Ich fange an, Angst um meine Kinder zu haben
>Das Minniti-Orlando Dekret, das inzwischen in ein Gesetz umgewandelt wurde, wird in diesen Tagen schon in die Tat umgesetzt. Die Folgen sind: im ganzen Land organisierte Rasterfahndungen, von den Polizeipräsidien durchgeführte Zurückweisungen und Verschleppungen zu den Hotspots. Es sind faschistische Methoden, obwohl die Unterschriften unter dem Gesetz von zwei Politikern stammen, die theoretisch den Faschismus bekämpfen sollten. Die Aktionen dieser Regierung ernähren tagtäglich den Fremdenhass und produzieren Gewalttaten, die sich gegen Migrant*innen richten und deren Anzahl konstant steigt. Parallel dazu steigen auch übertriebene Sicherheitsmaßnahmen, die diese Regierung mit Wohlwollen betrachtet.
Wir sind Zeug*innen der gewaltsamen Unterdrückung jeglichen Dissens und der Untätigkeit denen gegenüber, die Willkür und Fremdenhass predigen. Irgendwas stört mich an dieser Situation und ich bekomme Angst, besonders wenn ich an meine Kinder denke und an alle Kinder, die in ein Europa hineingeboren werden, in dem der Faschismus so anmaßend und übermütig zurückkehrt.
In diesen von Sorge und Kummer gekennzeichneten Tagen werden die Verschleppungen, die pünktlich, mindestens einmal im Monat, von Lampedusa aus starten, völlig ignoriert. Just vorgestern ist ein Flugzeug der Gesellschaft Meridiana mit an Bord 40 Nigerianer*innen zuerst in Richtung Palermo oder Catania gestartet, um dann in Rom einen Zwischenstopp einzulegen und am Ende nach Lagos zu fliegen. Gerüchten zu Folge sind zwei von ihnen zurück nach Villa Sikania gebracht worden, weil an Bord nicht genügend Plätze frei waren. Es werden also 38 Menschen in ihre Heimat zurückgeführt, die jedoch von der nigerianischen Gesellschaft ausgeschlossen werden, weil sie ihr Land verlassen hatten und die von ihren Familien abgewiesen werden, weil die Familien keinen Kontakt mehr haben wollen, mit jemandem, der vergebens so viel Geld verschwendet hat. Natürlich laufen sie auch noch Gefahr inhaftiert zu werden.
Öfters haben uns Migrant*innen erzählt, dass sie lieber sterben würden, als zurückgeführt zu werden: Wenn sie sterben würden, würden sie wenigstens als diejenigen in Erinnerung bleiben, die alles versucht hatten, um für sich und die Familie eine bessere Zukunft zu finden. Wir fragen uns, ob diese Menschen Zugang zu den Informationen bezüglich des internationalen Schutzes hatten und ob sie Kontakt zu den in den Hotspots aktiven Schutzorganisationen hatten. Wir fragen uns, ob UNHCR und OIM diese Abweisungen als legitim erachten. Für uns sieht es so aus, dass diese Aktionen kollektive Zurückweisungen potentieller Asylsuchenden sind, bei denen die Migrant*innen gefesselt und von der Polizei wie Verbrecher*innen behandelt werden. Das sind offensichtliche Verletzungen der internationalen Gesetze und Vereinbarungen, die Italien einhalten müsste.
Es ist längst normal geworden, dass einmal im Monat von Lampedusa aus Nigerianer*innen zurückgeführt werden und sogar noch öfters von Palermo aus Migrant*innen zurück nach Tunesien gebracht werden. Und in der letzten Zeit werden öfters auch Migrant*innen zurück nach Gambia gebracht. Die italienische Regierung ist sehr bemüht, Vereinbarungen mit afrikanischen Ländern zu treffen, ganz egal ob dort Diktaturen herrschen, die korrumpiert sind und die Menschenrechte außer Acht lassen.
Lampedusa war immer eine offene Insel, kontakt- und austauschfreudig, aber Europa will aus ihr die unüberwindbare Außengrenze machen, wo die Träume vieler Menschen zerplatzen. Die Nachricht der 40 verschleppen Nigerianer*innen wird in keiner Zeitung erscheinen, keine Fernsehsendung wird über diese heimtückischen und wiederkehrenden Aktionen berichten, die durch Verletzungen der Menschenrechte die „Eliminierung“ von Menschen erreichen.
Die 40 Nigerianer*innen aus Lampedusa, zusammen mit all den anderen, die in Italien zusammengesucht wurden, werden die Liste der Unsichtbaren vergrößern, jene Liste, die eigens dazu geführt wird, um rassistische Propaganda zu schüren, die nur auf bewusst verbreiteter Angst und ad hoc kreierter Unsicherheit basiert.
Es gibt keine bessere Waffe, um Hass und Aufspaltung zu säen, eine Waffe, die gezielt von den Regierungen eingesetzt wird, um das soziale Chaos zu pflegen. Deswegen fange ich an, Angst um meine Kinder zu haben.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Antonella Monteggia