Der berühmte Eindringling
Vor drei Tagen wurde unserer Redaktion zum wiederholten Male ein Aufnahmezentrum gemeldet. Stärker als sonst stellten wir uns die Frage, wie wir mit dieser Anzeige umgehen und welches Gewicht wir ihr beimessen sollen, denn dieses Mal übertrifft die Realität ein Drehbuch für eine TV-Fiction.
Im letzten Februar wurden in Palermo eine Reihe von Aufnahmezentren geschlossen, darunter zwei Unterkünfte, die dem Konsortium Kronos von Palermo angehörten, Terra Ferma und Nuova Luna, beide in der Via Poggio Ridente.
Bis hierhin wäre das nichts Außergewöhnliches, zumal diese Unterkünfte wegen der dortigen Probleme unter Beobachtung gestellt worden waren, sowohl von offiziellen Institutionen wie von humanitären Organisationen. Die Gemeinde Palermo nahm Inspektionen vor und wie es scheint auch die Staatsanwaltschaft.
In der Vergangenheit gab es Berichte über unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die ihre Unzufriedenheit mehr oder weniger gewaltsam zum Ausdruck gebracht hatten, indem sie Türen, Fenster und Hausrat zerstörten.
Diese Unduldsamkeit ist wahrscheinlich auf die ungünstige Lage der Unterkünfte im palermitanischen Hügelland und auf die schlechte Anbindung durch öffentliche Verkehrsmitteln in die Innenstand zurückzuführen. Lediglich der private Kleinbus des Betreibers stand zur Verfügung, wurde aber anscheinend nur selten benutzt, da „man den Gürtel enger schnallen musste“. Die Jungs waren folglich sich selbst überlassen und lebten isoliert, zusammen mit übermüdeten und entmutigten Angestellten, die keinen Lohn erhielten und mit ständigen Umwälzungen der Leitung konfrontiert waren.
In den Unterkünften war es kalt, es gab keine Heizung, Schimmel an den Wänden, schlecht funktionierende Toiletten (nur zwei für 30 Jugendliche) mit erbärmlichen hygienischen Bedingungen. Auch warmes Wasser war lediglich ein Wunschtraum. Um sich zu waschen mussten die Jungs erst Wasser heiß machen und dann mit Flaschen über ihre Körper gießen. Es war kein Bildungsprogramm vorgesehen und somit verbrachten sie ihre Tage unter schmutzigen Bettlaken und Decken (für den Winter ungeeignet), um nicht unter der Kälte zu leiden. Nach der Schließung der Einrichtungen konnte man dank des Eingreifens der Sozialdienste der Gemeinde und einiger NGOs die 30 Jugendlichen in anderen Einrichtungen unterbringen, vor allem die gerade erst volljährig gewordenen, die man in Palermo bereits aus Gewohnheit auf die Straße wirft und sich selbst überlässt.
Die Besonderheit dieser Anzeige ergibt sich daraus, dass mit den 30 unbegleiteten Minderjährigen auch ein älterer Herr mit psychischen Problemen gewohnt haben und dort als „Ehrenamtlicher“ zugegen gewesen sein soll.
Es scheint unglaublich, aber ein alter Herr mit psychischen Problemen soll drei Jahre lang, Tag und Nacht, mit den Jugendlichen zusammengelebt haben, die sich oft und gern um diesen gekümmert haben sollen. Ein alter Herr, der laut der Anzeige der Vater eines namenhaften palermitanischen Politikers sein soll, der diesen dieser Einrichtung überlassen haben soll um von einem Freund „aufgenommen“ zu werden, von der Bezugsperson des Konsortiums, dem Kronos angehört.
Ein älterer „Ehrenamtlicher“, präsent und aktiv, da er seit drei Jahren in Poggio Ridente mit den Jugendlichen gelebt, gegessen und ferngesehen haben soll. Abends zog er sich nach unseren Erkenntnissen in den Teil der Unterkunft zurück, in dem auch die Büros gelegen waren.
Die Erzieher*innen dieser Einrichtung waren anscheinend verpflichtet, täglich dem älteren Herrn seine Medizin zu verabreichen, ohne dass ihnen jemals erklärt worden wäre, woran er erkrankt war oder warum er sich dort dauerhaft aufhielt.
Die Verbindung mit den anderen Bewohnern der Unterkunft wäre wohl dermaßen gut gewesen, dass der ältere Herr letztes Jahr seinen Geburtstag zusammen mit den Jugendlichen gefeiert haben soll.
Nach der Schließung der Einrichtungen soll der alte Mann trotzdem dem Konsortium treu geblieben sein und heute seine Aktivitäten als Ehrenamtlicher in einer anderen Einrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete fortführen. Auch bei diesem neuen Abenteuer schlafe er in der Einrichtung, Casa Marconi, diesmal nicht mehr in einem Nebengebäude, sondern im 5. Stock, in Zimmer 513, wie uns gemeldet wurde.
Die Geschichte ist paradox und filmreif, eines Drehbuchs würdig, in dem der „beschäftigte“ Politiker, der Chef der Kooperative als Freund vorkommen und im Hintergrund eine Aufnahmeeinrichtung für Minderjährige, die immer mehr sich selbst überlassen wird, was nicht nur auf Einrichtungen in Palermo zutrifft.
Redaktion Borderline Sicilia
Übersetzung von Jutta Wohllaib