Unterwegs in der Region Palermos: Die CAS der Provinz

In diesen Tagen haben wir mehr als nur einen
Hinweis auf Klagen über schwere „Mängel“ bekommen, die es in einigen außerordentlichen Aufnahmezentren (CAS) in der Provinz Palermo geben soll.

Diese
reichen von der Schlampigkeit im Umgang mit schweren Gesundheitsproblemen bei
Minderjährigen bis hin zur mangelnden Professionalität der
Betreibergesellschaften, die, um mehr Profit zu machen, nicht zögern, die grundlegenden
Dienste für ihre Gäste zu beenden. Denn „was wollen sie im Grunde mehr als ein
Bett und zu Essen?“

Aber die Migranten kommen nicht nach Italien,
um ein, zwei Jahre zu essen und zu schlafen und sich erst anschließend ein
neues Leben aufzubauen, nachdem sie das Risiko eingegangen sind, auf dem Meer
oder an Land zu sterben.

Gerade bei der letzten Ankunft in Palermo
haben wir hilflos der Überführung von 10 Leichen vom Hafen zum Friedhof von
Rotoli beigewohnt – 8 von ihnen waren Frauen und 2 Minderjährige –, wo die
Körper dermaßen aufgebläht waren, dass sie die aus einfachen Brettern mit
wenigen Nägeln zusammengehauenen Särge öffnen mussten. Eine leise Tragödie in
den meisten Fällen, weil die „kleine“ Zahl der Toten kein Aufsehen erregt, als wäre
ein Toter nicht schon genug.

Um nicht von den Lebenden zu sprechen, die in
viel zu vielen Fällen schlechter behandelt werden als Tiere. Es gibt absurde
Situationen, wie die Geschichte einer Mitarbeiterin in einem außerordentlichen
Zentrum (CAS) in der Provinz Palermos, die ihren Job kündigte, weil sie die Demütigungen,
die sie selbst erlitten hat und bei denen sie anwesend sein musste, nicht mehr
ertragen konnte. Sie klagte gegen den Betreiber der Einrichtung.

Professionelle Betreuer mit entsprechenden
Ausbildungen und Titeln, die lächerlich gemacht, unterbezahlt oder gar nicht
bezahlt, gedemütigt werden oder von denen verlangt wird, „freiwillige Arbeit“
zu leisten (so nennt man die unbezahlten aber „verpflichtenden“ Überstunden),
um die finanziellen und personellen Löcher zu stopfen, die von den
Koordinatoren der Einrichtung geschaffen wurden. Einstellung und Aufstiege von
Mitarbeitern wie Tauschware unter Politikern oder Arbeiter, die gezwungen
werden, auch die Krankenpflege zu übernehmen, obwohl sie dazu nicht
qualifiziert sind. Überhaupt keine rechtliche Ausbildung und viel zu wenig
Klarheit. Oft verlangt man vom Personal, an der Kleidung zu sparen, die zur
Verteilung an die Gäste bestimmt ist, wenn nicht sogar am Trinkwasser.

Durch die Nicht-Betreuung wird es den
Migranten leicht gemacht sich aus den Lagern zu entfernen und sich den Händen
der Schlepper auszuliefern – mit dem Segen der Präfektur, die so neue Plätze
für neue Ankömmlinge gewinnt.

Die Mitarbeiterin, die wir getroffen haben,
hat uns gesagt, dass es oft dieselben Betreibergesellschaften sind, die es den
Migranten erleichtern, sich aus den Aufnahmeeinrichtungen zu entfernen. Zurzeit
machen sich Grüppchen von 4, 5 Migranten (sie kommen aus der ganzen Provinz Palermo
und den angrenzenden Provinzen) auf den Weg nach Palermo und steuern zu Fuß die
zentralen Bereiche an (den Bahnhof in erster Linie); sie versuchen dort ihre
Reise fortzusetzen. Diese Personen sind gezwungen, den Schleusern riesige Summen
zu zahlen. Um nur ein Beispiel zu geben: Im Zentrum von Palermo haben sich alternative
Netzwerke für die Aufnahme gebildet, denen man auch 50€ pro Nacht für ein Bett
und Verpflegung bezahlt. Um nicht von den Gesundheitsdiensten zu sprechen, die
von einigen Betreibergesellschaften bereitgestellt werden. Es gibt solche, die den
Gästen weder eine Paracetamol noch Bikarbonat zur Verfügung stellen können, mit
dem Ergebnis, dass man jedes x-beliebige medizinische Problem auf die
Krankenhäuser ablädt, und so Plätze in den Lagern freimacht, was weiteres Geld
einbringt.

Die Möglichkeit, mit Migranten Geld zu machen,
hat viele angesteckt, vielleicht zu viele so sehr, dass es in der Provinz missverständliche
Abmachungen mit den Betreibergesellschaften gibt, die alle sehr unterschiedlich
sind; ebenso unglaubwürdige Immigrationsexperten, die ohne jede Vorbereitung
und Professionalität in weit abgelegenen Gegenden der Provinz soziale
Kooperativen zur Aufnahme der Migranten auf den Weg bringen.

Trotz alledem verzeichnet man in Palermo:
Alles besetzt! Es gibt laut der Präfektur so wenige Plätze, dass etliche
Migranten Gäste in der Kirche oder in Einrichtungen sind, die von der Caritas
zur Verfügung gestellt werden: Notfall des Notfalls!

In Palermo sind im Juni 2014 3 Schiffe mit
insgesamt 1200 Personen an Bord angekommen, zu denen noch die ca. 800 schon Anwesenden
hinzukommen; natürlich abzüglich der Personen, die irgendwo anders hin verlegt
wurden oder, wie man sagt, jene, die sich freiwillig entfernt haben.

Palermo scheint mehr und mehr mit dem
Phänomen vertraut zu werden. Seit 26. Februar gibt es beispielsweise eine territoriale
Unterkommission, die schon ungefähr 350 Personen angehört hat (viele, die aus
Mali, Senegal, Gambia kommen), auch wenn noch ca. 500 Migranten auf ihre
Anhörung warten zuzüglich derjenigen, die noch ankommen werden.

Und unterdessen machen sich die Migranten auf
den Weg nach Palermo und hoffen einem „Freund“ zu begegnen, der ihnen hilft,
die Hölle zu verlassen, in der sie untergebracht waren, oder ein Dokument zu
bekommen, das es ihnen erlaubt, ihrem endgültigen Ziel entgegen zu reisen; und
in der Zwischenzeit besichtigen sie die Stadt, faszinierend schön, aber für
einen Migranten auf der „Durchreise“ immer auch ein Knast mit offenem Himmel.

Die Redaktion von Borderline Sizilien NGO

(Aus dem Italienischen von Rainer Grüber)