Die Anlandung in Messina am 22. März und das Aufnahmezentrum für unbegleitete Minderjährige Amal (ehem. Hotel Liberty)

Am 22. März begleiteten wir eine weitere Anlandung im Hafen von Messina, mit der sich die Zahl der in dieser Stadt ankommenden Migrant*innen seit Beginn dieses Jahres auf 1269 erhöht hat. Vom Schiff Canarias der spanischen Militärmarine, das Teil der Operation EUNAVFOR-MED* ist, sind 636 Personen von Bord gegangen, darunter Frauen und Kinder. Die ersten Schritte zur Voridentifikation und anschließendem Transfer in die ehemalige Kaserne in Bisconte wurden von der Quästur um 18 Uhr abgebrochen. So mussten 200 Personen an Bord bleiben, wo sie die Nacht im Freien, auf der Brücke und nur mit Thermofolien bedeckt, verbringen mussten.

Das Schiff Canarias im Hafen von Messina

Seit Beginn 2017 kamen etwa 20 000 Menschen übers Mittelmeer. Obwohl die Zahlen im Februar merklich angestiegen sind laut des Departements für zivile Freiheiten und Immigration, halten sich die Zahlen der letzten drei Monaten im Rahmen derer von 2016. Auch was die unbegleiteten Minderjährigen betrifft unterscheiden sich die Zahlen nicht von denen des letzten Jahres: seit Januar sind es 2293 Jugendliche. Dazu hier die Zahlen von 2016, als mit einer schwindelerregenden Zunahme 25846 Minderjährige gezählt wurden, im Vergleich dazu waren es im Jahr 2015 12360.

Die Schwierigkeiten bei der Aufnahme der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten werden von den Behörden weiterhin mit ungeeigneten Mitteln zu lösen versucht, obwohl ein diesbezügliches Gesetz mit Verbesserungen für das gesamte Aufnahmesystem angenommen wurde. Die Kommissarin für Kinder und Jugendliche hat auf ihrer Besuchstour die Zustände in Süditalien verurteilt: „Es sind uneinheitliche Verfahrensweisen, zu wenige Plätze und keine Möglichkeit zu deren Integration vorhanden.“ Zu diesem Monitoring wird in den nächsten Monaten ein ausführlicher Bericht über die durchgeführten Besuche erwartet.

Das Erstaufnahmezentrum Amal

Während die Anlandung zu Ende ging, besuchten wir das Zentrum Amal, im ehemaligen Hotel Liberty, das vor zwei Jahren als Erstaufnahmeeinrichtung für Jugendliche eröffnet wurde. Obwohl die Angestellten damit beschäftigt waren, die Aufnahme von 22 Jugendlichen des Schiffes Canarias zu organisieren, zeigten sich die Leiter entgegenkommend und erlaubten uns die Besichtigung des Hauses in Begleitung einer Mitarbeiterin.

Das ehemalige Hotel liegt unweit des Bahnhofes und damit sehr zentral. Das Gebäude ist in einwandfreiem Zustand und die Zimmer, die wir haben besuchen können, sind gepflegt. Auf drei Stockwerken stehen geräumige Zimmer, in denen drei bis vier Personen pro Raum unterkommen. Sie verfügen über jeweils eigene Badezimmer und stellen eine würdevolle Unterbringung dar. Auch die Aufenthaltsräume sind gepflegt und sehr groß, handelt es sich doch um ein Haus, das bis vor einigen Jahren ein Vier-Sterne-Hotel war.

Die Belegschaft setzt sich aus sechs Erzieher*innen, zwei Psycholog*innen, zwei Mediator*innen und einem Arzt zusammen, der an einigen Tagen in der Woche hier arbeitet. Der für juristische Belange zuständige Mitarbeiter wird regelmäßig konsultiert, ist aber nicht Teil der Belegschaft. Die Jugendlichen bekommen regelmäßig Taschengeld und die Mahlzeiten werden durch einen auswärtigen Cateringservice geliefert. Die Mahlzeiten werden nach den Vorschriften der Gesundheitsbehörde der Provinz zusammengestellt. Es finden Italienischkurse auf verschiedenen Niveaus statt und die Erzieher*innen organisieren verschiedene Freizeitaktivitäten.

Sowohl innerhalb des Hauses, wie auch im Park beim Bahnhof, wo viele ihre freie Zeit verbringen, haben wir mit Jugendlichen sprechen können. Sie beschreiben das positive Klima, das im Zentrum herrsche und bestätigen damit unseren Eindruck und die Informationen, die uns die Erzieher*innen gegeben haben.

Vom Hotel zum Altenheim zum Aufnahmezentrum für Minderjährige

Trotz der positiven Eindrücke in diesem Aufnahmezentrum müssen wir auch kritische Punkte ansprechen, die nicht nur das Zentrum Amal betreffen, sondern auch die strukturellen Bedingungen des Empfangswesens für unbegleitete Minderjährige in der Stadt Messina.

Das Zentrum Amal hat auf Grund einer dringenden Verordnung vom April 2016 des Bürgermeisters Accorinti den Betrieb aufgenommen, um die Unterkunft von allein reisenden Minderjährigen sicher zu stellen und um die unhaltbare Situation des akuten Platzmangels im Zentrum Ahmed zu beheben. Dort wurden auf den 60 vorgesehenen Plätzen 200 Jugendliche untergebracht. Das Liberty hat also keine offizielle Akkreditierung für die Aufnahme von minderjährigen Migrant*innen, wie es die Vorschriften im Dekret 600/2014 der Region bestimmen. Es hat lediglich eine Betriebsbewilligung für ein Altersheim. Tatsache ist, dass das frühere Hotel Liberty in Konkurs ging. Es gehörte der Investorengruppe Franza, die im Luxushotelsektor in ganz Sizilien tätig ist. Die Betreiberkooperative hatte bei der Region ein Gesuch eingereicht für den Betrieb eines Altersheims mit 80 Plätzen im Ex-Hotel Liberty. Erst danach kam die Entscheidung von Bürgermeister Accorinti und aus dem Altersheim wurde ein Aufnahmezentrum. Die Betreiberkooperative hat jedoch den Akkreditierungsprozess eingeleitet und während darauf gewartet wird, dass die Region eine Entscheidung trifft, kann der Betrieb legal als Aufnahmezentrum aufgenommen werden.

Was wir damit hervorheben wollen, ist das Weiterführen der Notfallpolitik der Gemeinde Messina, von der alle Entscheide in der Aufnahme von Migrant*innen (vor allem die der Minderjährigen) geprägt sind. Der anhaltende Ausnahmezustand verursacht undurchschaubare und konfuse Situationen, wo es doch im Gegenteil nötig wäre, eine organisch strukturierte Aufnahmepolitik zu betreiben, denn die Zahlen und Anlandungen sind vorhersehbare Faktoren. Leider ist die gesamte italienische Migrationspolitik auf dem Notfallprinzip aufgebaut. Auch Messina ist eine gutes Bespiel dafür. Um die Würde und Menschenrechte der Geflüchteten zu garantieren, muss diese Politik geändert werden.

Die Anzahl der Bewohner*innen und die Wartezeiten

Unter anderem schreibt das DPRS*, das Präsidialdekret 600/2014 der Region Sizilien folgende Standards vor: Erstaufnahmezentren für Minderjährige (wie das zur Diskussion stehende der Kooperative Amal) sollen nicht mehr als 60 Jugendliche gleichzeitig aufnehmen und die Aufnahme in dieser Art von Zentren dürfe einen dreimonatigen Aufenthalt nicht übersteigen.

Diese zwei fundamentalen Bestimmungen der Standards haben die zeitliche Aufenthaltsbeschränkung in der Erstaufnahme zum Ziel und sollen den raschen Transfer in eine geeignete nachhaltige Struktur vorantreiben. Jedoch werden diese Bestimmungen sowohl vom Zentrum Amal wie von unzähligen anderen Aufnahmezentren nicht eingehalten. Tatsächlich sollte das ehemalige Hotel Liberty maximal 120 Gäste aufnehmen, es seien aber seit den letzten Ankünften schon 133. Obwohl die Einrichtung einen guten Eindruck auf uns macht, fragen wir uns, ob es bei einer so hohen Zahl von jugendlichen Bewohner*innen möglich ist für die Belegschaft, jeden so zu begleiten, wie es notwendig wäre.

Zudem finden der Wechsel in eine organische, für die Integration geeignete Einrichtung nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen dreimonatigen Frist statt. Meist dauert es bis zu sechs Monate, aber wir haben auch mit Jugendlichen gesprochen, die seit zehn und zwölf Monaten dort sind. Das ist zu lange, denn die Erstempfangszentren haben keine Kapazitäten, die Teilnahme an Schulunterricht oder speziellen Ausbildungskursen für die Jugendlichen zu organisieren.

Diese langen Wartezeiten hängen vor allem mit den langsamen bürokratischen Abläufen zusammen, bei der Ernennung der Tutor*innen und dem Einreichen der Anträge auf internationalen Schutz. Im Zentrum Amal zum Beispiel haben nicht alle eine*n Tutor*in, und die die einen haben, sehen ihn nur selten.

Viele Jugendliche riskieren somit die Volljährigkeit zu erreichen, ohne dass sie die nötigen Amtswege für den Erhalt ihrer Aufenthaltsbewilligung durchlaufen konnten. Ihre Aufnahme in eine für sie geeignete Aufnahmestruktur und damit ihre Integration wird so verhindert. Das ist eine der größten Sorgen der Jugendlichen, mit denen wir gesprochen haben. Denn die gängige Praxis in Messina will, dass die Volljährigen, die noch keine Anhörung vor der Kommission hatten, automatisch in die ehemalige Kaserne Gasparro transferiert werden.

Viele der Bewohner*innen des Centro Amal, die Italien im Jahr 2016 erreichten, erzählen, dass sie nach ihrer Ankunft bis zu einem Monat in der „Zeltstadt“ Pala Nebiolo waren und von dort für mindestens einen Monat in die ehemalige Kaserne in Bisconte verlegt wurden, bevor sie im Liberty unterkamen. Die Zustände in Bisconte sind ihnen noch in lebhafter Erinnerung und sie befürchten, womöglich dorthin zurückgeschickt zu werden, da dies vielen ihrer Freund*innen beim Erreichen der Volljährigkeit geschehen ist.

Es scheint ein Hindernislauf zu sein, in dem es nicht gelingt, bürokratische und administrative Hürden zu überwinden und man wieder von vorne beginnen muss, statt den Weg der Integration gehen zu können. So werden die wertvollen Jahre, die eigentlich der sozialen Integration und Entwicklung dieser jungen Menschen dienen sollten, vergeudet.

Es wäre aber unerlässlich, die Wartezeiten, die Ernennung von Tutor*innen und die Verfahren zur Erlangung des internationalen Schutzstatus so rasch wie möglich voranzutreiben, wenn man verhindern will, dass die Migrant*innen aus den Zentren weggehen und untertauchen, was sie der Gefahr aussetzt, ausgebeutet und ihrer Rechte beraubt zu werden. Dabei handelt es sich um einen tatsächlichen Notfall, den wir unverzüglich angehen müssen. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik hat die letzte Zahl der „verschwundenen“ minderjährigen Migrant*innen veröffentlicht: es sind 5373!

Abschied nehmen vom Konzept der „Ausnahmesituation“

Vor einigen Tagen hat Bürgermeister Accorinti der Presse Erklärungen diesbezüglich abgegeben. Er habe dem Präfekten Morcone während einem vom ihm, dem Bürgermeister, gewünschten Treffen seine Ablehnung dargelegt, in der ehemaligen Kaserne Bisconte den vierten Hotspot in der Region Sizilien zu eröffnen. „Die Gemeinde“, erklärte der Bürgermeister, „stellt das Modell Hotspot in Frage, denn die Folgen dieser dort praktizierten „Nichtaufnahme“ sind für alle ersichtlich: Viel zu viele Bewohner*innen mit viel zu langen Aufenhtaltszeiten, Entzug der individuellen Freiheitsrechte, weitere psychische und physische Traumata für bereits traumatisierte Menschen. Der Wille, stattdessen in die SPRAR-Zentren* zum Schutz der Geflüchteten und Asylsuchenden zu investieren, soll ein Zeichen setzen für die Pflicht zur Aufnahme, die unsere Gemeinderegierung ernst nimmt.“

Auch wenn wir nicht den Hotspot-Ansatz mit dem Gegenstand dieses Artikels, nämlich dem durcheinander bringen wollen, scheinen uns diese klaren Worte des Bürgermeisters von Bedeutung. Sie stehen in klarem Gegensatz zu den Notfallpraktiken der Verwaltung, die weitermacht mit Ausnahmeanordnungen statt mit organischen Strukturen, die den Bewohner*innen ihre Würde lassen und deren Rechte schützen, vor allem die der allein reisenden minderjährigen Geflüchteten.

Nicolas Liuzzi
Borderline Sicilia

 

*EUNAVFORMED – European Union Naval Force for the Mediterranean: europäischer, multinationaler, militärischer Marineverband für das Mittelmeer.

*DPRS – Decreto Presidenziale della Regione Siciliana: Präsidentialdekret der Region Sizilien.

*Sprar – Sistema di Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen.

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne