Alles übliche Vorgehensweisen
„Wir führen Befehle aus, wir können nicht anders; diese Bestien sind zu allem fähig, weil sie so verzweifelt sind, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Wir werden bezahlt, damit wir uns nicht fragen, ob wir richtig oder falsch handeln. Wir sehen immer dieselben Gesichter, diese Leute sind dermaßen verzweifelt, dass sie zwei bis drei Mal zurückkommen und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Auch wir bekommen ihre Geschichten zu hören und verstehen nicht, wie sie es aushalten. Wenn du kurz abgelenkt bist, versuchen sie gleich, sich selbst zu verletzen; sie sind, wie ich schon sagte, zu allem fähig. Deshalb werden gerade wir in den Zentren gebraucht: Wir sind ein Sonderkommando, wenden altbewährte Militärtechniken an und sind immer darauf aus, unsere eigene Haut zu retten. Wenn wir in die Hotspots oder in anderen Einrichtungen gehen um die Tunesier*innen oder die Ägypter*innen zu holen, die abgeschoben werden sollen, dann findet da ein Kampf statt. Wir müssen sie festhalten, damit sie nichts Schlimmes tun (deshalb haben wir auch nach Pfefferspray gefragt, das gerade getestet wird, es macht die Leute nämlich reaktionsunfähig und so haben wir genug Zeit, um in aller Sicherheit zu handeln). Die rennen sogar gegen die Glastüren der Flughäfen, damit sie wegen der Verletzungen nicht mehr abreisen können. Wir kennen uns aus und sind fest entschlossen, den Anweisungen Respekt zu verschaffen; je schneller wir arbeiten, desto eher kehren wir zurück nach Hause zu unseren Familien.“
Das sind die wesentlichen Passagen eines informalen Gesprächs mit einem Mitglied der Notfalleinheit, die in den sizilianischen Zentren, überwiegend Hotspots, CARA* und CPR*, eingesetzt wird, wenn Rückführungen an der Tagesordnung stehen oder Schlägereien aufgelöst werden müssen. Das sind die üblichen Vorgehensweisen, und wir reagieren mit Gleichgültigkeit, wenn Tausende in ihr Land zurückgebracht werden, und das, wenn es sein muss, mit Zwang, Gewalt und Plastikfesseln an den Handgelenken – zu Beruhigungszwecken. Sogar der italienische Staatsbeauftragte für die Rechte von Gefangenen behauptet, dass „die Zwangsrückführungen teilweise immer noch Grund zu Bedenken liefern, bezüglich einiger routinemäßig angewendeter Verfahren, die nicht immer angemessen und notwendig sind“.
In unserem Land lösen schändliche und unmenschliche Vorfälle kaum mehr Empörung aus: Immer seltener werden Proteste laut, wenn Schwache und Schutzlose mit Gewalt und Feigheit behandelt werden. In der Politik ist verbale Gewalt dermaßen gang und gäbe, dass unvertretbare Verhaltensweisen normal erscheinen. Immer seltener halten sich Zeitungen und Journalist*innen an die Tatsachen. Das Mediensystem schreibt ihnen Richtlinien vor und wer sich nicht fügt, wird bedrängt und eingeschüchtert. Auch das sind übliche Vorgehensweisen.
Eine übliche Vorgehensweise ist es, Menschen, die nach Lampedusa kommen, vor allem Tunesier*innen, in eine schlecht funktionierende Einrichtung zu sperren, in der schreckliche Zustände herrschen und die nur für Notfälle bestimmt ist. Eine übliche Vorgehensweise ist es, zu verschweigen, dass nur ein Teil der Tunesier*innen, die an den Küsten von Agrigent und Trapani ankommen und abgefangen werden, tatsächlich nach dem Aufenthalt im Hotspot abgeschoben wird. Gibt es mehr Rückführungen als die, die die bilateralen Abkommen offiziell vorsehen, wird der Rest einfach auf die Straße geworfen, in der Tasche einen Abschiebe- oder Zurückweisungsbescheid. Ob man nach Hause geht oder bleibt und in die Reihen der Unsichtbaren eintritt, ist Zufalls- oder Glückssache, je nachdem wie man es sieht. Letzte Woche sprang bei der Landung in Trapani ein junger Tunesier, um der Rückführung zu entgehen, gleich nach Eingang in den Hafen vom Schiff Aquarius der NRO SOS Méditerranée.
Eine übliche Vorgehensweise ist es, angebliche Menschenschmuggler*innen (besser wäre wohl, von unfreiwilligen Schmuggler*innen zu reden) festzunehmen, um Europa Erfolge vorzuzeigen. Obwohl die Ankünfte letztes Jahr gesunken sind, ist die Anzahl der angeblichen Schmuggler*innen auf 770 gestiegen. Nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt in einem italienischen Gefängnis landen die meisten von ihnen mit einem Abschiebebescheid auf der Straße.
Eine übliche Vorgehensweise ist es, dass die Institutionen den Handel mit unbegleiteten Minderjährigen gutheißen. Denn es ist nunmehr normal, dass Minderjährige in kurzer Zeit 4 bis 5mal die Einrichtung wechseln, womöglich in unterschiedliche Städte und sogar in unterschiedliche Regionen; dabei gehen Unterlagen verloren und Asylanhörungen fallen aus. Man denke bloß an die unendlich vielen Versetzungen von Kalabrien nach Sizilien mit Mitarbeiter*innen sizilianischer Aufnahmezentren, die sogar Reisen nach Kalabrien unternommen und die Minderjährigen dort abgeholt haben um ihren Gewinn nicht einzubüßen.
Eine übliche Vorgehensweise ist es, dass die Quästuren* je nach Stadt andere Benachrichtigungsverfahren bei den Bescheiden der Territorialkommissionen einsetzen. Oft werden von nicht erfolgten Benachrichtigungen seitens der Quästuren* verursachte Schwierigkeiten gemeldet. In manchen Fällen rufen die Kommissionen die Verantwortlichen der Einrichtungen direkt an, um sie im Voraus zu benachrichtigen, dass Bescheide auf dem Weg sind, oder um zu überprüfen, ob die Quästuren* ihrer Benachrichtigungspflicht tatsächlich nachgekommen sind. So versuchen sie, den Asylbewerber*innen Probleme und Verzögerungen zu ersparen.
Eine übliche Vorgehensweise ist es, dass die Widerrufung der Leistungen an Asylbewerber*innen in einem Aufnahmesystem mit mehreren Defiziten und strukturellen Mängeln dazu dient, diejenigen rauszuschmeißen, die protestieren oder als illegitim angesehene Forderungen stellen. Den Schätzungen nach sind die Widerrufungsmaßnahmen in Italien rasant angestiegen, in den letzten zwei Jahren waren es etwa 22.000: 22.000 Menschen, die der Ausbeutung ausgeliefert sind und die einem illegalen Markt falscher Beherbergungsbestätigungen und Wohnsitzanmeldungen auf die Beine helfen.
Komplette Planlosigkeit, stattdessen ein fettes Geschäft: auch das ist eine übliche Vorgehensweise.
Redaktion Borderline Sicilia
*CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*CPR – Centri di permanenza per il rimpatrio: Zentren für die Aufenthaltsdauer bis zur Rückführung
*Questura – eingedeutscht „Quästur“: Die sogenannte „Questura“ ist eine italienische Doppelbehörde und besteht aus Polizei und Ausländerbehörden.
Übersetzung aus dem Italienischen von Susanna Karrasz