„Lieber Minister Salvini, als Eritreer im Exil in Italien spüre ich heute Hass und habe Angst“

Quelle: lasicilia.it – Offener Brief des Schriftstellers Mohamed Abdelfetah an den Vizepremier und Innenminister: „In diesem Land, das ich liebe und von dem ich glaubte, es sei meine zweite Heimat geworden, fühle ich mich nicht mehr sicher“
Lieber Minister Salvini, ich lebe seit siebzehn Jahren im Exil. Ich habe viele Menschen getroffen, die kraftvolle und beeindruckende Rede gehalten haben. Es waren alles Menschen, die eins gemeinsam hatten: sie waren korrupte und grausame Führungspersönlichkeiten, und das seit mehr als dreißig Jahren. Eine der berühmtesten Reden, die ich gehört habe, war die von Gaddafi. Als er sie hielt war ich 200 Meter von ihm entfernt und hörte sprachlos zu. Dieser extravagante Diktator bedrohte die Rebellen: “ Wir werden die Stadt Haus um Haus, Straße um Straße, Viertel umViertel reinigen.“

 

Sieben Jahre nach seinem Tod habe ich Ihr Interview in der Tageszeitung Fatto Quotidiano gelesen. Ich hatte den furchtbaren Eindruck, dass es sich dabei um eine Wiederholung jener letzten historischen Rede des libyschen Diktators handelte. Sie wiederholten seine Worte punktgenau. Ich gestehe, dass mich schauderte, weil ich erst da verstanden habe, in welcher Situation wir uns heute befinden.

Sie, Herr Minister, sind auch deswegen gewählt worden, weil Sie die Angst vor den Benachteiligten angeheizt haben. Heute, ich muss es zugeben, habe auch ich Angst. Ich fühle mich nicht einmal mehr auf der Straße sicher oder im Gespräch mit anderen. Ich spüre den Hass an der Bushaltestelle oder in amtlichen Büros, ja sogar im Polizeipräsidium, wo wir täglich hingehen.

Die Presse schreibt es, die Geschichte zeigt es: in diesem Land haben die berühmtesten Dekrete stets Hass gesät: das Dekret von Mussolini vom 15. Oktober, das Bossi-Fini Dekret, das Menschen kriminalisiert nur weil sie italienischen Boden betreten bis hin zu jenem von Minniti, das zu den Vereinbarungen mit Libyen geführt hat. Und jetzt also Ihr Unsicherheits-Dekret, das uns der Sicherheit beraubt. Seit jeher hat diese Art von Gesetzen der Menschlichkeit große Verletzungen zugefügt.

Herr Minister, ich glaube nicht, dass Sie uns gegenüber Objektivität zeigen, was das Thema Migration betrifft. Wir fühlen uns instrumentalisiert von ihrer Politik, die sie praktizierten, um demokratisch in die Regierung gewählt zu werden. Was mir wirklich Angst macht ist, dass sie uns bis heute beibringen wollen und uns erzählen, dass das eben ein Ergebnis der Demokratie sei. Ich bin nicht einverstanden.
Ich habe immer gedacht, dass die Demokratie ein Weg sei, der uns zum Frieden, zur Sicherheit und zum Zusammenleben im Gemeinwohl bringt.

Herr Minister, wegen der Rückführungspolitik habe ich in den letzten Monaten zwei gute Freunde in Libyen verloren und viele Mütter, die geboren haben, sind gestorben und haben ihre Säuglinge an den Stränden zurückgelassen. Ich fühle mich nicht sicher in Italien und will weg aus diesem Land, von dem ich glaubte, es sei meine zweite Heimat geworden. Ich will nicht in einem Land leben, das nicht an seine Werte und Institutionen glaubt. Ich bin ja hier, weil es all das in meinem Land nicht gibt.

Ich lade Sie ein, Herr Minister, Ihre Landsleute an die Wahrheit zu erinnern, eine Wahrheit, die Sie genau kennen: und zwar dass viele von uns nicht in Italien leben wollen, aber wir sind aufgrund der Dublin-Vereinbarungen dazu gezwungen. Ich fordere Sie auf, Herr Minister, laut zu sagen, dass wir gegen unseren Willen hier sind, aufgrund einer politischen Strategie, eines falschen Systems.

An dem Tag, an dem sie nach Brüssel reisen, um die Veränderung des Dublin-Abkommen zu verlangen, werden Tausende, vielleicht auch ich, Italien verlassen. Wir werden uns unseren Landsleuten und den Migrant*innen anschließen – unter ihnen viele Italiener*innen, die in Deutschland, Holland, Schweden und Belgien leben und arbeiten – so wie die Mehrheit derMenschen es wollen, die in ihrem Land ankommen.

Also, Herr Minister, anstatt gegen die letzten, gegen die Migrant*innen, gegen die Geflüchteten, gegen Frauen und Kinder die Stimme zu erheben, sollten Sie versuchen, unser Problem, unser Drama zu lösen, unser Schicksal das von unglücklichen Bestimmungen abhängt, die die Politik dieses Landes zugelassen hat. Und Sie werden sehen, lieber Minister Salvini, dass Sie damit auch den tausenden von Tagelöhnern, Geflüchteten, den jungen Frauen, oft noch Mädchen, einen großen Gefallen tun. Menschen, die ausgebeutet, misshandelt und gedemütigt werden, und von manch einem für eine politische Propaganda ausgenutzt, die mir inakzeptabel erscheint für ein Land wie dieses. Ein Land, das ich liebe.

* in Italien lebender Schriftsteller aus Eritrea

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé