Campobello 2021. Struktureller Notfall und Tod eines Arbeiters
Artikel vom 17. Dezember 2021
In diesem Jahr wurden der Herbst und die Erntezeit in Campobello von dem Brand in der Nacht vom 29. auf den 30. September überschattet, bei dem Omar Baldeh ums Leben kam und auf den – wie immer – nur mit Notfallmaßnahmen reagiert wurde.
Die Mentalität, mit der seit Jahren die Maßnahmen in Campobello/Castelvetrano ergriffen wurden, hat zur Entstehung dieses Brandes beigetragen. Denn wenn man an einem Ort wie der ehemaligen Zementfabrik Calcestruzzi lebt, wo es keinen Zugang zu Strom-, Gas- und Wasserversorgung gibt, muss man zwangsläufig Gasflaschen und Ölgeneratoren zum Kochen, Heizen oder Aufladen des Telefons verwenden. Das Feuer war also nicht die Folge eines Unfalls.
Ein senegalesischer Arbeiter, der seit einigen Monaten in Fontane d’Oro arbeitet, sagte: „Die Olivenernte ist eine würdevolle Arbeit, aber dies hier… ist eine Katastrophe.“ Er sah sich die von den Arbeiter*innen errichteten Zelte und Hütten, die vom UNHCR zur Verfügung gestellten und von der Präfektur zur Bewältigung der Notlage verwalteten Wohncontainer und den Müll, der sich sogar darin angesammelt hatte, an. Es scheint, als ob er mit „dies“ etwas Umfassenderes meinte: die systemischen wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen, die tragischen Ereignisse und die politischen Komplexitäten, die diese prekäre Realität geschaffen haben.
Der Widerstand der Arbeiter*innen in Fontane d’Oro
Nach dem Brand zogen viele, auch dank der Proteste der Arbeiter*innen, nach Fontane d’Oro, einer ehemaligen Ölmühle, die der Mafia durch Beschlagnahmung weggenommen wurde. Mit ihrer Entscheidung, nach dem Brand nach Fontane d’Oro umzuziehen – wo es Duschen, Strom und Asphalt statt Erde gibt – haben die Arbeiter*innen zwei grundlegende Bedürfnisse bekräftigt: einerseits zusammenzubleiben und nicht in Notunterkünften verstreut zu werden, in die viele von ihnen nicht rein dürfen, weil sie keine Dokumente haben, und anderseits Zugang zu würdigeren Lebensbedingungen zu erhalten. Und in Fontane d’Oro haben sie dank der Mittel einer Crowdfunding-Kampagne, der Unterstützung zahlreicher Spenden und der Unterstützung von Verbündeten, vor allem aus der Region, eine Zeltstadt aufgebaut, die größtenteils selbst verwaltet wird.
Nach Angaben von Vertreter*innen der Institutionen und der Polizei sollte in Fontane d’Oro ein offizielles Lager eingerichtet werden, aber sie sagten, dass keine Dokumente angefordert würden. „Warum sollten wir Ihnen glauben?“ – entgegneten die Arbeiter*innen – „Ihr habt sie schon immer verlangt“.
In der Zwischenzeit erhielt die Präfektur – über die Region – mehrere Wohncontainer vom UNHCR, und der Kabinettschef des Innenministeriums, Michele di Bari, kam, um nach Maßnahmen zu fragen, die eine Erfassung der Saisonarbeiter*innen „erleichtern“ könnten. So wurden die Container zunächst in dem Teil der ehemaligen Ölmühle gebaut, in dem sich das SAI* in Campobello befindet, und dann wurden die auf der anderen Seite aufgestellten Zelte der Arbeiter*innen entfernt, um weitere ‚Häuschen‘ zu bauen. Im Gegensatz zu dem, was gesagt wurde, sind für den Zugang zu diesen Hütten nicht nur Dokumente, sondern auch ein Green Pass* erforderlich. Derzeit gibt es 25 Wohncontainer mit jeweils 5 Betten, die vom Roten Kreuz verwaltet werden.
Kritische Punkte in Fontane d’Oro
Die Worte eines Arbeiters benutzend: wenn das Ex-Calcestruzzi-Lager das ‚hässliche‘ Lager ist, kann man Fontane d’Oro als das ‚schöne‘ Lager bezeichnen, aber es ist immer noch ein ‚Lager‘, d.h. die Situation ist besser, obwohl es viele kritische Punkte gibt.
Die Kälte: Wie ein anderer Arbeiter, ebenfalls Senegalese, der in Fontane d’Oro wohnt, sagt, ist Kälte ein Problem (er macht die universelle Geste um Kälte auszudrücken, indem er seine Arme mit den Händen reibt): „das Wasser ist kalt“, die ‚Häuser‘ sind kalt. Um sich zu wärmen, muss man das Wasser erhitzen (und dafür jemanden bezahlen, wie in der ehemaligen Zementfabrik) oder sich in der Nähe eines der kleinen Läden im Lager aufhalten, wo es einen kleinen Ofen gibt.
Die Toiletten und die Geschlechterfrage: Eine Senegalesin, die nach dem Brand in Fontane d’Oro eintraf, um den Arbeiter*innen ein Restaurant zu bieten, wies auf die mangelnde Privatsphäre und Sauberkeit der vorhandenen Toiletten hin. Eines Morgens zeigte sie sie uns: schmutzig und mit Müll übersät. Zuerst putzte sie sie eine Zeit lang. „Sie könnten jemanden dafür bezahlen, dass er morgens hierher kommt und es macht“, versucht sie vorzuschlagen. Noch schlimmer war für sie der Mangel an Privatsphäre, der vor allem die Frauen betrifft: „Für die Männer ist es vielleicht in Ordnung, aber nicht für uns.“ Es gibt nur einen großen Plastik-‚Vorhang‘, der sich jedoch, wenn man ihn anhebt, um einen Raum zu betreten, für alle hebt. Sie hat etwa fünfzig Euro bezahlt, um eine alte, ‚hässliche‘ Holztür einzubauen, die ihr zumindest ein wenig Privatsphäre verschafft und die besonderen Schwierigkeiten für die dort lebenden Frauen verdeutlicht.
Das Thema Wohnung: Viele Arbeiter*innen setzten sich auf die Liste, um einen Platz zu bekommen, weil diese Container trotzdem mehr Schutz vor dem Regen bieten als Zelte, wie die Senegalesin und viele andere erklärten. Einige Arbeiter*innen bekräftigten jedoch, dass sie diese Container nicht betreten wollten, da sie im Gegensatz zu den Hütten oder Zelten nicht von ihnen gebaut wurden. „Das ist nicht mein Zuhause“, sagte ein Arbeiter und spielte damit auf einen der Gründe an, warum dies keine ideale oder langfristige Lösung ist. Einer der stärksten Kommentare vor den Wohncontainer war „schön… wir haben dort Hühner untergebracht“.
Ausbeutung der Arbeitskraft: Für einen anderen Arbeiter, der weiterhin im Zelt schläft, sind das größte Problem nicht die Unterkunft, sondern die Arbeitsbedingungen. „Ich bin zum ersten Mal hier, aber ich werde nie wieder kommen“, sagte er und fügte hinzu, dass man ihm versichert habe, er könne etwas verdienen, aber in Wirklichkeit „verdient man nur so viel, dass man überleben kann, ohne zu sparen, und die Arbeit ist hart“. Er weist auch auf das Problem hin, dass ein Vertrag zwar versprochen, aber nie unterzeichnet wurde. „Wenn ich gut arbeiten könnte, hätte ich ruhig auch in einem Zelt leben können, es wäre mir nicht so wichtig“. Viele andere sprachen von körperlichen Schmerzen aufgrund der sehr harten und langen Arbeit.
Die Bereitstellung von Dienstleistungen: Die institutionell-humanitären Maßnahmen sind nur zögerlich, ohne eine klare Vision, und jedes Jahr werden neue Projekte ins Leben gerufen, die den Bewohner*innen des Lagers nicht wirklich helfen. Viele Arbeiter*innen wussten beispielsweise nicht, dass es an einigen Tagen in der Woche einen mobilen Gesundheitsdienst in den Siedlungen gibt, der aus verschiedenen Gründen offenbar nicht für alle Arbeitnehmer*innen zu einem Bezugspunkt geworden ist. Viele von ihnen wurden stattdessen ins Krankenhaus oder in die Notaufnahme in Castelvetrano begleitet, wo es weder eine sprachlich-kulturelle Mediation noch ein Bewusstsein für Fragen der kulturellen Vielfalt als klare institutionelle Politik gibt. Als wir beispielsweise einen jungen Arbeiter begleiteten, der sich am Feuer verbrannt hatte, wurden wir Zeuge einer Szene, in der ein Arzt darauf bestand, dass er sich „die Füße waschen“ müsse, und ihn fragte, ob er „wisse, wie man sich die Füße wäscht“, womit er seine Unkenntnis über die Realität in der nur wenige Kilometer entfernten Siedlung zum Ausdruck brachte, in der es nicht immer genug Wasser gibt, um sich die Füße zu waschen.
Diese und andere kritische Punkte bei der Bereitstellung von Dienstleistungen und die Ineffizienz lokaler Institutionen sind auf den mangelnden politischen und institutionellen Willen, etwas zu ändern, zurückzuführen. Diese problematischen Aspekte betonen aber auch die Notwendigkeit, dass Vereine das ganze Jahr über und nicht nur während der Erntezeit die Institutionen anprangern und unter Druck setzen, damit die Versprechen eingehalten werden und nicht jedes Jahr von Vorne angefangen wird.
Die Verwahrlosung am Ex-Calcestruzzi
Nach dem Brand am 29./30. September blieben einige Menschen in der ehemaligen Zementfabrik (derzeit leben dort mindestens fünfzig Menschen dauerhaft) und begannen auf den vom Brand verbliebenen Trümmern mit dem Wiederaufbau.
Trotz der Bemühungen um den Wiederaufbau ist die ehemalige Fabrik Calcestruzzi immer noch eine Mischung aus Monoxidgeruch, Haufen von verbranntem und neuem Müll, Asbest und einem allgemeinen Gefühl von Verlassenheit und Gewalt, zu dem auch die Gewalt gegen Frauen gehört, die an diesem unsichtbaren Ort unsichtbar gemacht werden, in einem Kontext, in dem die sexuelle Gesundheit ohnehin von der Gesellschaft kaum beachtet wird, wenn man von einigen wenigen Fachkräften absieht. So gibt es beispielsweise in Campobello und Castelvetrano einen erheblichen Mangel an Beratungsstellen.
Der Müllberg, der sich in den letzten Monaten vor dem Lager angesammelt hat, scheint ein weiteres deutliches Zeichen dafür zu sein, wie wenig sich die Behörden um die Lebensbedingungen der Arbeiter*innen scheren.
Kritische Punkte in Fontane d’Oro
„Ich lebe seit vier Jahren hier“, sagt ein Saisonarbeiter in der ehemaligen Fabrik Calcestruzzi, „und ich sehe Weiße mit Notizbüchern, die Namen und Zahlen aufschreiben und über Dokumente sprechen, aber es ändert sich nichts.“
Die Frustration dieses Arbeiters ist klar und verständlich. Die Politik und die Dynamik in Campobello, einer Stadt mit 11.000 Einwohner*innen und einer Wirtschaft, die von der Arbeit dieser Menschen lebt, sind komplex und zeichnen sich durch Einrichtungen aus, die die Gewohnheit haben, die Verantwortung auf andere abzuwälzen und dabei die am meisten gefährdeten und wichtigsten Menschen vergessen. Seit Jahren leben wir in einem Teufelskreis aus Notfällen während der Saison und relativer Stille während des restlichen Jahres. Stattdessen sollten Initiativen mit einer langfristigen Perspektive ergriffen werden, wie zum Beispiel, zusätzlich zu den bereits genannten, eine Kartierung der leerstehenden Häuser in Campobello.
Der Ausgangspunkt für all dies ist, wie uns diese Saison in Campobello gelehrt hat, die Stimmen derjenigen, die das Land bearbeiten und an diesen Orten leben, in ihrer Heterogenität wirklich zuzuhören.
Redaktion von Borderline Sicilia
* SAI : Sistema di Accoglienza e Integrazione – Allgemeines Aufnahme- und Integrationssystem
* Green Pass: Impfungsbescheinigung gegen Covid
Aus dem Italienischen übersetzt von Stefania Gavin