Ältere Asylbewerber müssen 24 Stunden vorm CARA* in Pian del Lago warten
Letzten Mittwoch hatten wir davon berichtet, wie 60 Migranten in
der Nacht des 14. April in Palermo ankamen und am gleichen Morgen ins
staatliche Zentrum für Asylsuchende (CARA) nach Pian del Lago gebracht
wurden. Urplötzlich rühmte sich das CARA* mit der Verfügbarkeit von
Dutzenden Plätzen, trotz der langen Liste von Asylantragstellern, die seit mehreren Wochen darauf warten aufgenommen zu werden.
Insbesondere
über die Situation eines älteren Paares hatten wir informiert, die mit
ihren Kindern seit einer Woche auf die Aufnahme vom zuständigen
Asylzentrum warten. Nachdem sie dann vom Polizeipräsidium zu 15 Uhr
einberufen wurden, befanden sie sich um 20 Uhr des gleichen Tages immer
noch am Eingang des Zentrums.
Der Tag darauf erfuhren wir, dass sie
immer noch da waren und dort die ganze Nacht verbracht hatten. Als sie
sich zum Asylzentrum begaben, nahmen sie all ihr Gepäck mit, weil sie
aufgrund der Einberufung überzeugt davon waren, aufgenommen zu werden.
Vor Ort wurde ihnen dann gesagt, dass nur einen Platz für die Frau zur
Verfügung steht. Es handelte sich um die gleichen Vorschlag, den man
ihnen bereits am ersten Tag unterbreitete, als sie versuchten den
Aufnahmeantrag zu stellen. Dieses Angebot hatten sie verständlicherweise
abgelehnt, da die alte Frau nicht in der Lage ist alleine in das CARA
zu gehen und sich von ihrer ganzen Familie zu trennen. Außerdem lässt
ihr gesundheitlicher Zustand keine vollständige Autonomie zu, weil sie
Schwierigkeiten mit der Fortbewegung hat und durchgängig auf familiäre
Unterstützung angewiesen ist. Die Betreiber des Zentrum antworten auf
diese zweite Zurückweisung der Lösung, die mal wieder keine Lösung
darstellte, mit Gleichgültigkeit.
So blieben die zwei alten Personen
die ganze Nacht und den darauffolgenden Morgen auf einem Stuhl vor dem
Zentrum sitzen. Die einzigen Solidaritätsbekundungen kamen von einigen
Landsmännern, die im Aufnahmezentrum leben, und von anderen außerhalb
des Aufnahmezentrums, die den Protest der Söhne der Betroffenen
unterstützten. Sie hatten sich gegen die inakzeptablen
Aufnahmebedingungen aufgelehnt. Nicht einmal die Situation des Vaters –
ein Mann über siebzig mit starken Rückenproblemen – wurde
berücksichtigt.
Am gleichen Morgen war ein Mitglied der UNHCR vor
Ort, um der Kommission der Region beizuwohnen. Uns ist unklar, weshalb
dieses Mitglied nicht versucht hat eine Lösung für die extreme Situation
der beiden älteren Flüchtlinge zu finden, deren Zustand sehr schlecht
ist.
Um 15:30 Uhr des gleichen Tages sahen wir die zwei ältere
Eheleute mit ihrem Sohn in ein Auto steigen. Wir hatten für den Moment
die Illusion, dass sich nach der 24-stündigen Tortur endlich eine Lösung
gefunden hätte, doch am selben Abend erfuhren wir, dass die Autofahrt
in Wirklichkeit nur dazu diente, die Flüchtlinge ins Stadtzentrum zu
bringen. Man hatte ihnen gesagt, dass man am Montag eine Lösung finden
würde.
Es ist klar, dass die zwei älteren Leute mit ihrem
bedenklichen Gesundheitszustand niemals zu Fuß die 5 Kilometer vom
Asylzentrum zur Innenstadt hätten gehen können. Die Gegend ist
tatsächlich ohne Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln und es
existieren weder Gehwege noch Strassenbeleuchtung. Die Strasse ist
erfahrungsgemäß sehr gefährlich und nicht passierbar, weshalb es bereits
wiederholt zu Unfällen in der Gegend gekommen ist. Die Opfer sind immer
die Asylbewerber des Asylzentrums, die gezwungen sind, diesen Weg zu
Fuß zu gehen. Von September bis heute gab es gut drei Unfälle. Der
Letzte ereignete sich letzte Woche (http://www.seguonews.it/cronaca/pian-lago-immigrato-investito-unauto-ricoverato-in-prognosi-riservata-santelia/
http://www.radiocl1.it/web/incidente-a-pian-del-lago-immigrato-investito/, www.canicattiweb.com/2015/04/12/sicilia-investe-immigrato-e-non-presta-soccorso-denunciato-giovane-di-20-anni-a-caltanissetta/)
Schließlich
hat die Präfektur heute morgen endlich dafür gesorgt, dass die beiden
Eheleute und eines ihrer Kinder in eine SPRAR* Einrichtung aufgenommen
wurden. Die Einrichtung ist ein Projekt für Familien und wird von der
Vereinigung “I Girasoli” betrieben.
Unterdessen gab es am Morgen neue
Proteste durch Asylbewerber am Eingang des Asylzentrums in Pian del
Lago. Es bleibt zudem noch immer ein Geheimnis, wie die plötzliche
Verfügbarkeit von 60 Schlafplätzen die Schwierigkeiten und den
hundertsten Notstand der von dem Innenministerium ausgerufen wurde. Wir
befinden uns jetzt bereits seit 25 Jahren in diesem „Notstand“
angesichts des Migrationsflusses und bis heute hat man es nicht
geschafft, eine vernünftige Migrations- und Aufnahmepolitik
aufzustellen, die auf die realen Bedürfnisse eingeht.
Wenn sich eine
Katastrophe, wie die von letzte Nacht, ereignet, und nur ein Flüchtling
während seiner Reise nach Italien und Europa stirbt, sollten wir nicht
nostalgisch zu den Militärschiffen im Mittelmeer schauen, die dort
retten. Stattdessen sollten wir auf die Migrationspolitik und eine
effektive Seenotrettung der Menschenrechte schauen, für die sowohl
Italien als auch Europa nicht verantwortlich sein wollen.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Sebastian Frese
*CARA: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*SPRAR:
Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem
für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf
freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500
Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen.