Migranten: Die zwei Gesichter des Hotspots auf Lampedusa. Für Grasso handel es sich um „ein Modell“, die Aktivist*innen hingegen beobachten, dass im Hotspot „Urin von der Decke tropft“

Von MeridioNews

Der
Senatspräsident hat heute das Identifikationszentrum der Insel besucht. „Es ist
ein Modell von Aufnahme und Solidarität, das absolut geeignet ist, weiter
empfohlen zu werden“, sagte er. Das Kollektiv
Askavusa
hingegen veröffentlichte Bilder von Sickerwasser, Urinflaschen,
dreckigen Matratzen und brüchigen Elektroanlagen.

 

Foto vom Collettivo Askavusa

„Dies ist
der erste Eingangspunkt nach Europa; hier beginnt oder endet Europa“. Während
seines Besuchs des Hotspots auf Lampedusa heute Morgen hat der Senatspräsident
Pietro Grasso wieder einmal die Zentralität der Insel unterstrichen. Die Insel
wird seit Jahren als Kreuzung der Ankunftswege von Migrant*innen empfunden und
als Aufnahme- und Solidaritätsmodell angepriesen. Lampedusa ist aber, um es mit
den Worten des ehemaligen Staatsanwaltes zu sagen, vor allem „der Prüfstand der
Idee Europas“. Dennoch, wer auf der Insel dauerhaft lebt, prangert eine
Situation innerhalb des Zentrums der Contrada Imbriacola an, die ganz sicher
nicht beispielhaft ist: Die Decken sind mit Urin vollgesogen, die Migrant*innen werden gezwungen, in
Plastikflaschen zu urinieren, die Matratzen sind verdreckt und die Elektro- und
Wasserleitungen sowie Sanitäranlagen sind baufällig. Das Kollektiv Askavusa,
das seit Jahren auf Lampedusa für den Schutz der Rechte der Migrant*innen
kämpft, hat Bilder veröffentlicht, die diese Situation belegen.

„Einige Tage
vor dem offiziellen Besuch – schreiben die Aktivist*innen – wurde das Zentrum
geleert und gesäubert und bis zum Ende des Besuchs werden keine Neuankömmlinge hereingelassen“.
Die Fotos und die Online gestellten Videos belegen stattdessen den Zerfall, der
in einigen Teilen des Zentrums herrscht. Es soll auch, nach den Zeugenaussagen
der Bewohner*innen, die Askavusa gesammelt und veröffentlicht hat, Druck
ausgeübt und der Verlauf des Identifizierungsprozesses behindert worden sein.
„Wir wissen, dass oft Minderjährige und Erwachsene zusammen leben – berichten
sie – und dass die Sanitäranlagen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge geschlossen
wurden, nachdem wochenlang aus einem Bad im ersten Stock durch die Decke Urin
nach unten tropfte in ein Zimmer, in dem einige Migrant*innen schliefen. Die
Minderjährigen werden gezwungen in Plastikflaschen zu urinieren oder die
Sanitäranlagen der Erwachsenen zu benutzen, die fast immer überschwemmt sind
und deren hygienischer Zustand sehr schlecht ist“.

 


Foto vom Collettivo Askavusa

 

Um seine
Meldung zu unterstützen, veröffentlich das Kollektiv die Fotos auf seinem Blog.
„Sie sind von letzter Woche – erklärt der Aktivist Giacomo Sferlazzo, der auch
als Liedermacher bekannt ist. Wir haben sie den Journalist*innen zur Verfügung
gestellt, auch denen, die heute Abend bei Lampedus’Amora dabei sein werden
(einer Veranstaltung, die heute Abend beginnt,
und die zur Ehre der Journalistin Cristiana Matano, die zu früh verstarb,
organisiert wurde – Anm. d. Red.), aber niemand hat sie veröffentlicht. Ich verlange
ja nicht, dass die Presse die Wahrheit erzählen soll, aber wenigstens soll sie
die Nachricht, die wir ihr zugespielt haben, öffentlich machen“. Für den
Sprecher des Kollektiven Askavusa ist der Grund des Schweigens ganz klar. „Das
Spiel heißt Nicht-Beachten-und-Abschotten“, fährt er fort. „Sie wollen uns
unsichtbar machen, wie sie das mit den Migrant*innen hier tun. Wenn man über
sie spricht, dann nur in diesem rhetorischen „Rahmen“, den sie schon parat
haben“.

 

Der
Präsident Grasso hat nichts von dem, was die Aktivisten dokumentiert hatten,
gesehen, lieber hat er sich mit den Mitarbeiter*innen und den Freiwilligen der
Humanitären Organisationen, die im Zentrum in Imbriacola arbeiten, getroffen,
er hat mit einigen Migrant*innen gesprochen und wollte die Jungen, die morgen
Abend an dem Fußballspiel Lampedusa gegen
den Rest der Welt
teilnehmen werden, kennenlernen. An diesem Spiel werden
unter anderen Bewohner*innen von Lampedusa, Migrant*innen, Schauspieler*innen,
Musiker*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und Fußballspieler*innen teilnehmen.
Der PD* Politiker hat seine Anerkennung „der fruchtbaren Zusammenarbeit
zwischen den vielen anwesenden Kräften“ zum Ausdrück gebracht und er hat
behauptet, dass „(das Zentrum) ein Modell von Aufnahme und Solidarität ist, das
sich durchaus eignet, woanders eingesetzt zu werden und darüber hinaus sehr
hilfreich für die zukünftige Integration in unserem Land sein kann“.

Diese sei eine
in den Medien häufig verbreitete Darstellung, findet Sferlazzo, aber er lehnt
sie ab. „In Wirklichkeit sind der Hotspot und die ganze Insel eine strategische
Militärbasis“, behauptet er. „Da diese Art der Darstellung aber den Tourismus
fördert, widersetzen sich die Bewohner*innen der Insel der Instrumentalisierung
ihres Gebietes als Bühne nicht. Und man darf nicht die vielen Leuten vergessen,
die im Hotspot arbeiten. Und wenn man die Geschichte so verpackt, hat man auch
eine Möglichkeit, Geld von der EU zu verlangen“.

 

Andrea Turco

 

*PD – Partito
Democratico: Demokratische Partei

Aus dem Italienischen übersetzt von A. Monteggia