Tage der Trauer und Proteste
Seit Tagen kommen nacheinander von Schiffen der NGOs, der italienischen Küstenwache oder anderen Frontex zugehörigen Kontrollorganen gerettete Migrant*innen in diversen Häfen Siziliens an. Den Ankünften folgt die Zählung der Toten. Seit der vergangenen Woche wird die Liste andauernd aktualisiert: Die letzten Todesfälle wurden in der von dem deutschen Schiff geretteten Gruppe gezählt. Darunter sollen mindestens drei Menschen die Überfahrt nicht überlebt haben, nach der erneuten Katastrophe, die sich 70 Meilen vor den Küsten Libyens ereignet hat. Von dieser haben die heute Morgen angekommenen Überlebenden erzählt. Mindestens 100 Personen seien vom Meer verschluckt worden, ein Meer, das in den kommenden Tagen die Körper, die es nicht verdauen kann, ausspucken wird!
Die in Trapani angekommenen Personen (ca. 250 aus der Subsahara) sind in den Hotspot von Milo verlegt worden, wo man sie in den nächsten Tagen identifizieren wird und in die in anderen Regionen gelegenen außerordentlichen Aufnahmezentren (ital. CAS) verlegen wird, während die unbegleiteten Minderjährigen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.
24 Überlebende des Unglücks vor der Küste Libyens sind auf der pelagischen Insel in dem Hotspot des Bezirks Imbriacola untergebracht worden. Sie sind zu den Hunderten von Migrant*innen hinzugekommen, die sich seit 4 Monaten illegal in der Einrichtung aufhalten.
In den vergangenen Tagen sind ca. 60 Frauen aus Nigeria vorübergehend hinzugekommen, die von dem Schiff SOS Méditerranée gerettet wurden, von denen viele sofort in außerordentliche Aufnahmeeinrichtungen in der Lombardei und der Emilia Romagna verlegt wurden. Zum Glück hat man diesen Frauen die in den vergangenen Monaten gegenüber anderen Frauen aus Nigeria angewandte Praxis erspart, sie direkt per Flugzeug von Lampedusa nach Rom in die CIE – Einrichtung (Centro di Identificazione ed Espulsione – Abschiebungshaft) von Ponte Galeria zu bringen, um sie dann an ihren Herkunftsort zurückzuschicken, auch wenn sie mögliche Asylsuchende und Opfer von Menschenhandels waren. Nur Dank des Eingreifens fähiger NGOs, die vor Ort tätig sind, konnte man in vielen Fällen die Rückführaktionen nach Nigeria verhindern. Um gerade diese Gefahr abzuwenden, setzt Borderline Sicilia die Überwachung der Umverteilung dieser Personen auch in andere Gebiete Italiens fort und vergewissert sich, dass sie Zugang zu den Schutzverfahren haben.
Zur Zeit übersteigt die Anzahl der im Hotspot von Lampedusa Untergebrachten die maximal vorgesehene Kapazitätsgrenze. Natürlich ergeben sich Situationen der Vermischung, da es keine begrenzten Freiräume gibt, um Erwachsene und Minderjährige oder Frauen zu trennen. In dieser Situation der Überbelegung wird die Einrichtung dem neuen Betreiber übergeben, der auch die Instandhaltungsarbeiten (so hofft man wenigstens) übernehmen wird, da die Zustände in der Einrichtung inakzeptabel sind. Bäder und Duschen ohne Türen, mangelnde Wartung und Hygiene, was anhand der kürzlich im Inneren der Einrichtung genommenen Fotos erkennbar wird (die wir veröffentlichen). Die Fotos veranschaulichen noch einmal die mangelnde Beachtung der Menschenwürde der Personen, die wir wagen, als „Gäste“ zu bezeichnen. Vielleicht sind sie sogar welche, aber nach den Abbildungen sicherlich unerwünschte!
Außerdem ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage oder nach welchem Gesetz es legitim ist, die Dutzenden von in der Einrichtung anwesenden Migrant*innen auf unbestimmte Zeit festzuhalten. Viele von ihnen haben nichts anderes als eine Telefonkarte bei ihrer Ankunft auf Lampedusa erhalten. Ohne die ehrenamtlichen freiwilligen Helfer auf Lampedusa und die Insulaner selbst, die so gut wie möglich helfen, hätten diese Migrant*innen mit ihren Familien aus den Herkunftsländern keinen Kontakt haben können.
Diese schlimmen Situationen von Menschenrechtsverletzungen werden sicherlich durch das Fehlen eines einheitlichen Programms ermöglicht, sowie durch Gesetze, die es erlauben, die Mauern zu erhöhen und Personen zu entmenschlichen. Das ist der Grund dafür, dass sich die Einrichtungen für unbegleitete Minderjährige in einer verzweifelten Lage befinden, und aufgrund des Fehlens einer ernsthaften Planung sind von Lampedusa bis Trapani, über Pozzallo und Palermo, aufeinanderfolgende und auch gewalttätige Proteste entflammt.
Viele Migrant*innen sind verzweifelt wegen der nicht endenden Wartezeit und der fortwährenden Verlegung von einer Einrichtung in die andere. Wir haben Jugendliche getroffen, die im Verlauf von zwei Jahren in Palermo angekommen sind, um erst nach Messina und dann erneut nach Palermo und schließlich nach Trapani verlegt zu werden. Es sind Jugendliche, die als gewalttätig abgestempelt wurden. Diese haben sich nämlich gewehrt, weil sie es überdrüssig sind, nicht als Menschen, sondern vielmehr als Schafe behandelt zu werden, die nach Belieben des Hirten von einem Ort zum anderen bewegt werden. Dies hat zur Folge, dass sie alles verlieren, beginnend mit dem Anspruch auf Aufnahme.
Das ist das, was in der letzten Zeit Trapani geschehen ist, insbesondere in der Rieseneinrichtung in Valderice, die von Badia Grande betrieben wird. Dort befinden sich mehr als 200 Personen und die Polizei ist dort zu Hause. Nein, sogar mehr.
Aufgrund der Unfähigkeit des Betreibers, mit den Migrant*innen zu interagieren (insbesondere mit einer Gruppe, die die Einrichtung wegen des Widerrufs des Aufnahmerechts wegen gewalttätiger Handlungen verlassen müssen) ist mittlerweile der tatsächliche Betreiber der Einrichtung die Polizei. Es ist die eine Sache, einen einzigen Widerruf in einer kleinen Einrichtung zu organisieren. Es ist jedoch etwas anderes, einen Widerruf zu organisieren, der 20 Personen umfasst. Es handelt sich um eine Maßnahme, die nur schwerlich ohne Gewaltanwendung durchgeführt werden kann. Wir fragen uns, ob diese Jugendlichen jemals in den Einrichtungen, in denen sie sich aufgehalten haben, eine psychologische Betreuung erhalten haben, ob man ihnen erklärt hat, wie die Aufnahme in Italien funktioniert, ob diese Jugendlichen wie Menschen oder wie Zahlen behandelt worden sind. Das sind berechtigte Fragen, die wir uns stellen, auch angesichts der fortwährenden Anrufe, die wir von Migrant*innen aus allen Teilen Siziliens erhalten, die sich verlassen fühlen, die keinen Ansprechpartner haben, der sie über ihre Situation aufklärt. Fragen, die viel zu oft als nutzlose Beschwerden erachtet werden.
Proteste im Rathaus von Grotte
Auch die Jugendlichen leben nicht nur aufgrund der bürokratischen Problematiken unter ziemlich schweren Bedingungen. Viele Unterkünfte befinden sich in Schwierigkeiten, da sie keine finanzielle Unterstützung von den Kommunen oder den Regionen erhalten. Von Santa Flavia bis zu den in den Madonie-Bergen entlegenen Einrichtungen kommen täglich Beschwerden an. Die chronologisch letzte betrifft den Protest (energisch aber geordnet) der Einrichtung für Minderjährige „L’isola che c’è“ in Grotte gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen und den Minderjährigen aus anderen Einrichtungen in der Provinz von Agrigento. Sie haben den Versammlungssaal des Rathauses von Grotte besetzt. Dort haben sie die lokale Körperschaft aufgefordert, die aufgrund der verspäteten Zahlungen entstandenen finanziellen Schwierigkeiten der Kooperativen zu übernehmen. Die Verantwortlichen haben verzweifelt damit gedroht die Jugendlichen auf die Straße zu setzen, aufgrund der durch die Verspätungen verursachten Schwierigkeiten die Zahlungen für Strom und Wasser zu tätigen. Der Protest ist mit dem Einsatz der Polizei beendet worden. Und auch in diesem Fall sind die Leidtragenden die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der Kooperativen.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Übersetzung aus dem Italienischen von Lan Gatti