdruck dieser engen Verbindung.
Die Container fahren in riesigen Frachtschiffen über die Meere und machen die Häfen der Welt bunt, bevor die darin transportieren Waren weiterverteilt werden. Der Container ist das Symbol eines auf Digitalisierung, Kontrolle und Ausbeutung von Arbeitskräften basierenden Handels, der sich still im Hintergrund abspielt und darauf abzielt, die Stimmen, die seine wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Frage stellen, zum Schweigen zu bringen.
Gleichzeitig ist der Container aber auch das erste Objekt, das in „Notsituationen“ zum Einsatz kommt: in Hotspots, in den Cpr*, in für Saisonarbeiter*innen errichteten Lagern – wie in Cassibile –, auf den Docks, an denen die Quarantäneschiffe anlegen, an innereuropäischen Grenzübergängen – wie in Ventimiglia – ist der Container das Symbol der ständigen Bewegung, durch die die Körper der Migranten*innen fremdbestimmt werden, bis sie desorientiert sind und zu prekären und ausgegrenzten Körpern werden, die genau in den Branchen ausgebeutet werden, in denen sich das große Geschäft dieser Unternehmer abspielt, in den Häfen, in der Logistik und in all jenen Nischen, in denen die Produktion nur dann weitergehen kann, wenn die Arbeitskosten niedrig und die Arbeitskräfte erpressbar sind.
Wenn wir Migration durch den Container betrachten, können wir sehen, wie die Körper der Migrant*innen als Ware betrachtet werden. Eine Ware, die durch ausgeklügelte digitale und militärische Systeme kontrolliert und katalogisiert wird und die zurückgewiesen oder als Druckmittel verwendet werden kann.
Aponte beherrscht das Meer, seine Schiffe und Container lenken das Leben von Milliarden von Menschen, sie sind die Infrastruktur des modernen Kapitalismus; aber seine Schiffe, Container und „sein“ Kapitalismus entschieden auch über Leben und Tod von Zehntausenden von Menschen in den letzten anderthalb Jahren.
Wir und die Menschen, die migrieren, wehren uns gegen all das.
Emilio Caja
Borderline Sicilia
* Cpr: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft
* GNV: Grandi Navi Veloci, italienische Schifffahrtsgesellschaft
Aus dem Italienischen von Stefania Gavin