Ganz im Stil der Mafia
Sie machen Gesetze, um diejenigen zu kriminalisieren, die Menschen retten. Sie lenken die mediale Aufmerksamkeit auf die Migrant*innen. Und unterdessen säen sie weiterhin mit Erfolg Hass und kümmern sich nicht um Menschen, die sterben. Die Mafiosi von früher begruben im Zement, die heutigen beerdigen im Meer. Sie bringen Männer, Frauen und Kinder nach Libyen zurück, und verurteilen sie somit dazu, wieder in die Hölle zu geraten, aus der sie geflohen sind. Sie tun das in absolut rechtswidriger Weise und jenseits jeder internationalen Norm.
Vor wenigen Tagen hat der Ermittlungsrichter von Trapani mit seinem Urteil zwei Migranten wegen Notwehr freigesprochen. Sie hatten sich gegenüber der Besatzung eines Handelsschiffes geweigert, sich nach Libyen zurückführen zu lassen. Der Richter hat das libysche Szenario und die derzeitige Gefahr, der Menschen in dem Augenblick ausgesetzt werden, in dem sie in die Gefangenenlager zurückgebracht werden, sorgfältig rekonstruiert: Dort würden sie erneut Folter, Missbrauch, Gewalt und Bedingungen am Rande des menschlichen Überlebens unterworfen. So hat er auch die Wirksamkeit und die verfassungsmäßige Abdeckung des Abkommens zwischen Italien und Libyen hinterfragt, da es dafür keine Ratifizierung durch das Parlament gibt.
Wir sind die Auftraggeber für tausende von Morden. Der unermüdliche Kampf gegen die NGOs verfolgt das alleinige und ausschließliche Ziel, dieses andauernde Massaker unter dem Schweigen des Meeres zu beerdigen.
Auf die gleiche Art wird der Kampf gegen den Bürgermeister Lucano geführt, der gezeigt hat, dass ein anderes Modell der Aufnahme möglich war. Dafür ist er in die Verbannung geschickt und verleumdet worden. Und nachdem das Werk vollendet war – wir weisen darauf hin, dass aktuell die Lega die stärkste Partei in Riace – ist über alles wieder der Mantel des Schweigens gelegt worden. So ist es dem Staatsanwalt Patronaggio ergangen, der nur seine Pflicht getan hat. Aber wenn dies bedeutet, das mafiöse System in Frage zu stellen, dann schicken sie dir einen Umschlag mit Patronen und drohen damit, deine Söhne umzubringen.
Das Ziel ist, jede Stimme der Missbilligung zum Schweigen zu bringen, koste es, was es wolle: angefangen bei den internationalen Agenturen, die sich erlauben, die Politik der Regierung zu kritisieren bis hin zum Papst und den Priestern, die in Übereinstimmung mit der Lehre des Evangeliums darauf beharren, dass jedes menschliche Wesen heilig ist und verteidigt werden muss.
Italiener*innen zuerst
Italien wird seit Jahren nicht regiert, sondern nur „ausgeplündert“. Das geschieht dadurch, dass die Territorien zerstört und die örtlichen Körperschaften in die Krise gestürzt werden. Auf diese Art und Weise sind 15.000 Arbeitsplätze für junge Leute verschwunden, denen damit ihre Hoffnung auf eine Zukunft zerstört wurde.
Junge Leute wie Andrea und Sonia, die in einigen CAS* in Palermo und in der Provinz gearbeitet haben. Sie sind jetzt gezwungen, sich eine andere Arbeit zu suchen und ihre Hochzeit zu verschieben. „Ich habe mehrere Universitätsabschlüsse, und ich werde nicht mal für Jobs in Call-Centern genommen, weil ich überqualifiziert bin. Auf den Posten, die zählen, sitzen die Freund*innen der Politiker*innen und Mafiosi. Also muss ich weiter die Jugendlichen begleiten, weil es in den Zentren niemanden mehr gibt. Da gibt es Formen der Selbstverwaltung und in einigen Fällen sind es die älteren Bewohner*innen, die für die Neuangekommenen die Rolle der Mediator*innen einnehmen.“
Trotz der Propaganda füllen sich die CAS* weiterhin, sei es wegen der sogenannten Geisteranlandungen (mehr als 700 Ankünfte ohne Vorankündigung direkt an den Küsten), sei es wegen der Schließung des CARA* von Mineo. Das Paradoxon, das die Existenz dieses Zentrums charakterisiert, besteht bis in seine letzten Tage: Darin verblieben sind nur besonders schutzbedürftige Personen, die ohne Mitarbeiter*innen umherstreifen, weil diese entlassen wurden, mit einer Mensa, in der es nicht genug zu essen gibt.
Krisengeschüttelte Aufnahme
Die besonders Schutzbedürftigen streifen nicht nur durch das CARA von Mineo sondern auch durch verschiedene Städte wie Palermo. Dort gibt es hunderte von Jugendlichen in einem Zustand psychischer Verwundbarkeit. Sie schlafen unter einer Kolonnade oder einer Brücke, Jugendliche, die oft ’verrückt werden’, weil sich niemand um sie kümmert, wie es vorher in den Zentren getan wurde. Jugendliche wie A., mit subsidiärem Schutz, der Recht auf einen Platz in einem SIPROIMI* hätte. Er hat aber wegen des zentralen Dienstes keinen Zugang dazu; denn es gibt keine Plätze. Viele Kommunen haben seit mehr als einem Jahr vom Ministerium keine Gelder für Unterbringungsprojekte für Minderjährige bekommen. Sie geraten unter Druck und können die Kosten nicht mehr tragen.
Die gleichen kriminellen politischen Machenschaften haben einige rechtswidrige Praktiken in den CAS* befördert. Viele junge Leute aus dem CAS* von Corleone, geführt von der Kooperative Azione Sociale, haben Kontakt mit uns aufgenommen, weil sie Probleme mit der Wasserversorgung haben. Wie sie sagen, gibt es tatsächlich nicht einmal Trinkwasser. Um sich mit nicht trinkbarem Wasser zu versorgen, müssen sie sich auf einen großen Sammelbehälter hieven und Eimer zum Schöpfen benutzen. Wegen des Wassermangels wird das Zentrum nicht geputzt. Das zieht entsprechende hygienische Probleme nach sich und der Schimmel macht sich in Gängen und Zimmern breit. Die Abwesenheit von Mediator*innen und Kleidung vervollständigt das Bild. Das Bild ist nicht viel anders als in dem anderen Zentrum von Azione Sociale in Carini. Auch dort herrscht Feuchtigkeit und Wassermangel.
Weitere Kritikpunkte gehen aus den Aussagen hervor, die über das Hotel Firenze im historischen Zentrum von Palermo gesammelt wurden: Ein Zentrum, das eine Renovierung dringend benötigt, weil es alt ist, feucht, und nicht ausreichend möbliert. Auch hier ist das Wasser ein Problem, und es gibt keine Mediator*innen. Wir haben eine starke Delegation Jugendlicher aus dem CAS* Pozzo di Giacobbe getroffen, auch aus Palermo. Sie behaupten, dass sie seit mehr als sechs Monaten kein Taschengeld mehr bekommen haben. Es handelt sich um dieselbe Kooperative, die das CAS* Turba verwaltet. Dies wurde nach Protesten wegen der fehlenden Auszahlung des Taschengeldes geschlossen. Der Protest führte zur Anzeige gegen fünf Jugendliche.
Situationen, die sich mit einer bestimmten Regelmäßigkeit in anderen, zu vielen CAS* wiederholen. Und, um nichts auszulassen: In der Zwischenzeit geben wir weiterhin öffentliche Gelder aus, um die CPR* von Milo und Pian del Lago zu sichern und zu Nicht-Orten zu machen. Dort gehen die Revolten genau deshalb weiter. Diese Gefängnisse ohne Hoffnung treiben Menschen zu gewalttätigem Verhalten und zu Protesten, wie es in Milo vor einigen Tagen geschehen ist.
Die Mafia verbreitet verbranntes Land um sich und das mafiöse System, das viele europäische Regierungen unterstützen, trifft vor allem die Schichten, die über wenige Privilegien verfügen, und besonders junge Menschen. „Die Italiener*innen zuerst“ – von wegen! Oder vielleicht trifft das doch den Nagel auf den Kopf: sie haben Recht damit, dass die Italiener*innen die ersten sein werden, die sehen, wie ihre Rechte zertreten werden.
Wir müssen jeden Tag mit ansehen, wie Freunde und Freundinnen, Aktivisten und Aktivistinnen, die seit Jahren für eine bessere Stadt kämpfen, die dafür kämpfen, die Letzten dieser Gesellschaft zu unterstützen und zu begleiten, weggehen müssen, um eine Zukunft zu haben: Giovanna, Tania, Manuel, Khadim, Davide und viele andere. Mit Worten und im Fernsehen bekämpfen wir die Mafia, mit den Taten machen wir das Gleiche wie die Mafiosi: Wir eliminieren diejenigen, die uns stören.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
*CAS – Centro di accoglienza straordinaria: außerordentliches Aufnahmezentrum
*CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*SIPROIMI – Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati: Schutzsystem für Menschen mit anerkanntem Asylstatus und unbegleitete minderjährige Ausländer (in der Nachfolge der SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Geflüchtete dienen.
*CPR – Centro di permanenza per il rimpatrio: Aufenthaltslager zur Rückführung (früher: CIE – Zentrum zur Identifikation und Ausweisung)
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber