Von der Schwierigkeit, Menschen aufzunehmen: Palermo
In den letzten Tagen haben wir die Erklärungen des Bürgermeisters von Gorino und über die Proteste seiner Mitbürger*innen gelesen. Viele von uns haben jene Fälle verurteilt. Ohne Zweifel haben Rassismus und Unwissenheit Ungeheuer für die Titelseiten geschaffen, aber es ist zu leicht „auf das Rote Kreuz zu feuern.“ Kein Medium hat die Fehler der Präfektur und der anderen übergeordneten Institutionen hervorgehoben, die es nicht geschafft haben einen Aufnahmeplan zu strukturieren. Es gibt kein Interaktionsprojekt zwischen den Neuankömmlingen und der lokalen Gemeinschaft. Man hat sicher erst in der Notsituation geregt, um den hundertsten sozialen Konflikt zu entfachen: eine Methode um das wahre Gesicht der Migrationspolitik zu verbergen und weiterhin Opfer zu fordern.
Auch in Palermo, die Stadt die von vielen als gastfreundlich bezeichnet wird, gibt es zahlreiche Schwierigkeiten, dazu kommen Gesetzwidrigkeiten zum Schaden der Migrant*innen. Am Montag, den 24. Oktober brachte das Schiff Siem Pilot 1.096 Geflüchtete an Land. Dabei wurden alle kritischen Punkte eines Notfall-Systems sichtbar: 48 Stunden nach der Ankunft in Palermo war die Identifizierung beendet. Die unbegleiteten Minderjährigen und die Frauen haben auf dem Schiff und dann am Hafenkai geschlafen. Anders ausgedrückt, der Großteil der Personen hat die Nacht vom 24. zum 25. Oktober im Vorraum des Polizeipräsidiums, am Kai unter einem Zelt oder auf dem Rettungsschiff verbracht. Die Anlandung dauerte so lang, dass viele Familien im Hafen getrennt und Verwandte in unterschiedlichen außerordentlichen Aufnahmezentren untergebracht werden, trotz des Einsatzes der Mitarbeiter*innen der IOM (Internationale Organisation für Migration). So wird die emotionale Lage dieser Menschen, die bereits von den Gefahren der riskanten Reise auf eine harte Probe gestellt wurden, zusätzlich erschwert.
Es ist inakzeptabel, dass Menschen so behandelt werden können, die für die lange Zeit der Reise dem Tod nahe waren, die Zeichen davon sind noch immer sichtbar. Bei dieser Ankunft sind einige Migrant*innen nur mit Unterhosen bekleidet von Bord gegangen. Daraus schließen wir, dass sie auch die zwei Tage auf der Siem Pilot nackt auf dem Boden geschlafen haben, um dann bei ihrer Ankunft in Palermo die selbe Behandlung zu erfahren. Diese Personen blicken starr in das Leere. Eine Leere die gelegen kommt, denn man kann mit diesen Personen das machen, was gelegen kommt.
Dieses Zusammenleben nennt sich „Notstand“ und tritt in Palermo vor allem bei den unbegleiteten Minderjährigen zur Oberfläche. Bis am Mittwochabend, stand der Bestimmungsort der gerade angekommenen Minderjährigen noch nicht fest, da es unmöglich war, freie Einrichtungen zu finden. Anfangs sollten rund 50 unbegleitete Minderjährige zur Caritas nach Monreale gebracht werden. In dieser Struktur arbeitet kein*e einzige*r Caritas Mitarbeiter*in. In der Vergangenheit hat das Rote Kreuz die Minderjährigen hier betreut. Aber dieses Mal haben sich die Verantwortlichen dem Notfallspiel entzogen und die Institutionen mussten gezwungenermaßen nach anderen Lösungen suchen. Die Antwort für Gemeinde und Präfektur kam von der Caritas Palermo. Sie hat 38 Minderjährige in einer Einrichtung in der Gemeinde Ciminna untergebracht. Weitere Minderjährige wurden in die Erstaufnahme-Zentren von Partinico (geleitet von Sol.Co.) und Monfenera (geleitet von Asante) verlegt und die Übrigen wurden in andere Einrichtungen der Provinz gebracht.
In Palermo wurden auch 17 Leichen an Land gebracht. Die Überlebenden, die während der Überfahrt den Tod von Freunden und Verwandten erlitten haben, haben von Seiten der Rettungskräfte und Ersthelfer keine Aufmerksamkeit oder besondere Behandlung erfahren. Alle wurden in einen Bus gesteckt, Ziel: Norditalien. Die Spur der großen Schmerzen wird sich verlieren, wie die Spur der Vermissten auf dem Meer.
Laut einem Gefühlsausbruch einer NGO-Angestellten seien 17 Leichen eine zu geringe Zahl, um die angemessene Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen. „Und dann zählt auch nichts, ob unter ihnen auch ein acht jähriges Mädchen war, vielleicht gestorben von den vielen Schicksalsschlägen, die sie erdulden musste!“, so die Frau. „Es ist eine geringe Anzahl, deshalb gibt es keine Fotos bei „Studio aperto“. Wir werden uns nicht an den 24. sondern nur an den 3. Oktober erinnern, denn an diesem Tag waren es mehr. Ich frage mich, wie kann man so sterben, mit acht Jahren? Nachdem wir sie von Bord gebracht haben habe ich mich noch ekelhafter gefühlt als sonst. Als ich gegangen bin haben noch viele Menschen am Kai am Boden geschlafen. Ich habe mich als Komplizin dieser beschissenen Aufnahme gefühlt und stellte mir die Frage ob es richtig ist, dass ich weiterhin zum Hafen gehe? Vielleicht bin ich schlimmer als sie, weil ich hingehe und mich von einem System bezahlen lasse, das ich nicht unterstütze.“
Zum Glück verfügt dieses System über Menschen wie diese Frau. Menschen die sich noch fragen ob wir auf dem richtigen Weg sind. Die im Stillen weiterhin ein Lächeln schenken und die vielen Opfer dieses ungerechten Systems unterstützen.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner