Die tödliche Gleichgültigkeit
Artikel vom 11. Februar 2021
Badu ist vor drei Jahren als Minderjähriger in Italien angekommen. Dank seiner Willenskraft und der Unterstützung von Vereinen und Ehrenamtlichen, die ihn begleitet haben, hat er es geschafft, innerhalb von kurzer Zeit unabhängig zu werden. Im letzten Jahr war es ihm gelungen als Tellerwäscher und Maler schwarz zu arbeiten.
Mit dem Auftreten der Pandemie war Badu – Ausländer und vertragslos – einer der Ersten, der von Anonymität und Unsichtbarkeit verschluckt wurde. Für ihn und alle anderen Personen, die sich in der gleichen Situation befinden, wurden keine Hilfsmittel bereitgestellt. Um nicht zu betteln, muss Badu heute Gemüse in Apulien ernten. Er fühlt sich verraten, auch von den Freund*innen, die ihn auf dem Weg in die Autonomie unterstützt und begleitet haben.
Mit Bedauern erzählt er uns: “Es stimmt, dass ich keinen Vertrag hatte, aber zumindest konnte ich mit erhobenem Haupte gehen. Obwohl ich hart arbeitete und unterbezahlt war, habe ich mich, mangels Alternativen, angepasst. Ich konnte eine Bruchbude unter der Hand bezahlen, aber zumindest war es ein Dach über dem Kopf. Während der Covid-Pandemie haben alle weggeschaut, und ich war einer der Ersten, der auf der Straße gelandet ist, und dann waren die anderen dran, auch die Weißen. Die Krise trifft jeden, aber wir gehören zu den Ersten, die die Konsequenzen tragen müssen. Und so habe ich beschlossen, Agrigento zu verlassen und einigen Freunden nach Apulien zu folgen. Sie haben mir gesagt, dass es hart ist, schwierig, dass wir wie Sklaven sein werden. Aber ich hoffe, dass ich wenigstens nie betteln und auf der Straße schlafen muss.“
Die Pandemie und die Wirtschaftskrise
Mit dem Ausbruch des Gesundheitsnotstands befinden sich viele Migrant*innen, darunter viele unbegleitete Minderjährige, die in der Zwischenzeit volljährig geworden sind, in einem Zustand der Unsichtbarkeit. Diese Situation wurde noch dadurch verschlimmert, dass die Aufenthaltsgenehmigung aufgrund des Sicherheitsdekrets von 2018 nicht mehr verlängert werden kann, was Tausende von Menschen in die Illegalität getrieben hat. Viele sehr junge Arbeiter ohne Vertrag, wie Badu, wurden von den Arbeitgeber*innen entlassen, aus Angst vor Ansteckung oder wegen der Verringerung der Arbeit. Aber die erste Ursache für diese Situation ist die Migrationspolitik, die immer dazu führt, dass Diskriminierung und Härtefälle zunehmen.
Die Caritas und andere Hilfsorganisationen sind kaum in der Lage, die Bedürfnisse aller Menschen in Schwierigkeiten zu erfüllen, die sich an sie wenden. Junge Ausländer sind die Letzten in der Schlange. Sie erhalten die Reste, die von den vielen sizilianischen Familien, die ebenfalls in Armut versunken sind, übrigbleiben.
Der Zugang zu regulärer medizinischer Versorgung ist im Moment ein Problem für jeden, aber es ist ein noch größeres Problem für diejenigen, die ohne gültige Dokumente sind. Es gibt Fälle wie den von Larry, der – obwohl er eine Operation braucht, die immer wieder verschoben wird – auf der Straße lebt und dem es mit jedem Tag schlechter geht. Und immer wieder stürzen psychische Probleme, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, auch die letzten Hoffnungen in den Abgrund.
Aber das kommt in den Nachrichten nicht mehr vor. Wir sind zu sehr beschäftigt mit der kriminellen Krise, die von Politiker*innen inszeniert wurde, deren einziges Interesse darin besteht, ihren Machtanteil auf Kosten von Millionen von Menschen zu vergrößern.
Die Toten an den europäischen Grenzen
Es gibt auch keine Empörung über die Menschen, die weiterhin auf ihren Reisen über überwachte Grenzen sterben, sei es im Mittelmeer oder in verschneiten Ländern Osteuropas. Auf der Balkanroute kommt zum kalten Klima, die Grausamkeit der italienischen und europäischen Grenzpolizei hinzu, der bewaffnete Arm der unmenschlichen Politik der Zurückweisung.
In der Straße von Sizilien werden nur einige der Menschen, die von den Schleppern aufs Meer gebracht werden, gerettet und nach Europa begleitet. Andere sterben oder werden in die Hölle der libyschen Lager zurückgebracht. In der vergangenen Woche sind zahlreiche Menschen in Lampedusa gelandet. 422 wurden von der Ocean Viking gerettet und im Hafen von Augusta an Land gebracht.
Für die gelandeten Menschen beginnt eine weitere Odyssee, die aus Quarantäneschiffen, Covid-Zentren und für viele auch aus Zurückweisungen und Repatriierungen besteht. Die angekommenen Menschen – vor allem die Männer – werden auf die Schiffe Allegra, in Lampedusa, und Rhapsody, in Augusta, umgeladen, um durch diese diskriminierende Praxis die Quarantänezeit abzuleisten. Diese Praxis stellt auch eine extreme Verschwendung von öffentlichen Geldern dar. Die Präfekturen sind zunehmend verwirrt, weil es keine gemeinsame Linie gibt und alles dem Ermessen der Leitungen überlassen wird.
So sehen wir, dass Covid-Zentren geschlossen und dann wieder geöffnet werden, wo sich unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Familien und Menschen mit Schutzbedürftigkeit oft unter promiskuitiven Bedingungen, ohne besondere Schutzvorkehrungen und ohne rechtliche Informationen wiederfinden. Wir haben Berichte von Menschen erhalten, die in einigen Zentren tagelang mit ihrer Reisekleidung gelassen wurden.
Diese Praktiken wiederholen sich seit Jahren und hinterlassen Spuren bei den Menschen.
Die letzten Ausschreibungen der sizilianischen Präfekturen betreffen: die Zuweisung von Mitteln für die Rückführungsflüge von tunesischem Staatsbürger*innen (Präfektur Palermo), für Busse, um Migrant*innen nach der Quarantäne aus Sizilien weg zu befördern (Präfekturen Syrakus und Caltanissetta), für die Verwaltung der Abschiebehaftanstalt von Milo, die nach einer weiteren Sanierung ihre Türen wieder geöffnet hat (Präfektur Trapani), und für die Verwaltung anderer Covid-Zentren für Minderjährige (Präfektur Messina).
Die Präfektur Agrigento hat eine Ausschreibung für die Verwaltung anderer Covid-Zentren durchgeführt, an der sich auch Betreiber beteiligen konnten, die bereits Einrichtungen verwaltet hatten, die aber von der Präfektur geschlossen worden waren. Die Pandemie hat auch die ohnehin schon lange Zeit für die Ausstellung und Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen durch das Polizeipräsidium weiter verlängert. Ganz zu schweigen von der Verschiebung von Schutzrechtanfechtungen, die sich häufig um Jahre verzögern.
Die Menschheit ist längst tot, und es war nicht das Coronavirus, das sie getötet hat, sondern unsere Gleichgültigkeit. Die Pandemie ist der Lackmustest für die Ungleichheiten und sozialen Ungerechtigkeiten dieser Zeit.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen übersetzt von Stefania Gavin