Borderline Sicilia besucht im Rahmen der Kampagne LasciateCIEntrare das Abschiebungshaftzentrum CIE in Caltanissetta
Caltanissetta, Pian del Lago – 19. September 2014 Als wir in das Zentrum Pian del Lago kommen, erwarten uns die Vertreter des Polizeipräsidiums und der Präfektur sowie die Leiterin des Zentrums, eine Angestellte des Betreibers Auxilium, um uns während unseres Besuchs zu begleiten.
Das Zentrum besteht aus einem kleineren Teil mit Zementbauten und einem großen Bereich mit Containern. Hinter diesen Bauten erhebt sich hinter einer hohen doppelten Einzäunung das von Polizei und Heer bewachte Abschiebungshaftzentrum, das Zentrum zur Identifikation und Abschiebung (CIE).
Vor dem Tor befinden sich die Verwaltungsbereiche: das Büro, in dem die Polizei die Fingerabdrücke der Migranten nimmt, und das sogenannte Untersuchungszimmer.
In dem Bereich vor dem Aufnahmezentrum für Asylbewerber (Cara) versammelt sich die regionale Kommission für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus. Die Wartezeiten bis zur Anhörung betragen durchschnittlich 8 Monate, wie uns der Vertreter des Polizeipräsidiums mitteilt, vorausgesetzt, der Asylbewerber ist nicht bereits in einem anderen Land registriert. In diesem Fall vergehen weitere zwei bis sechs Monate für die notwendigen Überprüfungen nach dem Dublin-Verfahren (hierbei wird geprüft, ob der Asylbewerber in den ersten Staat, in dem seine Identität festgestellt wurde, zurückgeschickt werden muss).
Die Leiterin des Zentrums teilt uns mit, dass im Aufnahmezentrum derzeit insgesamt etwa 570 Personen untergebracht sind, und zwar: 360 im größeren Bereich, 115 im Identifikationszentrum (CDI) und 92 im Abschiebungshaftzentrum (CIE).
Unser Besuch beginnt im kleinsten Block des Aufnahmezentrums, das aus gemauerten Gebäuden besteht. In jedem von diesen befinden sich vier große Räume mit jeweils sechs direkt nebeneinanderstehenden Betten, die aus Zementblöcken mit darauf gelegten Matratzen bestehen. Jedes dieser Gebäude ist mit 4 Duschen und 6 WC ausgestattet (für insgesamt 48 Personen).
Sowohl die Schlafräume als auch die Waschräume sind anlässlich unseres Besuchs (der angekündigt und dann, vor Wochen, von der Präfektur auf dieses Datum verschoben wurde) ganz offensichtlich geputzt worden, dennoch sind sie dreckig und stinken.
Bei unserer Ankunft hat sich ein Teil der Asylbewerber beim Gebet auf dem Boden versammelt, auf einer offenen Fläche vor dem sogenannten Mensabereich, der ebenfalls in einem der gemauerten Gebäude eingerichtet ist und mit Tischen und Stühlen ausgestattet ist, die auf den ersten Blick ganz offensichtlich nicht für die Zahl der „Gäste“ ausreichen; ein Mitarbeiter erklärt uns jedoch, dass sie „in mehreren Schichten essen und morgens erst sehr spät aufstehen“.
Die Leiterin des Zentrums, eine Mitarbeiterin des Betreibers des Abschiebungshaftzentrums und des Aufnahmezentrums Auxilium, ist die einzige, die unsere Fragen offen und gut vorbereitet beantwortet. Sie erklärt uns, dass die Flüchtlinge einen Stick erhalten, der täglich mit 2,50 Euro aufgeladen wird und nur innerhalb des Aufnahmezentrums benutzt werden kann, um Getränke, Zigaretten oder Telefonkarten zu kaufen.
Die Asylbewerber erhalten nie Bargeld oder andere Zahlungsmittel, die sie außerhalb des Aufnahmezentrums ausgeben können. Daher können sie, wenn sie tagsüber die Einrichtung verlassen und in die Stadt gehen, weder eine Busfahrkarte kaufen noch sich in eine Bar setzen, um einen Kaffee zu trinken; sie können nur ziellos umherstreifen.
Im Übrigen muss man, da die Gegend nicht von öffentlichen Verkehrsmitteln bedient wird, 6 km an einer sehr gefährlichen, stark befahrenen Straße ohne Gehwege und Beleuchtung zurücklegen, um in die Stadt zu kommen. Letzte Woche ist so ein pakistanischer Flüchtling angefahren worden (derzeit liegt er im Koma im Krankenhaus in Caltanissetta).
Das Zentrum kann zwischen 10 Uhr morgens und 20 Uhr abends verlassen werden, wobei im Sommer abends eine gewisse Flexibilität besteht.
Wir setzen unsere Besichtigung fort und gehen in den größeren Bereich des Zentrums, in dem sich, wie uns mitgeteilt wurde, 35 Container mit jeweils 8-10 Betten befinden sollen. Und hier geht die Rechnung nicht auf, denn in dem einzigen Container, den wir besichtigt haben, gab es sogar 18 Betten (einfache, als Etagenbetten aufgebaute Feldbetten) 16 davon hatten Matratzen und Bettlaken und waren also zum Zeitpunkt unseres Besuchs ganz offensichtlich in Gebrauch. Wenn es auch in den restlichen Containern die gleiche Zahl Betten gibt, wie es uns später gesagt wurde, wären allein in diesem Teil des Aufnahmelagers insgesamt 560 Personen untergebracht.
In diesem Zusammenhang sollte man sich vor Augen führen, dass die verschiedenen Bereiche des Zentrums Pian del Lago jeweils folgende Personenzahl aufnehmen können: 360 und 96 in den beiden Bereichen des Aufnahmezentrums für Asylbewerber (Cara) und 96 im Abschiebungshaftzentrum (CIE).
Vor einigen Wochen waren auch Frauen im Zentrum, heute treffen wir einige Minderjährige.
Auch in diesem Teil des Aufnahmezentrums sind die Tische und Stühle in der Mensa sicherlich nicht ausreichend für die hohe Zahl an untergebrachten Personen.
Wir fragen nun nach Informationen über die für die untergebrachten Personen vorgehaltenen personenbezogenen Leistungen und über die dafür vorgesehenen Fachkräfte. Wir erfahren, dass es insgesamt 8 Sprachmittler und Dolmetscher gibt, die sowohl im Aufnahmezentrum als auch im Abschiebungshaftzentrum eingesetzt werden und sich somit (bei normaler Auslastung) um mehr als 550 Ausländer kümmern müssen. Mit der rechtlichen Beratung der im Aufnahmezentrum untergebrachten Personen sind 4 Mitarbeiter betraut, von denen keiner einen Anwaltstitel oder einen Studienabschluss in Jura hat.
Die einzige im Aufnahmezentrum vorgesehene Aktivität ist ein Grundkurs Italienisch, der im Mensabereich abgehalten wird, wo wir neben kaputten Tischen und wenigen Stühlen einige an Pfeilern befestigte Zeichnungen von Booten erkennen. Die Unsitte, dass Ausländer (und ihrer Freiheit beraubte Personen allgemein) wie Kinder behandelt werden, lässt sich nur schwer ausrotten.
Die sanitären Einrichtungen befinden sich in diesem Teil des Zentrums auch in Containern mit jeweils 6 Duschen und 12 Toiletten. Dann gibt es noch zwei kleinere Container, die jedoch laut Aussage der Gäste so gut wie gar nicht funktionieren.
Insgesamt stehen den zahlreichen hier lebenden Personen (deren Zahl wohl zwischen 360 und 560 schwankt) also 48 Toiletten und 24 Duschen zur Verfügung. Die untragbaren Zustände der Toiletten werden uns wiederholt von den Gästen, mit denen wir nach und nach während unserer Besichtigung sprechen, berichtet. Schließlich fordern sie uns auf, sie uns alle anzusehen. Wir gehen also auch in die anderen 3 Container und finden dort immer dasselbe vor: auf dem Boden Pfützen voll dreckigem Wasser aus den kaputten Abflüssen, herausgerissene Türen, Dreck, unerträglichen Gestank. Die Gäste selbst wollen uns alle Mängel zeigen. Neben den Toilettentüren erkennen wir verschiedene Behälter, in denen das Abwasser entsorgt wird. Wir fragen dann, wie viele der sanitären Einrichtungen schätzungsweise tatsächlich funktionieren. Sie antworten uns, dass durchschnittlich 2 von 6 Toiletten und eine von drei Duschen pro Container funktionieren: insgesamt also 16 Toiletten und 6 Duschen für das gesamte Zentrum.
Bei der Besichtigung beider Bereiche „führen“ uns verschiedene Beamte der Präfektur, des Polizeipräsidiums und einige Mitarbeiter von Auxilium; unsere Gespräche mit den Flüchtlingen waren daher weder privat noch frei von Furcht vor möglichen Folgen.
Wir treffen auf mindestens 7 ganz offensichtlich minderjährige Afrikaner.
Einige von ihnen leugnen, minderjährig zu sein, weil sie befürchten, dann von den anderen – möglicherweise Freunden oder Verwandten – getrennt zu werden und in andere Zentren und in ein unbekanntes Schicksal geschickt zu werden.
Andere hingegen haben ihr offenkundig minderjähriges Alter geltend gemacht, doch die Röntgenaufnahme ihres Handgelenks hat ergeben, dass sie Volljährig sind, und demnach werden sie auch als solche behandelt. Wie es scheint, wurden ihre Fälle an Save the Children gemeldet, doch sie scheinen absolut keine Ahnung von ihren Rechten und den laufenden Verfahren zu haben.
Nach und nach erfahren die Personen den Grund unseres Besuchs und nähern sich uns, um uns etwas zu fragen, sich über die Lebensbedingungen im Zentrum zu beklagen und die Wartezeiten der Kommission und der Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigungen zu melden.
Viele, zu viele, sagen uns, dass sie wie Tiere leben. Das dürftige Essen – manche hegen auch Zweifel daran, Halal-Fleisch zu bekommen, denn als sie darum gebeten haben, das Zertifikat zu sehen, hat ihnen niemand Gehör geschenkt.
Der Besuch im Abschiebungshaftzentrum, in dem sich heute 92 Personen befinden (und das für 96 Personen ausgelegt ist), wurde nur für drei Personen genehmigt und erfolgt unter extrem restriktiven und bislang unbekannten Bedingungen.
Sie lassen uns durch das erste Tor und hinter den hohen Zaun, der von Polizei und Heer bewacht wird, doch am zweiten Tor, durch das wir in das Abschiebungshaftzentrum hätten kommen sollen, werden wir aufgehalten. Die Gründe hierfür sind vage, sie liegen im Ermessen der „öffentlichen Sicherheit“. Ein Beamter, der auf unseren höflichen Protest reagiert, erklärt uns, dass die Ausbruchsrate in diesem Abschiebungshaftzentrum sehr hoch ist und Auseinandersetzungen und Aufstände an der Tagesordnung sind. Ich frage einen Mitarbeiter von Auxilium, ob er dies bestätigen kann, doch er verneint das.
Uns wird jedoch weder gestattet, die Einrichtung noch die Zementbauten zu besichtigen, in denen die Inhaftierten bis zu ihrer Abschiebung untergebracht sind (das Abschiebungshaftzentrum Caltanissetta ist mit Blick auf die Prozentzahl der Ausweisungen das effizienteste; allein im Jahr 2014 wurden Tausend Rückführungen durchgeführt).
Mit den Inhaftierten können wir nur durch die dicken Gitterstäbe und umgeben von Beamten und Mitarbeitern sprechen.
Etwa 20 Prozent der Inhaftierten kommen direkt aus dem Gefängnis, andere (Ägypter und Tunesier) sind gerade erst angekommen und werden durch die sogenannte zeitversetzte Zurückweisung direkt abgeschoben; andere sind „einfache“ Illegale. Alle wurden bereits in verschiedenen Polizeipräsidien registriert und identifiziert.
Durchschnittlich bleiben sie von einem bis maximal 4 Monate im Abschiebungshaftzentrum. Nicht alle Inhaftierten, die das Abschiebungshaftzentrum verlassen, werden tatsächlich in ihr Herkunftsland abgeschoben: einige werden mit der Anweisung des Polizeipräsidenten zum Verlassen des italienischen Gebiets entlassen; einige wenige haben Glück und erhalten einen humanitären Aufenthaltstitel, weil sie als schutzwürdig angesehen werden (dies sind vor allem Ägypter und Tunesier).
Wir sprechen durch die Metallstäbe mit einigen von ihnen.
Da ist ein Nordafrikaner, der seit 1994 in Italien ist und mit Frau und Kindern 5 Jahre in Mailand lebte, doch er hat im Zusammenhang mit seiner Drogensucht Straftaten begangen und war deshalb im Gefängnis. Nach dem Verbüßen der Strafe wurde er nicht, wie gefordert, in eine Rehabilitationsgemeinschaft verlegt, sondern in das Abschiebungshaftzentrum Caltanissetta gebracht. Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde ihm wegen angeblicher Gemeingefährlichkeit entzogen und er muss nun in Mailand Berufung einlegen. Er wird seit September hier festgehalten, doch in den Papieren, die er uns zeigt und die ihm im Abschiebungshaftzentrum zugestellt wurden, steht Juli als Zustelldatum.
Vier Jugendliche nähern sich dem Zaun. Alle sind offensichtlich minderjährig. Sie sind seit dem 30. August eingesperrt; der Richter, der ihre Haft bestätigt hat, muss blind gewesen sein. Elena, die Mitarbeiterin, kennt sie mit Namen und versichert ihnen (die Kleinen sind sehr besorgt), dass sie bald dort hinauskommen werden, weil bereits ihre Familienangehörigen kontaktiert wurden, die bald ihre Geburtsurkunden oder Ausweise ins Abschiebungshaftzentrum schicken werden, mit denen ihre Minderjährigkeit bewiesen werden kann – obwohl die Röntgenaufnahme des Handgelenks ihre Volljährigkeit ergeben hat.
Ein Mann hat aus „dem Widerstand gegen seine Zurückschiebung nach Tunesien“ ein gebrochenes Bein davongetragen.
Ein anderer, sehr junger Inhaftierter, ist gerade aus dem Gefängnis hierher verlegt worden; er war beschuldigt worden, der Schlepper des Bootes zu sein, mit dem er nach Italien gekommen war. Er sagt, er sei minderjährig und Libyer und könne nicht in sein Land zurückkehren, da er Unterstützer des Gaddafi-Regimes war.
Im Abschiebungshaftzentrum wurde er als volljährig und Tunesier identifiziert.
Alle Ausländer, mit denen wir sprechen, fragen uns, wer wir sind, warum wir dort sind und warum wir nicht hereinkommen können, um zu sehen, wo sie leben, und ob wir etwas für sie tun können. Fragen, die wir nicht beantworten können, und schon gar nicht erschöpfend.
Als wir weggehen, flehen uns die kleinen Inhaftierten an, sie dort rauszubringen.
Wir kehren in den „Verwaltungsbereich“ zurück, ins Untersuchungszimmer, einen großen, sauberen Raum. An der Tür sehen wir die Öffnungszeiten: von 10 bis 11.30 Uhr morgens und von 18 bis 19.30 Uhr abends. Als wir darauf aufmerksam machen, versichern uns die Mitarbeiter des Zentrums, dass der Dienst rund um die Uhr aktiv ist und man nur klingeln muss, um in die Krankenstation zu kommen. Andererseits haben uns die Gäste, mit denen wir gesprochen haben, von dem Problem erzählt, dass sie das gleiche Pulver-Medikament für jede Art von Beschwerden bekommen, und wir haben zwei sichtlich mitgenommene Personen gesehen, die über starke Wirbelsäulen- und Kopfschmerzen klagen und dasselbe Medikament bekommen.
Unser Besuch neigt sich dem Ende zu, als wir beim Verlassen der Krankenstation einen von einigen Mitarbeitern begleiteten Jungen mit einem geschwollenen und blutenden Auge kommen sehen. Die Mitarbeiter beruhigen uns sofort: „Er hat sich an einer Ecke gestoßen.“ Ja, genauso wie bei den Frauen, die man im Frauenhaus antrifft.
Bevor wir gehen, fragen wir den Vertreter des Polizeipräsidiums nach den Zeiten für die Identitätsfeststellung. Man versichert uns, dass dies geschieht, sobald die Personen sich im Büro vorstellen, was sich höchstens um 2 bis 3 Tage verzögern kann.
Eine andere Version über die Identitätsfeststellung hören wir in den improvisierten Lagern vor dem Zentrum in Pian del Lago, zu denen wir uns direkt im Anschluss begeben. Dort leben seit Monaten etwa siebzig Asylbewerber, die im Aufnahmezentrum keinen Platz gefunden haben und auf der „Warteliste“ stehen, um – wer weiß wann – hineinzukommen. Andere halten sich dort auf, nachdem sie von der Kommission abgelehnt wurden; einige sogar nach einem „Aufenthalt“ in der Abschiebehaft, weil im Aufnahmezentrum kein Platz war! Ein guter Teil von ihnen wartet auch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung, auf die sie einige Wochen warten müssen.
Unterdessen warten sie, ohne jegliche Unterstützung.
von Alessandra Ballerini, Giovanna Vaccaro, Gabriella Guido
Der Besuch erfolgte in Anwesenheit von Prof. Fulvio Vassallo Paleologo durch eine Abordnung der Kampagne lasciateCIEntrare zusammen mit Rechtsanwälten, Journalisten und Vereinen der Zivilgesellschaft im Rahmen eines Monitoring der Abschiebehaftzentren in Italien und der Forderung zur Schließung dieser Zentren. In diesem Zuge ist auch das Monitoring der Aufnahmezentren für Asylbewerber (Cara) notwendig geworden.
Aus dem Italienischen von Renate Albrecht