Die starke Hand des Staates gegen die Schwachen
Mehrere Dutzend Fahrzeuge der Ordnungskräfte und der Feuerwehrleute, ein Hubschrauber, ungefähr 200 Polizist*innen, Carabinieri und Feuerwehrmänner, um eine Räumung von Familien mit Kindern durchzuführen. Darunter sehr viele Italiener*innen, da man – nicht nur gegen Ausländer*innen – sondern vor allem gegen Arme vorgehen will.
Mangels Schiffbrüchiger, die von NGO-Schiffen gerettet werden, hat die Regierung in diesen Tagen Macht und Gewalt gegenüber Kindern und alten Menschen angewandt, um so die Aufmerksamkeit von den Skandalen der russischen Gelder abzulenken.
Sand in die Augen streuen, ablenken, Aufmerksamkeit auf anderes richten. Eine italienische Schande, eine Politik der Lüge, die in jedem anderen Land mit einem Minimum an Demokratie nicht einmal eine Woche Bestand hätte.
Die ganze Regierungsmaschinerie gegen die NGOs (die 2019 auf mehr als 3000 Ankünfte „nur“ 248 Migrant*innen gerettet haben) dient lediglich dazu, diesen kollektiven Wahn zu schüren, mit dem sich dauerhaft und tragischerweise eine gefährliche Loslösung von der Realität vollzieht.
Katastrophe im Aufnahmesystem
Trotz der niedrigen Zahlen werden die Schwierigkeiten größer, da die Zerschlagung des gesamten Aufnahmesystems in Gang ist. Seit langem zahlt das Innenministerium den Gemeinden nicht die Gelder für die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus und man weiß nicht, was aus den Geldern geworden ist, die für die außerordentlichen Aufnahmezentren bestimmt waren. Welch perfekte Entschuldigung für die Kooperativen, die schon immer Geschäfte machen wollten, um weiterhin als Leistung lediglich das unerlässliche Minimum zu bieten.
Und so schließen weiterhin Zentren und die, die noch offen sind, sind überfüllt. Man denke nur an die Situation im Hotspot von Lampedusa, in dem sich – während wir die Vorfälle um die Sea-Watch verfolgten – das Zentrum in Contrada Imbriacola unter unmenschlichen Bedingungen mit mehr als 200 Personen statt der vorgesehenen 97 Plätze befand. Unzureichende hygienische Verhältnisse und zu wenig Schlafplätze, so dass viele einige Tage lang draußen unter Schutzdächern schlafen mussten. Die Essensausgabe erfolgte mit endlosen Schlangen unter einer glühend heißen Sonne, die Verteilung der Telefonkarten mit Unterbrechungen und die Rechtsauskunft nur oberflächlich. Die unregelmäßige Überstellung nach Porto Empedocle und die unaufhörliche Ankunft von Menschen mit eigenständigen Anlandungen sorgen dafür, dass das Zentrum Contrada Imbriacola ständig überfüllt ist. Auch am Sonntag kamen bei zwei verschiedenen Anlandungen weitere Menschen auf der Insel an.
Zu den katastrophalen Bedingungen im Zentrum kommt noch die illegale Praxis hinzu, mit der die ausgeschifften Menschen für eine unbestimmte Zeit und außerhalb der Verfahren im Inneren der Hotspots festgehalten werden.
Anstehende Ausschreibungen
In diesem Klima des Kriegs gegen die Armen rechnen die Präfekturen mit den alltäglichen Schwierigkeiten der in den außerordentlichen Aufnahmezentren untergebrachten Menschen, die in vielen Fällen mit den alten Leistungsbeschreibungen verlängert werden, solange man noch auf die neuen Ausschreibungen wartet.
In Palermo hat die Präfektur die Verlängerung, die eigentlich Ende Juli ablaufen sollte, erneuert, da die Vergabe der Ausschreibungen erst noch erfolgen soll. Die wichtigsten Kooperativen, die im Moment noch Menschen aufnehmen, stehen auf einer Liste für die 1800 Plätze in Palermo und Provinz. Zwei Kooperativen – Umana Solidarietà und Azione Sociale – haben zu niedrige Angebote eingereicht und sollen deshalb vom Hauptverantwortlichen des Vergabeprozesses geprüft werden.
Hingegen wird in Trapani die Ausschreibung für die Verwaltung des Abschiebezentrums gerade erstellt, zeitgleich mit Renovierungsarbeiten mit Unmengen öffentlicher Gelder, die im Namen einer x-ten Renovierung/Umstrukturierung zum Fenster hinausgeworfen werden. An der Ausschreibung nehmen die nun schon berüchtigte Badia Grande teil, die sich mit einem zeitweiligen Netz aus Unternehmen, das aus Vivere Con und dem Konsortium HERA (ehemals Gruppo Intime) sowie anderen Teilnehmern besteht, unter denen sich auch die Firma Engel aus Salerno befindet, die sich schon mit negativen Schlagzeilen einen Namen gemacht hat.
In Agrigent ist die Situation noch in der Sackgasse mit einer alten Ausschreibung, die schon gestrichen wurde, da sie noch nach alten Kriterien verfasst war. Die neue Ausschreibung wird für September erwartet, aber in der Zwischenzeit schließen die Zentren weiter, zeitlich zuletzt das Zentrum Atfal, das auch die ehemaligen SPRAR*-Einrichtungen schloss. Zentren wie die Villa Sikania, die auch Menschen beherbergt, die aus dem Aufnahmezentrum von Mineo vertrieben wurden, sind voll und ohne jegliche schriftliche Verlängerung, werden aber weiterbetrieben mit einer Interessenbekundung an den Ausschreibungen mit neuen Kriterien und mit Zahlungen, die im Dezember 2018 gestoppt wurden.
In Caltanissetta hingegen ist die Ausschreibung für die Verwaltung des Aufnahmezentrums von Pian del Lago mit 456 Plätzen im Prüf- und Bewertungsverfahren der teilnehmenden Kooperativen, darunter Badia Grande, Vivere Con und anderen, die mit der Region um Caltanissetta verbunden sind, plus der Rückkehr des Cascina Global Service.
Tod und Ausbeutung
Und während die Kooperativen mit den Ausschreibungen Monopoly spielen, tötet der italienische Staat in Einklang mit dem Rest Europas weiterhin ohne Unterlass; vergangene Woche hat das Meer zum wiederholten Mal die toten Körper von 72 Menschen an der tunesischen Küste angeschwemmt, aber die Nachricht war schnell wieder vergessen und keiner fühlt sich schuldig. Das Meer ist ein unschuldiger Beobachter. Nicht unschuldig hingegen sind unsere Regierenden und es sind die, die mit Menschenleben spielen, indem sie gefälschte Arbeitspapiere verkaufen, um Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Wie vorhersehbar war, hat das Sicherheitsdekret dem System des Handels mit Papieren neuen Stoff gegeben. Und so gut wie unbemerkt sind Nachrichten von Fällen schlechter Aufnahme und Arbeitsausbeutung, Fälle, denen auch wir in den letzten Jahren oft begegnet sind.
Vergangene Woche hat sich ein Migrant auf den Boden des Platzes Vittorio mitten in Agrigent gelegt aus Protest gegen die Bedingungen seiner Aufnahme und in Palermo haben die Asylsuchenden des außerordentlichen Aufnahmezentrums Marconi alles blockiert wegen der nicht erfolgten Auszahlung des Taschengeldes.
Aber die Armen sollen sich um des lieben Friedens willen still verhalten und dürfen ihre Stimme nicht erheben, eigentlich müssen sie uns dankbar sein für alles, was wir für sie tun.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
*SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Geflüchtete dienen.
Übersetzung von Jutta Wohllaib