Die Geschichte von Joy, Opfer von Menschenhandel, und von Agata, die sie bei sich aufgenommen hat
Redattoresociale.it – In der Kathedrale von Palermo findet eine Andacht zum Internationalen Tag gegen den Menschenhandel statt. Der Bischof Corrado Lorefice: „Der Bericht dieser Frau, die ein nigerianisches Mädchen aufgenommen hat, zeigt, dass sich im lärmenden Bösen auch stilles Gutes finden lässt.“
PALERMO – „Ich weiß jetzt, dass es neben bösen Menschen auch gute gibt.“ Mit diesen Worten begann der Bericht von Joy, einem jungen Mädchen aus Nigeria, während der Andacht anlässlich des Internationalen Tages gegen den Menschenhandel in der Kathedrale von Palermo. Sie berichtete, wie sie sich aus den Fängen von Menschhändlern reißen konnte, die sie zwangen, ihren Körper auf der Straße zu verkaufen. Im Anschluss hat Agata das Wort ergriffen, die Dame, die den Mut gehabt hat, das Mädchen mithilfe eines Netzwerks gegen Menschenhandel bei sich aufzunehmen. „Es ist schon das 4. Jahr, in dem wir beten und über die traurige Realität nachdenken“, sagt Schwester Paolina Fernanda Di Monte, Organisatorin und Pressesprecherin des Events. „Papst Franziskus hatte diesen Tag gewählt, um der Heiligen St. Bakhita zu gedenken, der sudanesischen Schwester, die selbst als junges Mädchen Opfer von Menschenhandel geworden war. Die Andacht ist allen Migrant*innen gewidmet, die eine schnelle Globalisierung mitmachen müssen. Der Kampf gegen Menschenhandel kann nur wirksam sein, wenn man ihn in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Fluchtursachen bringt und die stetigen Veränderungen des internationalen politischen und sozialen Kontexts berücksichtigt.“
„Ich kam vor 5 Jahren nach Italien. Ich hatte die Hoffnung, hier Arbeit zu finden – so wurde es mir gesagt. Aber ich wurde betrogen. In meinem Land war das Leben schwer. Mein Traum war es, mir eine andere Zukunft zu ermöglichen. In Libyen habe ich gesehen, wie junge Frauen wie ich vergewaltigt wurden, wie viele andere starben. Ich dachte, dass es mich eines Tages auch treffen könnte. Gott sei Dank habe ich es geschafft,“ sagte Joy. „Ich bin heute hier und spreche zu Euch. Das ist ein Geschenk Gottes, denn Er hat mir die Kraft gegeben, mich von den Menschen loszusagen, die mir Böses antun wollten. Nur Er ist der Grund, nicht etwa, weil ich besser bin als andere Menschen oder gerechter als meine Mitflüchtenden, die weniger Glück als ich hatten. Heute habe ich zugleich eine Schwester und eine Mutter, die sich um mich kümmert und das schenkt mir viel Freude. Es kommt nicht darauf an, wo Du herkommst, sondern Dein Wille, Dein Leben und das der anderen zu verbessern.“
“Ich bin Musikerin und so hatte ich die Aufgabe bekommen, Joy bei mir aufzunehmen und sie in meinen Gospelchor einzuführen“, erzählt Agata, sichtlich ergriffen. „Mit der Zeit verstand ich, dass Joys Weg ein schwieriger gewesen war und vor Kurzem ein schlechtes Ende gefunden hatte. Sie brauchte weitaus mehr als einen Chor. Als ich mich dazu entschloss, sie zu Hause aufzunehmen, rieten mir viele von diesem Vorhaben ab. Andere hielten mich für verrückt. Ich blieb bei meiner Entscheidung. Jetzt ist ein Jahr vergangen und es ist, als hätte ich mit Joy eine Tochter aufgenommen. Dank ihr begreife ich erst, dass es eine wunderbare Erfahrung ist, Mutter zu sein.“
„Der Menschenhandel und insbesondere der Handel mit Migrant*innen sind Phänomene unserer Zeit, die sich überschneiden und überlappen,“ so berichtete eine Ehrenamtliche aus dem Bereich der Migration. „Oft beginnt eine Flucht als Migration und mündet in Ausbeutung oder Sklaverei, sobald der*die Betroffene im Zielland ankommt. Die Schutzbedürftigkeit führt sie ein Netz, in dem sie in Knechtschaft landen.“
Während der Andacht, an der weltliche und geistliche Vertreter*innen teilgenommen haben, wurden verschiedene Gegenstände an den Altar gebracht, die symbolisch für die Reise der Geflüchteten stehen: ein Boot aus Pappe, zwei Rettungsjacken und einige Kokosnüsse. Vorsitz über die Andacht hatte der Erzbischof Corrado Lorefice in Zusammenarbeit mit Ahmad Francesco Macaluso, Vertreter der muslimischen Religionsgemeinschaft Siziliens.
„Je mehr wir den Begriff des Nächsten vergessen und nur auf uns selbst konzentriert bleiben“, erklärt der Erzbischof Lorefice mit Nachdruck, „desto mehr verlieren wir auch den tieferen und existenzielleren Sinn für den Grund unserer Existenz, nämlich die Bindung zu unseren Nächsten. Dies wird von den jüngsten Ereignissen bestätigt. Der*die Nächste lehrt uns, dass wir ihn lieben und aufnehmen müssen. Fragen wir uns heute doch, inwieweit wir dazu fähig sind, unseren Brüdern und Schwestern nah zu sein. Die Geschichte von Joy zeigt, dass sich im lärmenden Bösen auch stilles Gutes finden lässt. Es müssen Bedingungen herrschen, die dem Guten die Möglichkeit geben gegen den Strom zu schwimmen, um herauszustechen und erzählt zu werden, damit andere es zum Vorbild nehmen können.Wir müssen uns auch der Aufgabe widmen, Orte zu schaffen, die den Opfern von Menschenhandel ihre Unterstützung bieten können, und ich bin zuversichtlich, dass es in unserer Stadt bald möglich sein wird, derartige Einrichtungen zu eröffnen. Darüber hinaus denke ich, dass jeder von uns die Aufgabe hat, mit Initiativen und persönlichen Entscheidungen Gutes zu verbreiten und davon zu erzählen, wie es heute Abend geschehen ist. Diese Handlungen zeugen von einem wahren christlichen Weg.“
Übersetzung aus dem Italienischen von Alma Freialdenhoven