Des-Integration

In der letzten Woche ist das Sicherheitsdekret in Kraft getreten, das nun in ein Gesetz umgewandelt werden muss. Das Dekret greift das Schutzrecht an, es treibt tausende Menschen, die in diesem Land bereits ein neues Leben angefangen hatten, in die Rechtswidrigkeit. Das Sicherheitsgesetz desintegriert das italienische Aufnahmesystem, das System, das trotz all seiner Fehler, einheitlich und nachhaltig war. Es war immer noch besser als das Notstandsgesetz, also die Schutzzentren für Asylantragsteller*innen und Geflüchtete, das heißt die SPRAR*.

Das System wurde desintegriert, damit wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, all das zu zerstören, was gut hätte funktionieren können. Zudem hat die Regierung entschieden, die italienische Aufnahme ins Mittelalter zurückzuversetzen. Zurück zu dem System, das Gerichtsprozesse wie die der Mafia capitale (Hauptstadt Mafia) und Fälle der schlechten Aufnahme von Geflüchteten initiiert hat, die wir seit Jahren anklagen. Es ist eine feige und erkennungsdienstliche Aktion, die die Rechte der Asylantragsteller*innen und die der Menschen, die im Bereich Migration arbeiten, mit Füßen tritt. Eine Aktion von der nur Mafiosi und Spekulant*innen profitieren.

Die Vorgängerregierung hat damit begonnen, die Menschen in der libyschen Hölle festzuhalten oder noch vorher, in der Wüste. Nun ist das Meer, wie nie zuvor, ein Friedhof unter freiem Himmel, dessen wahre Ausmaße wir nicht kennen. Wir wissen lediglich, dass die Sterberate im September 20% erreicht hat. Eine Katastrophe, die mehr als acht Tote am Tag fordert.

Da man mit dieser am Schreibtisch geplanten und geforderten Vernichtung unglücklich war, hat man sich der Personen angenommen, die es nach Italien geschafft hatten. Für die aktuelle Regierung ist es eine große Schuld, lebend nach Italien zu kommen. Als Schuldige wurden jene Personen abgestempelt, die wie der Bürgermeister von Riace, Mimmo Lucano, an eine Welt glauben und für eine Welt kämpfen, in der die soziale Gerechtigkeit an erster Stelle steht, ohne dabei jemals jemanden zurückzulassen.

Was auf diesem Gebiet passiert, ist dramatisch. Viele Präfekturen führen die Schließung der überbelegten CAS* durch, ohne an eine gute Umsetzung zu denken. Um die Migrant*innen zu verstecken, bleiben jene CAS* geöffnet, die sich weit weg von den bewohnten Gebieten befinden. Die schrittweise Schließung der Zentren wird durch den Widerruf der Aufnahme von Inhaber*innen des humanitären Schutzstatus verwirklicht. Damit hat sich die Möglichkeiten auf eine Unterbringung in einem SPRAR* auf ein Minimum reduziert. Der Servizio Centrale (Zentraldienst) hat festgelegt, dass nur jene Eingliederungen gültig sind, die bis zum 4. Oktober erfolgt sind. Das heißt bis an dem Tag, an dem das Gesetzesdekret in Kraft getreten ist. Mehrere Polizeipräsidien haben die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für international Schutzberechtigte in Erwartung auf Anordnungen von Oben ausgesetzt (einige bereits seit Monaten).

Wer seine Runde auf dem Karussell der italienischen Nicht-Aufnahme vollendet hat und es wagt, nach den Gründen zu fragen, der riskiert einen Widerruf oder eine Anzeige und bekommt vom Verantwortlichen des Zentrums zu hören: „Du bist nichts, du bist niemand, ich hänge dein Gesicht an die Wand.“ Damit halten die Verantwortlichen das aufrecht, was die auf Hass basierte politische Propaganda täglich sät.

Gerade volljährig gewordene Inhaber*innen eines humanitären Schutzstatus werden in dieser Phase nicht aus den Zentren für Minderjährige umgesiedelt. Auch sie sind dazu verdammt, die Reihe der Unsichtbaren länger werden zu lassen, die sich als Arbeitskräfte ausnutzen lassen.

Die Medien schweigen und trotzdem gehen die Ankünfte auf Lampedusa weiter, dort ist der Hotspot Imbriacola Gasse mit über 100 Insassen erneut überfüllt, einige Insassen sind gezwungen im Freien zu schlafen. Im Hotspot von Pozzallo befinden sich noch jene Personen, die im Juli von Bord gegangen sind und seither auf eine Weiterreise in ein anderes Land warten. In der Zwischenzeit sind sie großem psychologischen Stress ausgesetzt.

Der Hotspot von Trapani ist seit dem 1. Oktober offiziell ein Zentrum für den Verbleib bis zur Rückführung (CPR*). Die Präfektur hat die laufende Ausschreibung ausgesetzt und die Führung Badia Grande anvertraut. Die Genossenschaft hatte die Ausschreibung gewonnen bevor die Einrichtung ein Hotspot wurde und noch ein Zentrum für Identifikation und Abschiebung (CIE*) war. Vor zwei Tagen haben darin eingeschlossene Tunesier*innen, da ihnen der Zugang zu Internationalem Schutz unmöglich gemacht wurde, einen Aufstand organisiert, der von den Ordnungskräften niedergeschlagen wurde. Einige Tunesier*innen konnten trotzdem fliehen. Diejenigen, die nicht aus dem Zentrum geflohen sind, wurden zum Flughafen von Palermo, Falcone-Borsellino, gebracht. Von dort wurden sie in ihr Heimatland zurückgeführt.

In der Provinz von Trapani, in Alcamo, ist die Weinernte zu Ende und die Turnhalle wurde geschlossen. In Campobello hat unterdessen die Olivenernte begonnen. Wie erwartet sind hunderte Personen gekommen. Sie sind immer mehr versteckt und bereit sich ausnutzen zu lassen, und das mit der Zustimmung der Institutionen.
Der einzige Weg, um dem entgegenzuwirken, sind systematische Anzeigen, uns informiert zu halten, in der Lage sein faschistische Propaganda zu bekämpfen. Damit können jene Personen geschützt werden, die ein Leben suchen. Wir lassen uns nicht des-integrieren.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

 

*SPRAR (Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo): Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), soll zur Integration von Geflüchteten dienen

*CAS (CAS – Centro di accoglienza straordinaria): Außerordentliches Aufnahmezentrum

*CPR (Centri di permanenza per il rimpatrio): Zentren für den Verbleib bis zur Rückführung

*CIE (Centri di identificazione ed espulsione): Abschiebungshaftzentren

 

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner