Wieder Landungen in Augusta und Pozzallo – aber die Reise der Migranten ist hier nicht zu Ende
Am letzten
Wochenende wurden an den Küsten Siziliens etwa 940 Migranten in 8 verschiedenen
Operationen gerettet. 258 von ihnen sind
am Morgen des 7. November an Bord der belgischen Fregatte Leopold I, eines der
Schiffe der Mission EU Navfor Med*, in Augusta angekommen. Schon berichten
die Medien nur über die Verhaftung von 4 vermutlichen Schleppern und schweigen
über das Schicksal der anderen Angekommenen, die vermutlich in die nächstgelegenen
Zentren verteilt werden. Es sind zudem an die 713 Migranten, die am gleichen
Tag an Bord der «Diciotti», eines Schiffes der italienischen Küstenwache, in
Pozzallo ankommen.
Deren für 14 Uhr
vorgesehene Ausschiffung begann erst im Laufe des Nachmittages und zog sich im
Regen bis spät am Abend hin. Am Pier waren das Rote Kreuz, der Zivilschutz,
Ärzte ohne Grenzen, Save the Children, Terre des Hommes und viele
Ordnungskräfte vor Ort – ebenso
Mitglieder von Frontex und Beamte von Europol, die hier ihrer Tätigkeit im
Einvernehmen mit der italienischen Polizei nachgehen. Die Migranten kommen aus
Ghana, Nigeria, Senegal, Marokko, Somalia, Palästina, Mali, Eritrea, dem Sudan,
aus Algerien und Syrien, 52 von ihnen sind minderjährig.
In Anbetracht der
grossen Zahl der Flüchtlinge ist unsere Besorgnis gross, was ihre Unterbringung
betrifft und was sie dort erwartet: wird jedem der ihnen per Gesetz zustehende
Schutz und individuelle Betreuung gewährt werden? Werden sie in einer Sprache
angesprochen, die sie verstehen? Werden
sie mit den Polizeibeamten und Betreibern der Zentren kommunizieren können?
Oder wird wieder eine rasche diskriminatorische Aufteilung praktiziert in wirtschaftliche
und «richtige» Flüchtlinge? Wo werden die Syrer und Eritreer untergebracht, die
in andere Länder weiterreisen werden? Ihre grosse Anzahl gibt uns Anlass zu
Besorgnis, denn wir wissen wie leicht es ist, dass die Einzelfälle vergessen
und die Einzelnen unsichtbar werden.
Zurzeit sollten
die « Hotspots » (darunter auch das Aufnahmezentrum in Pozzallo) in
Betrieb genommen werden. Aber die baulichen Zustände und internen Bedingungen
für den Betrieb scheinen ungenügend und noch verwirrender als vor ein paar Monaten.
Am Hafen wird über den sofortigen Transfer von etwa 300 neu Angekommenen in die
Lombardei, nach Ligurien und in die Toskana gesprochen. Das sind lange Reisen,
die die Migranten sofort antreten müssen ohne einen Kleiderwechsel oder eine
Mahlzeit nach ihrer Überfahrt.
270 von ihnen
sollen ins Aufnahmezentrum der Stadt transferiert werden. Am nächsten Tag
erfahren wir aber, das 135 von ihnen in die Zeltstadt Pala Nebiolo in Messina
gebracht wurden. Und das, trotz des dort seit mehreren Tagen herrschenden Wassernotstandes.
Wir befürchten
die Nichteinhaltung des Rechtes auf juristische Unterstützung und die
fundamentalen Menschenrechte (menschenwürdige und sichere, hygienisch einwandfreie
Unterbringung, medizinische und psychosoziale
Betreuung). Unsere Sorge gründet sich auf den schlechten Zustand vieler
Aufnahmezentren Siziliens, darunter eben die genannte Zeltstadt. Aber die
Ausschiffungs- und Transferformalitäten werden routinemässig abgewickelt, mit
Bustransporten werden die Migranten schnell aus dem Blickfeld der
Zivilgesellschaft entfernt.
Das, was
tatsächlich während der Befragungen und Prozeduren geschieht, werden wir erst
Tage später erfahren. Wir hoffen natürlich, dass dieses Mal jede/r Migrant/in
das unumstössliche Recht gewährt wurde: zu ihrer Anhörung, zur Information
ihrer Rechte. Denn wir befinden uns in einem Land, das sich als Demokratie
versteht, was aber nicht immer der Fall zu sein scheint.
Lucia Borghi
Borderline
Sicilia Onlus
*EU Navfor
Med: European Union Naval Force in the Mediterranean
Übersetzung aus
dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne