Die Ketten der falschen Aufnahme
„Wir können nicht ruhig bleiben, weil die Last, die wir tragen, zu schwer ist. Wir stecken in der Schwebe, wir befinden uns zwischen Hölle und Paradies und dieses Warten zerstört uns. Die unendlichen Zeiten der Verfahren tun nichts anderes, als uns in Ketten zu halten, und wir sind gezwungen zu allem ‚Ja‘ zu sagen, einzig um unsere Kinder und Frauen mit einem Stück Brot zu ernähren“.
Dies sind die Worte von Bamba, der mit geballten Fäusten, einer von Emotionen gebrochenen Stimme und einem traurigen und trostlosen Gesicht seinen Zustand als Mann im Gefängnis ausdrückt, wie er sich wörtlich definiert, zusammen mit vielen anderen Männern und Frauen, die wir in den letzten Tagen zwischen Palermo und Trapani getroffen haben.
Monitoring einiger CAS* in den Provinzen Palermo und Trapani
In den beiden Provinzen besuchten wir drei CAS (außerordentliche Aufnahmezentren), die von der Genossenschaft Vivere Con in Marsala, dem Konsortium Era in Balestrate und der Genossenschaft Liberitutti in Partinico verwaltet werden. Wir hatten keine Zeit, ein anderes CAS in Marsala zu besuchen, das von der Genossenschaft Arca verwaltet wird, da es von der Präfektur wegen festgestellter Unregelmäßigkeiten geschlossen wurde.
Wir haben so viele Asylsuchende gesehen und getroffen, die Angst vor der Zukunft haben und die es leid sind, sich innerhalb von vier Mauern zu bewegen. In einigen Fällen dauert das Gerichtsverfahren, um internationalen Schutz zu erhalten, bis zu sechs Jahre, wie die Menschen bezeugen, die sich seit 2014 in einem CAS befinden. Menschen, die trotz des guten Willens der Arbeiter*innen der Zentren, die in einigen Fällen eine echte Familie werden, nur ein halbes Leben leben, in dem sie nicht einmal den in den Herkunftsländern verbliebenen Familien helfen können. Sie sind sich bewusst, dass sie einerseits Unterkunft und Verpflegung haben, andererseits aber blockiert sind, weil niemand ihnen einen Arbeitsvertrag gibt, auch wenn sie gesetzlich arbeiten könnten.
Viele Arbeitgeber*innen nutzen diese Situation der Unsichtbarkeit, um diejenigen auszubeuten, die von der Notwendigkeit getrieben werden, auch nur ein paar Euro zu verdienen. Wie Drissa, der einen Abschluss als Ingenieur hat, sagt, ist es eine Niederlage für die eigene Würde: „Ich versichere dir, dass es wirklich eine Qual ist: Wir können kein Geld für unsere Kinder nach Hause schicken und fragen uns immer wieder, wann das alles enden wird. Und wir können auch nicht darüber nachdenken ab und zu etwas trinken zu gehen, wie alle anderen Leute es tun. Das ist kein Leben, also lassen wir uns von irgendwelchen Menschen ausnutzen, die uns beleidigen und glauben, sie seien etwas Besseres als wir. Aber für 10 Euro, sind wir bereit das alles zu leiden „.
Manche dieser Menschen haben Verträge für kleine Jobs dank der Betreiber*innen der Zentren, die eine Institution, eine*n Bekannte*n oder einen Verein suchen, um ein oder zwei von ihnen zu betreuen. Es handelt sich jedoch um Einzelinitiativen, da die allgemeine Regel darin besteht, nur das Nötigste zu tun, da die wirtschaftlichen Ressourcen und damit die Löhne bis zu ein Jahr zu spät kommen. Auf diese Weise wird es schwierig, Integrationsprojekte in der Gesellschaft oder der Arbeitsvermittlung durchzuführen. Hinzu kommt, dass Anwält*innen und Jurist*innen ihre Arbeit oft nicht gut machen.
Wie Mamadou uns sagt: „Gesetze sind gut, wenn es Bedingungen gibt, um sie in die Praxis umzusetzen. In jedem Haus legen Eltern Regeln für ihre Kinder fest, aber wir haben Gesetze und Regeln, die uns in Ketten halten – nachdem ich 4 Jahre lang auf eine Antwort des Gerichts gewartet habe, lebe ich in einem kleinen Dorf, in dem nur wenige Italienisch sprechen und in dem niemand Steuern an den Staat zahlen will, mit der Folge, dass uns niemand einen Arbeitsvertrag macht. So wird Ausbeutung zur Normalität“.
Es waren drei Tage voller Treffen, nach denen wir in uns eine enorme Last tragen. Vielen von ihnen ist klar, dass alles ein Geschäft auf ihre Kosten ist. Und auch wir sind ein Teil dieses Systems, sagt Said wütend, weil wir sie fragen, wie es ihnen geht und wie das Zentrum funktioniert, ohne jedoch die Situation zu ändern. Sie bleiben immer in einem Raum eingesperrt.
Der Zustand des Aufnahmesystems
Und, apropos Business, was unternimmt das Innenministerium, um die Situation zu verbessern?
In einem gesunden Land würden die Menschen die Möglichkeit erhalten, aus der Unsichtbarkeit herauszukommen, und die Ketten zu durchbrechen. Stattdessen bieten wir den Genossenschaften wieder höhere Prämien an, um diejenigen zu locken, die sich noch nicht den Ausschreibungen bewerben, ohne jedoch zusätzliche Dienstleistungen für die Asylsuchenden bereitzustellen.
Wie ernst es um die Aufnahmesituation steht, lässt sich aus den Entscheidungen der lokalen und nationalen Institutionen ablesen, die jeder Logik entbehren. Beispielweise, dass Minderjährige für lange Zeit (mehr als 30 Tage) in den FAMI*-Zentren behalten werden, bevor sie in andere Regionen verlegt werden, obwohl es freie Plätze in näheren Orten geben würde.
Die Mitarbeiter*innen des CAS S. Francesco in Palermo, das von Badiagrande geleitet wurde und mittlerweile geschlossen ist, haben seit vier Monaten keine Gehälter mehr erhalten, und die Bewohner*innen, die inzwischen in eine andere Unterkunft verlegt wurden, haben kein Taschengeld erhalten. Badiagrande nimmt jedoch weiterhin an den Aufrufen der Präfekturen teil und rangiert weiterhin an der Spitze, wie im Wettbewerb um den Hotspot von Pozzallo, während sie in Lampedusa die Aufsicht an Nova Facility weitergab, eine starke Genossenschaft aus Triest, die nunmehr in Sizilien gelandet ist, um die Hotspots der Insel zu verwalten. Die Abschiebungshaft (CPR*) von Milo wurde nach dem Brand geschlossen und die Menschen wurden nach Gradisca d’Isonzo verlegt.
In den Einwanderungsbüros des Polizeipräsidiums ist die Situation nicht besser: In Palermo prangerte ein Anwalt die unmenschlichen Bedingungen des Wartens auf der Straße an, die nicht einmal einer im achten Monat schwangeren Frau erspart blieben, der nicht einmal ein Stuhl gewährt wurde.
Die Grenzen werden zunehmend geschlossen, die Kontrollen strenger: Deutschland und Frankreich setzen Scanner und Drohnen an den Grenzen ein, um Menschen zu verfolgen und zurückzuschicken, während das Meer in ohrenbetäubendster Stille die Drecksarbeit für uns erledigt. Wie die Stille, die den Tod von 14 Menschen, darunter zwei Kinder, vor der Küste Marokkos, umgibt.
Und auch heute prangern wir an, dass die Sicherheitsdekrete noch in Kraft sind, während sich die verheerenden Auswirkungen auf das Leben der Menschen von Tag zu Tag vervielfachen. Es gibt keine konkreten Maßnahmen zur Abschaffung verfassungswidriger Gesetze, sondern nur nutzlose Proklamationen wie jene zu höchst unwahrscheinlichen Amnestien, die nichts anderes sind als Betrug und Spekulationen auf dem Rücken derer, die bereits genug gelitten haben.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen übersetzt von Francesca Barp
*CAS: Centro di accoglienza straordinaria – Außerordentliches Aufnahmezentrum
*CPR: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft
*FAMI: Fondo asilo migrazione e integrazione – Fonds für Asyl, Migration und Interaktion