Agrigent – Eine Mauer des Schweigens
Im Unterschied zu anderen Orten auf Sizilien scheint in der Provinz Agrigent ein Zustand des Friedens und der Ruhe zu herrschen. Aber das ist nur scheinbar so. In der Provinz Italiens, in der die wenigsten leben möchten (statistische Daten aus diesen Tagen), scheint in den Aufnahmezentren alles in Ordnung zu sein.
In Wirklichkeit sind die Schwierigkeiten, Zugang zu den Einrichtungen zu bekommen, beträchtlich, und das Schweigen der Menschen, die um das Phänomen „Aufnahme“ kreisen, ist sehr verbreitet. Darüber hinaus fehlt, im Unterschied zu anderen Provinzen, ein Netz von Vereinigungen, die das, was dort geschieht, überwachen können. Einen Grund dafür könnte man in der Armut der Gegend suchen oder im Fehlen institutioneller Organisationen oder in der „übersteigerten“ Organisation der Betreibergesellschaften. Wie immer, wenn es um die Verwaltung der Aufnahme geht, findet sich unter ihnen die Kooperative Acuarinto in der ersten Reihe. In einer Gegend, die Ankunftsort und Durchgangsstation für viele Migranten ist, hat die Präfektur nur eine geringe Zahl an Angestellten in Anbetracht der Menge an Arbeit, die mit der Frage der Immigration verbunden ist.
Seit Anfang des Jahres gab es in Agrigent mehr als 60 Anlandungen mit ca. 12.000 Migranten, die durch die Provinz Agrigent gekommen sind. Aktuell gibt es in Agrigent und Umland ca. 900 Plätze für die Aufnahme, und alle sind belegt.
Die Betreibergesellschaften, die die Zentren verwalten, von denen einige in kleinen Dörfern verstreut auf dem Land liegen, haben Vereinbarungen unterschrieben, die bis zum 31.12.2014 gelten. Nach diesem Datum könnten sie in Verlängerung gehen oder an einer möglichen Ausschreibung teilnehmen. Der Innenminister hat alle Präfekturen aufgefordert, die Ausschreibungen vorzubereiten. Aktuell sind in der Präfektur die Ausschreibungen zur Schaffung neuer CAS nicht fertiggestellt.
Auch in Agrigent gibt es, wie in anderen Provinzen, sehr viele improvisierte „Zentren zur Aufnahme“ und obwohl ohne jede Erfahrung, sind sie zur Aufnahme vorgeschlagen worden; aber eine grundlegende Absicht ist dabei immer, auf Kosten der Migranten ein Geschäft zu machen. Zuletzt sind einige Zentren von der Verwaltung überprüft worden und zwei mussten wegen schwerer Mängel bei der Einhaltung der Verträge die Pforten schließen.
Aber die Schwierigkeiten beginnen sofort in Porto Empedocle, dem Ort der Anlandung, an dem es keinen angemessenen organisatorischen Ablauf gibt und wo es oft sowohl an professionellen Leuten wie auch an Kleidung und Schuhen fehlt. Darüber hinaus werden die Migranten für gewöhnlich temporär in die alte Einrichtung von Porte Empedocle verbracht, wo sie auf die Verlegung in die Villa Sikania (ein ehemaliges Hotel) in Siculiana warten, eine Einrichtung, die von der Kooperative Acuarinto als Verteilungs- und Verwaltungszentrum genutzt wird.
In dieser Phase liefern die meisten Zentren ganz schlechte Dienste, einige bieten überhaupt nichts an, und die Migranten sind sich selbst überlassen. Die Schandtaten dieses Systems ans Licht zu bringen ist wegen der Komplizenschaft zwischen Land und Betreibergesellschaften schwierig, Betreibergesellschaften, die sich entschieden haben, ihre Aufmerksamkeit den Minderjährigen zu widmen; tatsächlich entstehen in der Provinz Agrigent sehr viele Gemeinschaften für die unbegleiteten Minderjährigen. Wir hoffen, dass dieses Interesse aus der Kompetenz und dem Willen entspringt, den Minderjährigen eine für sie geeignete Aufnahme anzubieten und nicht der Tatsache geschuldet ist, dass der Staat für Jugendliche mehr an die Betreiber zahlt als für Erwachsene.
In Agrigent fehlt auch ein Gesundheitsdienst, der bereit ist, den aufzunehmen und zu behandeln, der aus einer anderen Kultur kommt, der eine andere Sprache spricht; aus diesem Grund werden die Leute in den komplizierteren Fällen in die Krankenhäuser nach Palermo geschickt. Auch die Agrigenter begeben sich in vielen Fällen zur medizinischen Behandlung nach Palermo, verbunden mit besonderen Problemen und größerem Geldaufwand; und wir stellen uns die Schwierigkeiten vor, die den Migranten begegnen können.
Dass die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, haben wir auch bei dem Besuch der Tafel „Porta aperta“ bemerkt, in der die Zahl der Nutzer beträchtlich gestiegen ist; die Schwestern, die die Mensa leiten, haben uns gesagt, dass ein großer Teil (ca. 50%) aus den Aufnahmezentren kommt und sogar aus den SPRAR. Die Schwestern haben Kontakt aufgenommen zu den Verantwortlichen des SPRAR, das von der Kooperative Acuarinto verwaltet wird und sich in der Nachbarschaft der Mensa erhebt, dass diese versuchen, den Exodus ihrer eigenen Gäste zur Mensa abzustellen. Die Schwestern erklären, dass dieses Phänomen dadurch entstünde, dass die Qualität und die Quantität des Essens spürbar besser sei als das vorgekochte Essen oder das Catering der Zentren; aber vor allem mache die Bereitschaft zuzuhören und die Leidenschaft der Freiwilligen den Unterschied aus.
In dieser ganzen Situation muss die Präfektur die Mittel und die Kräfte finden, die neue Gebietskommission (sie wird nicht vor dem nächsten Frühling bereit sein, d.h. tätig und ausgebildet) und die bevorstehende Wiedereröffnung des CPSA auf Lampedusa zu unterstützen.
Bis heute sind die Misericordie mit der Verwaltung des Zentrums betraut, aber aktuell und bis zum 31.Dezember müssen die beauftragten Firmen ihre Instandsetzungsarbeiten und die Sicherheitsmaßnahmen abschließen; und nur nachdem die nötigen Kontrollen der Anlagen und der Desinfektion gelaufen sind. Man denkt daran, im Januar/Februar 2015 zu beginnen, auch wenn im Augenblick immer nur kleinere Boote mit 7-8 Migranten (meistens Tunesier) ankommen, die im Zentrum beherbergt werden (was nicht wörtlich zu nehmen ist), das sich im Ausnahmezustand befindet. Dann werden sie im Verlauf von zwei Tagen in ein CIE gebracht und per Charterflug in die Heimat zurückgeschickt.
Wir werden versuchen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und zu überprüfen, was sich dahinter befindet. Dazu haben wir wieder die Erlaubnis beantragt, in die Zentren in der Provinz Agrigent hineinzugehen; zwischenzeitlich überprüfen wir weiterhin die Hinweise, die uns von den Migranten erreichen, dass wir dann die Mauer aus Schweigen und Komplizenschaft zum Einsturz bringen können.
Alberto Biondo
Borderline Sizilien
Aus dem Italienischen von Rainer Grüber