Bericht aus Lampedusa

Das Wetter ist unbeständig. Schon am Flughafen von Palermo wird die Annullierung des Flugs nach Pantelleria angezeigt. Rings um uns sind Berater und Mitarbeiter des INMP (Instituto Nazionale per la promozione della salute delle popolazioni migranti e del contrasto delle malattie e della povertà – Nationales Institut zur Förderung der Gesundheit von Migranten und zum Kampf gegen Armutskrankheiten), auf dem Rückweg aus den kurzen Osterferien oder auch zum ersten Mal nach Lampedusa unterwegs, um dort den Dienst anzutreten. Außerdem Sicherheitskräfte und/oder andere Beamte in Uniform und in Zivil, darunter sechs Angehörige der Antiterrorismus-Spezialeinheit der Guardia di Finanza (ATPI – Antiterrorismo – Pronto Impiego). Schließlich heben wir ab. Bei der Ankunft stellen wir fest, dass das Gepäck nicht mit angekommen ist, weil man vergessen hat es einzuladen. Wir wenden uns deshalb ans Fundbüro und dort in der Warteschlange bekommen wir ein paar Gesprächsfetzen der Berater und Mitarbeiter des INMP mit. Einige sind seit dem 11. April hier und bleiben bis 11. Juni.

Wir werden sie morgen Vormittag treffen, um weitere Details über das INMP-Projekt auf der Insel zu hören. Als Erstes erfahren wir von ihnen, dass weiterhin 26 Menschen aus Tunesien im CIE (Centro di Identificazione e Esposizione) sind. Seit Freitag sind überdies keine Handelsschiffe mehr angekommen, weshalb auf der Insel Obst und Gemüse knapp werden. Wegen des schlechten Wetters laufen seit Freitag auch die Fähren nach Porto Empedocle nicht aus. Wir haben die Landung eines größeren Passagierflugzeugs aus der Flotte der Repubblica Italiana beobachtet, aber wir fanden nicht heraus, wer damit angekommen sein könnte. Wir begrüßen die Leute vom Verein Askavusa (Verein, der u.a. die Ankünfte der Boote& die Situation der MigrantInnen beobachtet). Zunächst erzählen wir einander, was wir machen, wie es uns geht. Man sieht und spürt regelrecht die Last und die Erschütterung, durch die sie bis vor zwei Wochen gingen: was sie alles auf die Reihe zu bringen hatten, war wirklich viel. Wir sprechen auch über die dritte Auflage des Filmfestivals »Lampedusa in Festival«, das vom 19. bis zum 24. Juli 2011 stattfinden wird, und stellen fest, dass der künstlerische Leiter der Sektion »Derive e Approdi« Dagmawi Yimer ist, der Regisseur von »Come un uomo sulla terra«, »C.A.R.A. Italia« und »Soltanto il mare«. Sie stellen uns auch die Kampagne »IO vado a Lampedusa« [Ich gehe nach Lampedusa] vor, ein Projekt des ›sanften‹, nachhaltigen Tourismus, und erzählen uns, dass es schon ein Treffen mit rund 30 Leuten gab, die Zimmer und Betten zur Verfügung stellen würden, schon ausgewählten Leuten also; doch fanden diese Treffen vor dem »Notstand« statt. Darüber hinaus haben sie sich mit einheimischen Geschäftsleuten getroffen, um eine Charta mit Prinzipien für nachhaltigen Tourismus zu diskutieren, die auch dazu auffordert, sich antirassistisch zu erklären und sich zu weigern, Schutzgeld zu bezahlen. Wir essen mit den Leuten von Askavusa zu Abend und plaudern über den Verein. Wir treffen den Vertreter von Save the Children, der gemeinsam mit einer leitenden Repräsentantin der Organisation aus Rom auf dem Sprung nach Tunesien ist, wo sie bis Anfang Mai bleiben werden.

Der Mann arbeitet seit dem 10. Februar auf der Insel. Er bestätigt uns, dass es aktuell weder Anlandungen noch Repatriierungsmaßnahmen gebe, auf der Insel befinden sich die 26 MigrantInnen aus Tunesien, unter ihnen eine Frau und drei Minderjährige; um letztere kümmert sich Save the Children. Von den Erwachsenen berichtet er, dass 13 von ihnen Asyl beantragt hätten. Zwei Menschen von Brigate di Solidarietà Attiva bereiten uns einen herzlichen Empfang; am Nachmittag begleiten sie uns mit einem Transporter durch Wind und Regen sowohl zum neuen als auch zum alten Hafen. Die Solidarietà Attiva hat eine Reihe von Video-Interviews mit verschiedenen Leuten aufgenommen, die während des »Notstands« die MigrantInnen aktiv unterstützt haben. Sie berichten uns, dass sie versucht hätten, näher an das CIE von Contrada Imbriacola heranzukommen, aber die Straße weiterhin gesperrt und es deshalb nicht möglich sei, auch nur von außen einen Blick hineinzuwerfen. Die Straßen sind voller Mannschaftswagen der Polizei, der Carabinieri, des Heeres und der Guardia di Finanza, häufig stehen sie in Gruppen vor Restaurants oder Bars. Am Abend bekommen wir unser Gepäck am Flughafen; auch Heeressoldaten kommen mit der Abendmaschine an, außerdem jemand vom Zivilschutz. Die Präsenz und die Ankunft all dieser Kräfte beißt sich nachdrücklich mit der augenscheinlichen Ruhe sowie mit dem diffusen Gefühl, dass hier nichts passiert, und es nichts zu tun gibt. Zumindest im Moment.

Marta, Livia und Giovanni vom Forum Antirazzista (Palermo)