Die Pandemie und die Produktionsstätte der Illegalität

In Palermo wurde die Missione Speranza e Carità zur roten Zone von positiv festgestellten Covid-19 Fällen erklärt. Nach einem ganzen Sommer, in dem Tausende von Tourist*innen sich frei und ohne jegliche Kontrollen umher bewegen konnten, wobei sie jede Art von Ansammlungen zu bevorzugen schienen, berichten die Nachrichten hauptsächlich von positiv getesteten Migrant*innen, was undenkbare Gewalt und Hass auslöst. Auch Palermo, eine Stadt, die an sich sehr einladend ist, verliert sich zwischen den tiefsten Ängsten und der ordinärsten Boshaftigkeit.

Warum hat keine Institution zeitnahe Maßnahmen getroffen, wo doch die Organisationen der Region – vor allem die Anlaufstelle Arci Porco Rosso – seit März Meldungen gaben und Druck an die Autoritäten ausübten, bezüglich der Situation von all denen, die von Armut betroffen und besonders gefährdet sind, und keine Möglichkeit haben sich vor der Krankheit zu schützen und weiterhin Tag für Tag versuchen zu überleben? Vielleicht weil dann die Jagd nach dem immigrierten Virusverbreiter und den Gutmenschen, die ihnen helfen, nicht entfacht werden kann.

Die Kommentare, die man auf der Straße hört, sind entsetzlich: „Schließen wir sie ein, sie dürfen nicht draußen sein, und wenn jemand raus geht erschießen wir sie“; „Stecken wir sie in Brand, damit sie ein für alle Mal aus dem Weg sind, sie sind eine Gefahr für unsere Kinder, sie ruinieren eine Stadt“; „ Bei uns gab es kein Covid und dann haben sie ihn her gebracht, sie sind schmutzig und waschen sich nicht, deswegen sind sie krank geworden!“. Andere Kommentare sind so gewaltsam und vulgär, dass sie nicht einmal niedergeschrieben werden können.

 

Die Jagd nach dem Virusverbreiter

Die Suche nach dem Sündenbock und die Jagd nach dem Virusverbreiter sind wie immer die perfekten Mittel um einerseits unser Desinteresse gegenüber dem zu rechtfertigen, was sich außerhalb unserer Grenzen ereignet, wo weiterhin Menschen im Meer sterben und wo humanitäre Schiffe blockiert werden, und andererseits um uns nicht fragen zu müssen wie der Ausnahmezustand des Covid-19 in Bezug auf die Ankünfte der über den Seeweg Kommenden und die Aufnahme gehandhabt werden.

Jeden Tag kommen hunderte Tunesier*innen (in 95% der Fälle) auf Sizilien an, die selbstständig mit Booten an den Küsten der Region Trapani landen und vor den Küsten von Marsala, Mazara und der Inseln gesichtet werden. Die abgefangenen Tunesier*innen werden – um identifiziert zu werden – in die Abschiebungshaft (CPR*) in Milo übergeben, obwohl diese auf Grund von Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Wie im Falle der Tunesier*innen, die nach der Quarantäne die Covid-Zentren auf dem Festland oder die Quarantäne Schiffe verlassen, werden diese Menschen mit einem Ablehnungsbeschluss in der Region gelassen, weil – wie die Präfekturen erklären – es keine Plätze in der Abschiebungshaft gibt, geschweige denn andere praktikablen Lösungen. Daher findet sich eine sehr hohe Zahl an Menschen auf der Straße wieder; zwischen den Ghettos und den verlassenen Häusern auf dem Land oder in der Missione Speranza e Carità ziehen sie umher.

Am vergangenen 21. September hat der Polizeipräsident von Agrigent 500 Abschiebungsbeschlüsse gegen Migrant*innen erteilt, die in Porto Empedocle von Bord des Quarantäneschiffs gegangen sind und die jetzt die Insel durchqueren und versuchen ihre Reise fortzusetzen. Diese 500 kommen zu den zahlreichen Tunesier*innen hinzu, die schon seit Monaten jeden Tag durch Palermo ziehen, nachdem sie aus den Einrichtungen in Trapani oder Agrigent wieder entlassen wurden, und die nicht die Möglichkeit haben, die Reise zu Verwandten oder Unterstützungsnetzwerken fortzusetzen. Viele werden als Arbeitskräfte eingesetzt, um Trauben oder Oliven zu ernten, wobei sich die Zahl der ausgebeuteten Menschen, die an Orten unter ungesunden Bedingungen extremer Armut und Promiskuität leben, immer weiter erhöht.

Niemand jedoch darf behaupten es würde Ghettos geben. Unter diesen ist jenes zwischen Campobello di Mazara und Castelvetrano am sichtbarsten, da es bis zu 1200 Migrant*innen aufnehmen kann. Bis heute hat keine Institution daran gedacht oder veranlasst etwas zu tun, niemand hat darüber nachgedacht welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Gesundheit derjenigen zu schützen, die auf den Feldern arbeiten und damit die der gesamten Gemeinschaft. Dem Problem von der Ausbreitung des Virus stellen sich die Arbeitgeber*innen, die diese Menschen ausbeuten (3 Euro pro Kiste mit 15kg oder mehr Inhalt), einzig und allein um Geld zu sparen, nicht. „Es ist eine Schande! Sie pissen überall hin, sie waschen sich nicht und sie nerven. Sie trinken, essen, und hinterlassen überall Schmutz. Sie sind es, die uns den Virus herbringen!“, das sind die Worte eines alten Mannes aus Alcamo – eine kleine Stadt in der Region Trapani, in der die Weinlese stattfindet –, während er etwa vierzig Tunesier*innen und Marokkaner*innen beobachtet, die unter den Arkaden des Hauptplatzes der Stadt schlafen. Tatsächlich wurde dieses Jahr noch nicht einmal die Turnhalle eingerichtet, die dort seit fünf Jahren dazu dient, den Saisonarbeiter*innen einen Platz zum Schlafen und sich Waschen zu geben.

 

Covid-19 Notfallzentren und Quarantäneschiffe

In der irrsinnigen Verwaltung der Covid-Zentren und der Quarantäneschiffe, kommt es auch vor, dass Migrant*innen, die in Apulien oder Kalabrien gelandet sind, nach der Isolation auf einem Schiff, zurück nach Sizilien gebracht werden und dann von dort in dem Gebiet freigelassen oder in andere Regionen überführt werden. Die Situation in vielen Quarantäne-Zentren ist kritisch: Überfüllung, Promiskuität und keine Unterstützung für die, die am gefährdetsten sind. Und wieder, wie in jedem Moment der Krise, in Anbetracht dessen, dass die sizilianischen Quästuren und Präfekturen allein gelassen werden bei der Verwaltung von all dem, kehren die alten Methoden der Abschiebung und Massenvertreibung zurück, die es offensichtlich nur auf dem Papier gibt. Tausende von Menschen werden vom Zugang zum internationalen Schutzsystem ausgeschlossen und der Teufelskreis der Illegalität und Ausbeutung wird am Leben erhalten.

„Mein Vater sollte operiert werden, ein Eingriff, der schon seit langem geplant war, jedoch wurde er auf Grund der Migrant*innen wieder nach Hause geschickt. Wenn er jetzt stirbt, bringe ich all diese verdammten Schwarzen um!“, behauptet ein Mann im Krankenhaus von Trapani. Er beschwert sich über Verspätungen und führt diese zurück auf die bestehende Notwendigkeit, auf dem Quarantäneschiff, was vor Trapani verankert ist, Tests und Abstriche durchzuführen.

Hass, Rassismus und Verlust von Menschlichkeit nehmen von Tag zu Tag in beunruhigendem Maße zu, und auch wenn dieses Virus eines Tages besiegt werden sollte, haben wir jedoch bereits verloren.

 

Redaktion Borderline Sicilia

 

*CPR: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft

 

Aus dem Italienischen übersetzt von Laura-Lucia Wiese