Lampedusa: „Ich habe auf der ganzen Überfahrt gebetet“ so die Ärztin an Bord des Patrouillenbootes
La Repubblica, di RAFFAELLA COSENTINO – Auf der Überfahrt, deren Rückkehr gut 17 Stunden gedauert hat, haben auch die Rettungskräfte um ihr Leben gefürchtet und sogar die Erfahrensten haben sich nicht wohl gefühlt. „Wir hatten nicht mehr ausreichend Decken, der Wind hatte sie fortgeweht. Einige sind zum Aufwärmen in den Maschinenraum geschlüpft und wir mussten anhalten.“ Das sind die dramatischen Aussagen von Gabriella Lattuca vom italienischen Rettungsteam, das unter Kommando der maltesischen Marine steht.
LAMPEDUSA – Gabriella Lattuca, eine Ärztin aus Agrigento, war zum ersten Mal mit Cisom (italienisches Rettungsteam des Ordens von Malta) an Bord des Patrouillenbootes der Guardia Costiera (italienische Küstenwache). Für sie war die Rettung der 58 Migranten, von denen die Hälfte tot im Hafen von Lampedusa ankam, eine Feuertaufe in mitten hoher Wellen des libyschen Meeres. Drei Patrouillenboote sind von Lampedusa aufgebrochen, zwei davon haben die Schiffbrüchigen übernommen. An Bord eines jeden Bootes waren acht Rettungskräfte, sprich sechs Besatzungsmitglieder einschließlich des Kapitäns, ein Arzt und ein Arzthelfer. Auf beiden Such- und Rettungsbooten, Sar (Search and rescue) war eine Ärztin an Bord.
Der dramatische Bericht der Ärztin Gabriella Lattuca: Alle Opfer befanden sich an Bord ihres Bootes. „Du wirst dir bewusst, dass auch du, ob Arzt, Arzthelfer oder Taucher, ein Mensch bist. Die Natur übersteigt unsere Fähigkeiten und Kompetenzen. Wir nehmen all unseren Mut, unseren Willen und unsere Liebe zusammen. Ich habe den Einsatz als Mission gesehen, deshalb bin ich Ärztin geworden. Aus Nächstenliebe habe ich mich für den Arbeitseinsatz zur Rettung von Migranten entschieden. Aber ich habe um unser aller Leben gefürchtet und ich möchte nicht verschweigen, dass ich vom Anfang bis zum Ende gebetet habe.“
Die Patrouillenboote Sar sind vor zwei Tagen um 16.00 Uhr in Lampedusa ausgelaufen. Sie haben das in Seenot geratene Boot um 22.00 Uhr erreicht. Um 22.45 Uhr begann die Rückfahrt, verlangsamt auf Grund der schlechten Witterung. Gestern Nachmittag um 16.30 sind die Boote im Hafen von Lampedusa eingelaufen. Die Hinfahrt dauerte sechs, die Rückfahrt mehr als 17 Stunden.
Acht Meter hohe Wellen. „Es hat geregnet und gehagelt. Die Wellen waren bis zu acht Meter hoch und der Wind war sehr stark. Die extrem widrigen Witterungsbedingungen haben die Mission für uns und die Besatzung sehr erschwert“, berichtet Lattucca. „Für die Migranten, welche bereits eineinhalb Tage auf dem Meer hinter sich hatten, war die Situation natürlich noch schwieriger. Einige haben mir anvertraut, dass sie seit Wochen nichts gegessen hatten. Viele litten an Hyperthermie.“ Nicht nur den Migranten war unwohl, sondern auch den erfahrenen Rettungskräften. Keiner hatte je zuvor so ein unruhiges Meer erlebt. Die Ärztin des Cisom fährt fort: „Auf der Rückfahrt sind wir sehr langsam gefahren und es gab einige Zwischenfälle. Auch der Besatzung ging es nicht gut und wir mussten ihnen helfen. Ich selbst habe auch unter dem starken Seegang gelitten.“
Die Grenzen der Seenotrettung. Die Seenotrettung mit Patrouillenbooten ist auch deshalb begrenzt, da diese Boote nur wenig mit an Bord nehmen können. Lattuca erklärt: „Wir haben nicht die Ausrüstung für 60 Personen an Bord. Wir haben zwar Thermodecken verteilt aber sie haben nicht für alle gereicht weil sie der starke Wind während der Überfahrt fortgeweht hat. Wir haben den Migranten neue Decken gegeben und diese wurden wieder fortgeweht.“ Ein anderes Hilfsmittel, erklärt die Ärztin aus Agrigento, sind die Wärmebeutel. Ein Beutel, der Flüssigkeit enthält und sich nach einem festen Schlag erwärmt. Aber auch das war nicht ausreichend, genauso wie der Versuch, abwechselnd einige Personen in den geschlossenen Bereich des Bootes zu bringen. Am Heck sind sie vor Kälte gestorben. Gabriella Lattuca berichtet weiter: „Plötzlich ging der Feueralarm an und es roch, als ob etwas Feuer gefangen hätte, aber es war kein Feuer ausgebrochen. Der Bordmechaniker ging nachsehen und bemerkte, dass einige Migranten, um sich von der Kälte zu schützen, versucht haben in den Maschinenraum zu gelangen, wo sich die Fässer mit dem Treibstoff befinden.“ Es war schwer die Lage draußen im Auge zu behalten auch, dass einige Personen starben blieb zuerst unbemerkt. „Die Toten am Heck haben wir bemerkt, als der Taucher einen Kontrollgang machte, aber da war es bereits zu spät. Den Tod der übrigen haben wir leider erst am Ende bemerkt.“ Der einzig der in diesem Fall und unter diesen gefährlichen Bedingungen einschreiten konnte, war der Taucher der Besatzung. Er ist so ausgestattet, dass er das Sar Boot seitlich umlaufen kann, denn er hat einen Sicherungsgurt und ist für den Fall ausgerüstet, sollte er ins Meer stürzen.
Es war unmöglich Hilfe aus der Luft zu alarmieren: „Der Taucher ging nachsehen, es ist ein mutiger und schwerer Job, auch er selbst fühlte sich nicht gut aber er war trotzdem im Stande zu reagieren“, so die Ärztin. Auf Grund der Witterungsbedingungen und wegen der hohen Anzahl an Personen, die sich in einem kritischen Zustand befanden, war es nicht möglich Rettungskräfte aus der Luft anzufordern. „Das war mein erster Einsatz auf einem Seenotrettungs- Patrouillenboot,“ sagt die Ärztin, die 2013 im Aufnahme-Zentrum der Insel Lampedusa gearbeitet hat, abschließend. „Meine erfahreneren Kollegen haben mir gesagt, dass sie noch nie so ein Meer gesehen haben.“ Wie es bereits bei ähnlich, dramatischen Vorfällen der Fall war, ist auch dieses Mal ein Team von Psychologen von Cisom nach Lampedusa aufgebrochen, um den Rettungskräfte der Guardia Costiera, den Ärzte und Arzthelfer des Rettungsteams unter maltesischem Kommandos und all jenen die es brauchen Hilfe anzubieten.
„Wir haben 75 Personen vor dem Tod gerettet,“ bestätigt Mauro Casinghini, Nationaldirektor von Cisom. „Man kann vieles behaupten und kritisieren, aber wenn du dich bei Seestärke acht mit einem Patrouillenboot auf den Weg machst ein nur noch halb mit Luft gefülltes und bereits halb gesunkenes Schlauchboot zu retten, das sich über 100 Meilen entfernt befindet, da ist die Wahrscheinlichkeit, dass du niemanden mehr findest größer, als die Wahrscheinlichkeit einige Leben zu retten.“
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner