Bericht aus Lampedusa
Nach einem kurzen Abstecher zur Stazione Marittima, wo wir mindesten 50 Migranten aus Subsaharaländern antreffen, die dort schlafen, gehen wir zum Kommandanten der Küstenwache, mit dem wir verabredet sind. Er informiert uns, dass am Nachmittag alle Flüchtlinge, die sich noch in den Aufnahmezentren befinden (dem Kommandanten zufolge sind es 1700) mit einer Fähre der Moby Lines aufs italienische Festland verlegt werden sollen.
Die Fähre liegt bereits seit dem Morgen vor dem Hafen von Lampedusa. Von Seiten der MSF wird uns später bestätigt, dass sich noch 1744 Flüchtlinge auf der Insel befinden. Am frühen Nachmittag werden alle Flüchtlinge aus dem Zentrum auf dem ehemaligen Loran-Stützpunkt und aus Contrada Imbriacola zur Stazione Marittima am Handelshafen gebracht, um dort auf die Ankunft des Fährschiffes zu warten. Bis 16 Uhr gelingt es dem Schiff aufgrund der widrigen Wetterverhältnisse nicht, an der Mole festzumachen. Gegen 17 Uhr steht die Fähre schließlich bereit und die Einschiffung der MigrantInnen beginnt. Wir informieren uns im CPSA von Contrada Imbriacola, wie viele Menschen an Bord der Fähre gebracht wurden; ein Soldat erklärt uns, es handele sich um etwa 900 Personen, alle aus Ländern südlich der Sahara. Wir bekommen keine Informationen darüber, ob alle 1700 weggebracht werden oder ob es weniger sind. Um 20 Uhr liegt das Fährschiff immer noch an der Mole des Handelshafens. Bei der Küstenwache kann man uns nicht sagen, welchen Zielhafen es ansteuern soll. Im Verlauf des Tages ist es uns zweimal gelungen, das CPSA von Contrada Imbriacola zu betreten. An der Straße zeigten Polizeibeamte, Carabinieri und Soldaten massive Präsenz; man ließ uns passieren, weil wir den Leiter der Polizia di Stato, dessen Namen wir in Erfahrung gebracht hatten, sprechen wollten. Es ging dabei um eine Nachfrage aus Deutschland: Eine eritreische Familie vermisste einen Angehörigen. Zwar konnten wir nicht mit dem zuständigen Dienststellenleiter sprechen, doch war es uns möglich, die Situation vom Eingang des Aufnahmelagers aus zu übersehen: Wie uns schon die AktivistInnen von Askavusa aus der Nacht vom 29. auf den 30. April berichtet hatten und wie wir auch von Seiten der IOM wussten, konnten die angelandeten Flüchtlinge nicht im Innern des CPSA schlafen, weil sich in dem abgeschlossenen Bereich rund 90 Tunesier befanden, die nicht mit den subsaharischen Afrikanern in Kontakt kommen sollten! So haben sie sich improvisierte Schlafplätze draußen zurechtgemacht. Hinter dem ersten Eingangstor, doch vor dem zweiten Gitter zum zweiten Hof, indem sie große Planen aufspannten. Noch heute morgen sahen wir Menschen unter den Bäumen auf dem Boden schlafen, neben vier Hunden, die ebenfalls dort leben. Statt also die 90 Tunesier zu verlegen, musste ein großer Teil der neu Angelandeten die Nacht im CPSA im Freien verbringen, oder aber in der Stazione Marittima, auf auf dem Boden liegenden Matratzen. Abends treffen wir den Arzt, der das Projekt «Lampedusa emergenza» [Notstand Lampedusa] des INMP (Istituto Nazionale per la promozione della salute delle popolazioni Migranti ed il contrasto delle malattie della Povertà) leitet, das vom 11. April bis zum 11. Juni 2011 auf Lampedusa stattfindet. 20 Mitarbeiter arbeiten dabei im Schichtdienst, Ärzte, Krankenschwestern und Dolmetscher, die bei Anlandungen an der Mole anwesend sind. Das Projekt geht zurück auf Dr. Pullara vom Ospedale Civico in Palermo und wird gemeinsam vom INMP Sizilien, von der obersten Gesundheitsbehörde der Region Sizilien, vom Gesundheitsministerium sowie von der Präfektur Agrigento getragen. Trotz der öffentlichen Trägerschaft weiß man nicht genau, ob das Projekt aus staatlichen oder privaten Quellen finanziert wird. Es geht dabei um die medizinische Betreuung ausschließlich von akuten Fällen. Die Mitarbeiter machen, kurz gesagt, das Gleiche wie MSF oder ASL, nur mit dem Unterschied, dass sie vom Ministerium bezahlt werden. Darüber hinaus führen sie eine wissenschaftliche Untersuchung durch, die dazu dienen soll, eine «task force von Experten» zu bilden, die weltweit ebenso wie in Italien zum Einsatz kommen soll (das heißt, sie untersuchen die Migrations- und Fluchtgründe der Angelandeten). Die Ärzte werden in der Regel von ihren jeweiligen Krankenhäusern abgestellt (von ihrem normalen Dienst befreit). Sie arbeiten mit dem Poliambulatorium von Lampedusa zusammen und stehen auch den Einheimischen als Fachärzte für Gynäkologie und Pädiatrie zur Verfügung (an den Tagen, an denen die Ärzte der Insel keine Sprechstunde haben). Eigentlich waren noch umfangreichere psychosoziologische Studien geplant, die die Bevölkerung Lampedusas einbeziehen, doch fehlt dazu die Zeit, wie uns der Verantwortliche berichtet. Durchgeführt werden aber Befragungen, wie die Einheimischen das Phänomen Migration erleben, welche Ängste entstehen etc. Alle Berichte gehen an Dr. Pullara vom Ospedale Civico. Eine persönliche Anmerkung: Das Projekt scheint uns finanziell gut ausgestattet, doch wenig effektiv zu sein.
Weitere Informationen zum Projekt finden sich auf der Website des INMP.
Bericht: Germana Graceffo/Judith Gleitze
Neuigkeiten vom Abend des 2. 5. 2011
Ein Treffen mit einem verantwortlichen Mitarbeiter des Zivilschutzes, Antonio Rulli. Er informiert uns, dass seit dem 13. April 2011 in ganz Italien die Verantwortung und das Management der Verteilung von Migranten in den Händen des Zivilschutzes liegt. Auf Lampedusa versucht der Zivilschutz die Arbeit aller im Bereich Migration tätigen Behörden und Organisationen zu koordinieren. Allerdings haben sie auf der Insel noch keine feste Dienststelle und die Koordination läuft noch nicht so, wie sie sollte. Entscheidungen wie die, auf Lampedusa ankommende Migranten unmittelbar auf ein Schiff wie die «Flaminia» umzuschiffen, werden vom Zivilschutz getroffen. Heute wurden von den 1744 Flüchtlingen auf der Insel praktisch alle weggebracht; lediglich rund 100 Personen sind im CPSA geblieben. Wir wissen nicht, ob es sich um Tunesier handelt; mit den 16 gestern Angekommenen wären rund 102 Tunesier im CPSA. 30 von ihnen befinden sich nunmehr länger als 25 Tage dort, wie wir aus anderen Quellen erfuhren. Man versteht absolut nicht, warum. Es muss etwas geschehen. Gegen 20.30 Uhr ist die Fähre der Moby Lines bereits abgefahren, Rulli kann uns nicht sagen, wohin.