Die Kunst der Improvisation: Ostermontag und die jüngsten Landungen in Palermo

„Undankbare Migrant*innen, die sich gegen unsere Traditionen stellen, haben den Feiertag ausgenutzt, um zu protestieren: ein unsinniger Protest, angesichts dessen, dass wir immer weiter alles für sie tun, ihnen das Geld geben, das eigentlich für unsere Kinder und Alten da ist“. Das ist die Meinung einer der vielen Personen, wie wir am Dienstagvormittag in Palermo auf der Straße getroffen haben, um über die Ereignisse am vergangenen Montag im Erstaufnahmezentrum Via Monfenera zu diskutieren.

Diese wiederkehrende Meinung unter den Einwohner*innen des Viertels von Palermo Villaggio Santa Rosalia ist deutlich. Sie steht der Meinung derjenigen gegenüber, die ein wenig weiter denken und wahrnehmen, dass der Ausnahmezustand nicht etwa aus humanitärer Sicht erklärt wird, sondern allein ökonomischen Zwecken dient: „Es ist der Klüngel … an den die Kohle geht.“ So lautet unter Tränen der Ausschrei eines älteren Herren aus Palermo, während wir mit den jüngeren anwesenden Leuten diskutieren. Er kann nicht verstehen, dass die Geldmengen, von denen er spricht, keineswegs in die Taschen der Migrant*innen fließen.

Der Verein Asante, der seit Dezember vergangenen Jahres in dieser Richtung aktiv ist, hat seit der Landung vom 28. Dezember 2015 schon mehr als 120 unbegleitete Minderjährige aufgenommen. Von Anfang an hatte die Aufnahmeeinrichtung diverse Probleme angesichts dessen, dass das Gebäude, ein ehemaliges Hotel, in großer Hast eröffnet worden war. Dies war in Reaktion auf einen der unzähligen Notfälle im Zusammenhang mit unbegleiteten Minderjährigen im Zuge der Landungen im Hafen von Palermo geschehen. Die Folgen der fehlenden Planung waren nicht sehr ermutigend gewesen. Die unvorbereitete Stadtverwaltung hatte ein großes Einkaufszentrum als Unterbringungsort für die unbegleiteten Minderjährigen genutzt. Sie hatte weder die Weitsicht noch die Vernunft aufgebracht, differenzierte Projekte ins Leben zu rufen, die eine angemessene Unterkunft für besonders Schutzbedürftige geboten hätten. Die Fehler der Stadt sind offensichtlich, und fehlende Gelder taten den Rest. So wurde das heiße Eisen dem Verein Asante zugeschoben. Dieser war darauf offensichtlich unvorbereitet und schaffte es nicht, die durch Andere geschaffenen systematischen Versorgungslücken zu füllen.

Und am Ostermontag geschah das Vorhersehbare: Das Notfallsystem brach zusammen und die vor wenigen Wochen gelandeten Minderjährigen wurden mit den bereits im Zentrum befindlichen Bewohner*innen auf engstem Raum zusammengelegt.
Die Minderjährigen beschweren sich über die Unmöglichkeit, mit 250 Menschen in einem einzigen Zentrum zu leben, wo nur nachts zwei Mitarbeiter*innen anwesend sind. Die Probleme im Zentrum von Via Monfenera sind die gleichen wie in allen Zentren für Minderjährige: Die Unterbringungsdauer ist viel länger die gesetzlich festgelegten 60 Tage, verlängerbar auf 90. Je länger die Minderjährigen in den Einrichtungen der Erstaufnahme verbleiben und auf ihre Verlegung in spezielle Einrichtungen warten, umso mehr nähert sich ihre Volljährigkeit. Dies, ohne dass sie Programme zur sozialen Eingliederung und zum Schutz durchlaufen. Allzu oft müssen die Minderjährigen die Prozedur des Asylantrags neu aufnehmen, aber dieses Mal ohne die für unbegleitete Minderjährige vorgesehenen Schutzmaßnahmen. Das legt die Flucht als beste Lösung nahe. Das Ergebnis? Rund 6000 unauffindbare Minderjährige innerhalb des Landes.

Aus verschiedenen Gründen sind seit Dezember (Datum der Eröffnung des Zentrums) nur sehr wenige Minderjährige aus Via Monfenera verlegt worden. Doch diese Politik hat gewiss nichts anderes verursacht, als den Druck zu erhöhen, zu fliehen und durch die Maschen des institutionellen Schutzes zu schlüpfen. Tatsache ist, dass zu den im Dezember untergebrachten Minderjährigen im März Weitere, mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, hinzu gekommenen sind. Man hätte sich leicht ausmalen können, dass all dies die Gemüter der zuerst Angekommenen so sehr erhitzt, dass es zu Protestaktionen kommt.
Fest steht, dass das Missmanagement und das Fehlen einer ernsthaften Planung die Arbeit der auf dem italienischen Gebiet tätigen Schleuser leicht machen. Ihnen wird der Weg geebnet, sie ziehen ihren Vorteil aus unserer improvisierten Migrationspolitik, die als Ziel nur die Verteidigung unserer Grenzen hat.

Wie kann man vom friedlichen Zusammenleben von 250 unbegleiteten Minderjährigen ausgehen, die Opfer von Folter sind, Gewalt erlitten haben, die eine Reise mit dem Tod vor Augen hinter sich haben? Früher oder später wird trotz des guten Willens der Mitarbeiter*innen des Zentrums die unhaltbare Situation das Fass zum Überlaufen bringen. Im übrigen haben uns die Bewohner*innen erzählt, dass sie keine Erstaufnahmekits erhalten haben, keine angemessene Kleidung, dass Übersetzer*innen und Kulturmittler*innen fehlen, sowie überhaupt eine ausreichende Zahl von Mitarbeiter*innen, zudem offensichtlich Antworten auf Fragen rund um nicht gewährte Aufenthaltspapiere.
Am Ostermontag griff die Polizei ein, wohl um die Gemüter zu „beruhigen“. In Kampfausrüstung räumte sie die Straße, die die Migrant*innen blockiert hatten. Gegenüber den Reaktionen einiger Bewohner des Stadtviertels auf die Proteste der Minderjährigen versuchte sie die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

Das liegt daran, dass die von den Bewohner*innen des Zentrums erlebten und vorgebrachten problematischen Umstände von manchen Einheimischen als Gewalt gegenüber Land und Traditionen empfunden werden. Das zeigt, wie wichtig der Dialog mit dem Stadtviertel ist, genauso wie eine würdige Aufnahme der Migrant*innen, wenn man potenziellen sozialen Sprengstoff vermeiden will. Die Politik bringt allzu oft Kriege zwischen den Armen hervor und wenn man nicht ernsthafte Projekte anstößt, werden sich die Proteste beider Parteien fortsetzen.

In den folgenden Tagen war die Situation ruhiger, doch die Kritikpunkte am Aufnahmesystem sind angekommen, sowohl von Seiten der Migrant*innen, die lautstark Respekt, Würde, Beachtung und Aufenthaltspapiere einfordern, als auch von Seiten derer, die in diesen oder für diese Strukturen arbeiten, wie zum Beispiel die Polizeigewerkschaften, die ihre Stimmen erhoben und statt Massenunterkünften einen würdige Aufnahme forderten, oder einige Angestellte, die zugeben mussten, wie improvisiert alles ist. „Wir haben Schwierigkeiten aufgrund der Notlage, wir haben Probleme mit den Erstaufnahmekits, und es fehlt bei uns manchmal an Professionalität, denn man bemerkt auf den ersten Blick Dinge, die oft kontraproduktiv sind. In diesen Zentren mit diesen extremen Spannungen braucht man erfahrene Mediator*innen, die nicht leichter den Kopf verlieren als diejenigen, die zahlreiche Probleme haben. Die Migrant*innen müssten rund um die Uhr psychologisch und rechtlich betreut werden, und nicht allein Essen und ein Bett erhalten. Die jeweils zuständigen Stellen, von der Stadt über die Jugendgerichte bis zu den Sozialarbeiter*innen, sollten sich umfassend und schnell um die Verlegungen kümmern, die stattdessen schubweise kommen.“

Auf die Proteste folgten einige wenige Verlegungen, und im Zentrum fühlt es sich an wie in einem Vulkan. Die Stadt hat keinerlei Ortstermin durchgeführt, und nach Meinung einiger Mitarbeiter*innen sind neue und noch wütendere Proteste der durch die endlose Wartezeit verbitterten Bewohner*innen zu erwarten.

Unterdessen kamen heute am späten Nachmittag im Hafen von Palermo 364 Migrant*innen an, darunter zwei schwangere Frauen und fünfzig Minderjährige ohne Begleitung, alle überwiegend aus Mali, Senegal und Gambia. Auch jetzt liegt das Problem in der Erstaufnahme der Minderjährigen angesichts der überkommenen Situation fehlender Plätze. Nur dank des Eingreifens der Caritas als Lückenbüßerin wurde eine Lösung für fast alle (35) gefunden. Währenddessen war allen die mittlerweile übliche Vorgehensweise vorbehalten: die Identifikation in einem Lager im Freien beim Polizeipräsidium der Hauptstadt bis spät in die Nacht (während wir schreiben, befinden sich die jungen Leute immer noch bei der Ausländerbehörde).

Die Erwachsenen wurden noch am gleichen Abend mit Bussen nach Trapani gebracht (zum Hotspot) und zum CARA (Sammellager für Asylsuchende) von Mineo. Schon am Hafen hielt die Einsatzgruppe zwei mutmaßliche Schleuser aus Subsahara-Afrika fest, sowie mehrere Zeug*innen, überwiegend aus dem Maghreb, deren Aussagen heute Abend auf dem Polizeipräsidium aufgenommen werden.

Währenddessen haben die Minderjährigen weiterhin keine Hoffnungen und bekommen keine Antworten. Und so flüchten sie, und es bleibt uns nichts als zu hoffen, dass sie nicht in falsche Hände geraten.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia Onlus

Übersetzung von Johannes Majoros-Danowski