Was von der Aufnahme bleibt
Während das Schiff Mare Ionio 49 Personen rettet, beginnt der Krieg auf Twitter, um die italienische NGO Mediterranea saving humans zu deskreditieren. Diese Rettungsaktion zeigt, dass Menschen noch immer fliehen und im Mittelmeer sterben oder nach Libyen zurückgeführt und dort gefoltert werden mit unserem Geld.
Nicht nur, dass die italienische Regierung die Wahrheit über die Massaker im Mittelmeer vertuscht, sie ist auch Auftraggeberin und Komplizin. Zusätzlich verwendet sie öffentliche Gelder, um den Hotspot von Lampedusa und das CPR* von Milo zu sanieren. Diese Arbeiten führen die staatseigene Ansiedelungsagentur Invitalia und die italienische Luftwaffe im Auftrag aus. Geld über Geld verschwendet ohne Logik, für Einrichtungen, die keinen Sinn haben und nicht effizient sind.
Unmenschliche politische Entscheidungen
In einem solchen Klima ist die Gewährleistung einer guten Aufnahme das Ziel von nur Wenigen. Von Gastfreundlichkeit kann nicht mehr die Rede sein und die Menschen sind aufgrund dieser unmenschlichen politischen Entscheidungen noch mehr zu Ware verkommen, an denen sich einige bereichern können.
Um nur ein Beispiel zu nennen: die Präfektur von Palermo hat erneut ein CAS* geschlossen, und zwar das in Altavilla. Es wurde geschlossen einerseits auf Wunsch des Innenministeriums, um die Zahlen der aufgenommenen Menschen zu reduzieren und anderseits auf Wunsch der Trägerorganisation, die mit niedrigen Bewohner*innenzahlen nicht genug Profit macht, um ein weiteres Betreiben zu rechtfertigen. Die anwesenden Personen – ca. 23 – wurden nach Piano Torre (Isnello) und Marineo verlegt. Zwei Orte, die weder gut an Palermo angebunden sind, noch Orte für Lern- und Berufserfahrungen für die Menschen sind, wie es vorher in Altavilla der Fall war. Niemand hat die bereits geleistet Integrationsarbeit berücksichtigt, die mit vielen Opfern und Aufwand verbunden war, niemand hat sich um die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen gekümmert. Unser Telefon hat Sturm geläutet, mit Nachrichten der Menschen, die verängstigt waren ob der neuerlichen Veränderungen.
Das erwünschte Resultat: zwei von ihnen haben auf die Aufnahme verzichtet und drei sind schon vor dem Transfer verschwunden. Diese Personen werden jetzt in die Unsichtbarkeit gedrängt, genauso wie es die Regierung will, während sie sich mit geschlossenen Häfen und gestoppter Aufnahme brüstet. Diese Zerstörung des Aufnahmesystems geht mit großen Schwierigkeiten auf der lokalen Ebene einher. Während das Innenministerium diese Unsichtbarkeit erzeugt, müssen sich die Gemeinden ohne Ressourcen um die Menschen ohne Obdach kümmern, in einer schon schwierigen Situation für alle. Und das ständige Durchgreifen der Polizei, das in Razzien gipfelt, die nur dazu gut sind, Menschen ohne Papiere mitzunehmen, ihnen einen Abschiebebescheid in die Hände zu drücken und sie wieder auf die Straße zu setzen.
Wir haben die Präfektur um Aufklärung gebeten und versucht Journalist*innen zu involvieren, um über die Geschehnisse zu berichten, aber ohne großen Erfolg. In Wahrheit gibt es angesichts der verlegten 23 Personen nur wenig Aufnahmeplätze in der Stadt. Die meisten sind besetzt mit Personen, die aus Mineo gekommen sind, da das Ministerium – aus einem unbekannten Grund – nach Palermo gebracht hat. Diese Personen aus Mineo sind dort für Jahre abgestellt worden und werden dies auch noch für Jahre weiter bleiben da sie sich in Widerrufungsklagen befinden. Ohne Zugang zu Integrationsmaßnahmen werden sie kaum andere Möglichkeiten haben, außer sich in mafiösen und unehrlichen Projekten ausbeuten zu lassen.
Wir töten die Hoffnungen der Menschen
A:”Diese Einrichtung ist nicht gut, wie kann man nur hier leben, es gibt nichts. Nur Bäume. Wie kann ich meine Erfahrung in Palermo weiterführen, wenn es hier nicht einmal einen Bus gibt?“ Ein Satz aus dem Tenor der Menschen die in Piano Torre angekommen sind. „Ich lauf weg, ich kann so ein Leben nicht mehr leben, immer schlimmer, immer verlassener, ich halte das nicht aus.“ Und diese Situation findet man nicht nur in Piano Torre, sondern auch in Marineo: „Diese neue Gemeinschaft ist nicht gut, wir sind auf den Hügeln weit weg von Marineo, es gibt keinen Bus in die Stadt, wir müssen eine Stunde laufen, wenn wir in die Stadt wollen. Wir können unseren Aktivitäten in Palermo nicht mehr nachgehen, wir haben nicht einmal einen Schrank für unsere Kleider. Das ist nicht fair.“
Ähnliche Zeichen kommen auch aus der Provinz von Agrigent. Zum Beispiel der Fall der Villa Sikania, ein Containerlager in der Provinz Agrigents, in das Menschen aus dem CARA* in Mineo (unter ihnen auch besonders Schutzbedürftige) verlegt wurden. Die Verhandlung ihrer Widerrufsklage gegen einen Ablehnungsbescheid ihres Asylantrags findet 2020 statt. Bis dahin müssen sie in Villa Sikania in Zimmern mit 25 Betten leben, in denen die hygienischen Bedingungen, nach den Erzählungen der Bewohner*innen, noch schlimmer sind als in Mineo. Die Lebensqualität ist auf niedrigstes Niveau geschraubt und Zukunftspläne sind ausgelöscht.
Zuallererst die Menschen, das ist die einzige Antwort für eine bessere Zukunft für uns alle, wir müssen zurückfinden in ein menschliches Handeln und Denken, nicht so wie die überheblichen und grausamen Kapitalisten, die bereit sind Alles und Jeden zu opfern, so wie die 45 Marokkaner*innen die im Mittelmeer vor einigen Tagen ertrunken sind, über die sich der Staat ausschweigt und Journalist*innen nicht berichten.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
* CAS – Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum
*CPR – Centro di permanenza per i rimpatri, Abschiebelager
* CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
Übersetzung aus dem Italienischen von Helena Hattmannsdorfer