Contrada Pian del Lago in Caltanisetta: Lager 2015
Räumungsmaßnahmen und Umzäunungen sind nicht ausreichend um das Problem hunderter Asylbewerber zu lösen, die bis zu vier Wochen warten müssen bevor sie Zugang zu den Prozeduren für die Beantragung auf internationalen Schutz erhalten.
Nach den Räumungen der spontan entstandenen Lager im vergangenen Jahr sind hunderte von Asylbewerbern, die die Stadt erreichten, in Häusern von Spekulanten untergekommen, wo sie bis zu 100 Euro für eine Matratze auf dem Boden zahlen.
Diese zu den Lagern alternativen Unterkünfte haben das Phänomen zwar weniger sichtbar gemacht, aber das Problem rund um die auf Identifizierung und Aufnahme wartenden Asylbewerber nicht gelöst.
Foto: Giovanna Vaccaro
Das Polizeipräsidium wendet weiterhin eine Praxis informeller Listenführung an: Die Namen der sich dort vorstellenden Asylbewerber werden aufgenommen, die Liste während der drei Öffnungstage der Ausländerbehörde abgearbeitet und die Personen zur Identifikation und Aufnahme gerufen.
Was ist an dieser Praxis der „informellen Liste“ nicht schlüssig? Erstens, dass die Annahme des Asylantrags nicht im Rahmen der Einreichung desselben stattfindet. Zweitens, dass bis zur Identifizierung zwei Wochen verstreichen und drittens, dass weitere Zeit zwischen der Identifizierung und der Annahme vergeht.
Die schwerwiegendste Folge dieser Praxis ist jedoch, dass in der Zeit die zwischen der Identifizierung und der formalen Anerkennung des Antrags auf internationalen Schutz, welcher nur mittels der Ausfüllung des C3 Formulars zur Asylantragsstellung zum gleichen Zeitpunkt der Aufnahme möglich ist, diese Asylbewerber nicht als solche gelten, also durch keine einzige Sicherheitsnorm geschützt sind. Bei einer möglichen Kontrolle könnten sie als illegale Migranten eingestuft werden und als solche (falls sie davor noch nicht identifiziert worden sind) in das CIE* geraten oder direkt ein Ausweisungsdekret erhalten.
Eine weitere Folge dieser Praxis ist, dass diese Personen während der gesamten Wartezeit dazu gezwungen sind, in provisorischen Lagern zu leben: Wer es sich leisten kann erhält für den „geringen“ Betrag von 100 Euro eine Matratze in einer Behausung zusammen mit vielen anderen weiteren Personen. Den anderen bleibt nichts anderes übrig, als im Freien auf dem Gelände rund um das Aufnahmezentrum und die Ausländerbehörde des Polizeipräsidiums zu übernachten.
Zwei sind die provisorischen Lager der Asylbewerber, die vor kurzem an der gleichen Stelle wie schon welche in der Vergangenheit entstanden sind, während eine weitere Personengruppe angeblich in einem verlassenen Haus lebt. Es sind also circa hundert Asylbewerber, die sich in dieser Situation befinden.
Dreißig Männer bengalischer Nationalität, um die 30 Jahre alt, leben im Raum unter der Treppe des Sportzentrums der Stadt, welches im März 2014 geräumt wurde. Natürlich haben sie weder fließendes Wasser noch Strom und die Kälte und der Regen der vergangenen Wochen haben ihren bereits schwierigen Aufenthalt an diesem Ort bestimmt nicht erheitert.
Es wurde mir gesagt, dass sie sich tagsüber in den nahen Läden etwas zu essen kaufen. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um kalte Speisen, da sie keine Möglichkeit zum Kochen haben und es in der Stadt nicht einmal eine Mensa gibt. Etwas warmes zum Abendessen erhalten sie dann nur dank Bekannten, die im CARA* untergebracht sind und ihnen ihre Reste aufheben und bringen.
Ich frage sie, wie lang die Wartezeiten sind um die Prozedur für die Asylbeantragung und Aufnahme abwickeln zu können und sie antworten, dass man innerhalb von 20 Tagen identifiziert und aufgenommen werden kann. Wenn sie zur Aufnahme gerufen werden, füllen sie das C3 Formular zur Asylantragstellung aus um den Asylantrag endlich offiziell zu machen.
Ich begebe mich dann zu der Stelle an der sich eine weitere Ansammlung von Menschen befindet, die unter einer Straßenüberführung ein provisorisches Lager aufgebaut hat. Dieses besteht aus diversen Zelten, die mit in der Gegend gefundenen Matratzen ausgelegt wurden. Die Überdachung, die durch die Straßenüberführung entsteht, sieht zwar wetterbeständig aus, in Wirklichkeit ist sie es aber nicht und wenn es regnet, und in den vergangenen Wochen gab es mehrere Gewitter, wird es darunter sehr matschig, was das Leben noch komplizierter macht.
Denjenigen zufolge mit denen ich rede, leben hier circa 60 Personen, alle pakistanischer Nationalität. Sie warten entweder auch auf die Identifizierung, auf die Aufnahme oder auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.
Als ich frage wie es ihnen geht, antworten sie, dass ich dies doch selber sehen könne: „no water, no electricity, no food“. Sie sagen mir, dass sie es nur einmal am Tag schaffen etwas zu essen, und dies nur dank der Unterstützung von Bekannten, die im CARA* untergebracht sind und abends übriggebliebenes Essen zum Lager bringen.
Ich frage ob ich Fotos vom Lager machen darf und sie erteilen mir die Erlaubnis. In dem Moment kommt ein junger, Holz tragender Mann uns entgegen und sie sagen mir, ich solle ihn auch fotografieren: Dieses Holz stellt die einzige Heizmöglichkeit für die Nacht dar.
„Ist es schon sehr kalt nachts?“. „Ja, und wie!“
Foto: Giovanna Vaccaro
Ich frage ob es allen gut geht, ob es Menschen mit erheblichen Gesundheitsproblemen gibt. Sie sagen, dass es derzeit keine schwer Erkrankten gebe, nur ein paar Personen hätten die Grippe.
An dieser Stelle erinnere ich sie an die Notrufnummer, die sie wählen müssen um einen Krankenwagen zu rufen. Sie kennen diese Dienstleistung schon und erzählen mir diesbezüglich, dass sie vor einigen Wochen den Notruf für einen Freund mit akuten Schmerzen getätigt hätten und ganze fünf Mal anrufen mussten, bevor endlich ein Krankenwagen kam.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia
* CIE – Centro di Identificazione ed Espulsione: Abschiebehaft
* CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
Aus dem Italienischen von Linde Nadiani