Die neuen CAS* in der Provinz, versteckt zwischen Hügeln und Bergen: “Migrant*innen immer mehr allein und ausgegrenzt und dadurch noch erpressbarer”
MeridioNews.it – Die neuen Aufnahmezentren, die nach der Ausschreibung der Präfektur eröffnet wurden, um Ausländer*innen aufzunehmen die internationalen Schutz beantragt haben, sind weit weg von den Städten errichtet worden. „Die Absicht ist diese Menschen zu verstecken“, klagt Alberto Biondo von Borderline Sicilia. „ Es ist wie eine Fabrik, die unsichtbare Immigrant*innen produziert“.
Castellana, Collesano, Geraci, Isnello, Palazzo Adriano, Ciminna, San Cipirrello, Villafrati, Marineo e Godrano: Das sind nur einige der Gemeinden der Provinz Palermo, in denen nach der Ausschreibung der Präfektur Palermo neue Außerordentlichen Aufnahmezentren für Migrant*innen eröffnet worden sind. Ein zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Wert von 19 Millionen Euro, der einen mühseligen Lauf hinter sich hatte – die Ausschreibung wurde zum Teil abgeändert und neu veröffentlicht und ist mit Verspätung zu den angekündigten Zeiten gestartet. Ehrenamtliche und im Bereich der Immigration Tätige hatten bereits ihre Zweifel an der Prozedur geäußert.
„Es handelt sich um CAS*, die zwischen Bergen und Hügeln versteckt sind – sagt Alberto Biondo von Borderline Sicilia -, die dafür da sind, diese Menschen zu verstecken. Neue und alte Genossenschaften haben Zentren eröffnet, zwischen Wäldern und Agriturismi*, weit weg von Städten und Dörfern“. Die Ausschreibung besteht aus 4 Teilen: einer speziell für die Stadt Palermo und voraussichtlich drei weitere für die Gemeinden der Provinz. Ein Protokoll der Präfektur, das am vergangenen 3. Oktober veröffentlicht wurde, hat bis zum 30. September 2018 „ die Aufnahme der ausländischen Bürger*innen, die den internationalen Schutzstatus beantragt haben“ an die Gewinner des Wettbewerbs vergeben. Jedoch haben sich die eingereichten Bewerbungen so gut wie nie auf Palermo und die Provinzstädte bezogen, sondern haben vielmehr die umliegenden Gebieten betroffen. Das führt dazu, dass derjenige/diejenige, der/die hierhin geschickt wird, früher oder später wieder die Flucht aufnimmt: Die Migrant*innen haben hier keine Bezugspunkte, keinen Kontakt zu den Einheimischen, nichts zu tun und daher ziehen sie es vor, in die Illegalität zurückzugehen. Biondo gibt ein konkretes Beispiel hierzu:“ In Baita del Faggio, die eine Berghütte in Piano Battaglia ist – erzählt der Operateur – gibt es ein CAS*: Die Menschen, die dort untergebracht sind, werden nie einen Rechtsanwält*in oder eine*n Psycholog*in sehen. Die Fachleute, die den Migrant*innen zur Seite stehen und ihren Weg begleiten sollten, werden nicht dorthin fahren, weil es sich nicht lohnt“.
Wie erklärt sich diese Entwicklung? Borderline Sicilia hat eine Vermutung: „Wie immer sind es die Migrant*innen, die die Kosten der Isolation zu tragen haben: Nicht nur physische, sondern vielmehr soziale Isolation. Niemand will die Migrant*innen in seiner Mitte haben und die Proteste nehmen immer mehr zu, sei es in den Städten, in den Dörfern oder in den Stadtvierteln. Die letzte Episode fand vor einigen Tagen im Viertel Aquasanta in Palermo statt, wo die Anwohner*innen auf die Straße gegangen sind, um die Eröffnung eines CAS* für 80 Migrant*innen zu blockieren, das von der Genossenschaft La Fenice verwaltet wird.“ Leider scheint sich die Lage in der Stadt auch nicht zu verbessern. „Die Zentren, die in der Stadt Palermo eröffnet wurden – erzählt Biondo weiter – haben den einzigen Vorteil, dass dort versucht wird, einen Integrationsweg zu ermöglichen. In der Ausführung ihrer Dienstleistung folgen sie jedoch der Logik der Vernachlässigung – entweder wegen der hohen Fluktuation im Team, oder weil das Personal teilweise sehr jung und unerfahren ist. Natürlich betrifft das nicht allen Genossenschaften, aber die meisten arbeiten nach diesem Muster: Es gibt eine*n Leiter*in, zwei oder drei Fachleute und dann nur ungelernte Kräfte. Es scheint mehr ein Eindämmungsgedanke dahinter zu stecken, als dass es sich um eine tatsächliche Begleitung bei der Tätigkeit der Zentren handelt“.
Derartige Arbeitsbedingungen schlagen sich unvermeidlich auf die Leistungen nieder und das wiederum geht zu Lasten der Migrant*innen, die vor extremer Armut oder Krieg fliehen und in einer sehr prekären Lage und äußerst verwundbar sind. Das von Borderline Sicilia gezeichnete Bild ist sehr düster. „Wenn ich heute in einer Genossenschaft zu arbeiten anfange, bekomme ich einen Vertrag für 18 Stunden die Woche“ erklärt Biondo. „Dann stellt sich aber heraus, dass ich 40 Stunden die Woche arbeiten muss und dass der Lohn mit Verspätung ausgezahlt wird. Somit wird die Frustration für die Beschäftigten immer größer und wenn der/die Gambianer*in oder der/die Nigerianer*in zum wiederholten Mal nach seinen Papieren fragt, werde ich, der auch ausgebeutet wird, ihm unfreundlich antworten. Es ist ein Teufelskreis!“
Zusammenfassend lässt sich sagen, „dass es sich um einen Mechanismus handelt, der ad hoc geschaffen wurde um neue Sklaven zu produzieren. Wir als Borderline prangern schon seit Langem diese Fabrik der Immigration an, die unsichtbare Menschen produziert, Menschen ohne Rechte, die einfach zu erpressen sind und die dann uns allen auf den Feldern oder als illegale Altenpfleger*innen dienen“.
Andrea Turco
*CAS – Centro di accoglienza straordinaria – Außerordentliches Aufnahmezentrum
*Agriturismo: touristische Einrichtung