25 Eritreer werden knapp drei Monate auf Lampedusa festgehalten
Am 22. Februar sind wir auf der Insel angekommen. Im Dorf sieht man die wenigen Migranten, die aus dem Auffanglager kommen, 25 Eritreer. Sie sind am 15. Dezember 2012 in zwei Booten angelandet. Wir sprechen mit ihnen und sie erzählen uns, dass das Lager im Dezember total überfüllt war, mehr als 400 Personen seien dort gewesen, die dann aber nach und nach verlegt worden seien.
Sie berichten uns auch, dass das Tor des Auffanglagers immer geschlossen ist, sie aber dennoch „wie die Ratten“ rauskriechen würden, niemand würde darüber ein Wort verlieren. Sie beschweren sich über das lange Warten auf einen Transfer und über die medizinische Versorgung im Zentrum, die nicht gut funktioniere.
Der Grund des langen Wartens ist in dem Nicht-Geben der Fingerabdrücke zur Identifizierung begründet. Sie haben sich die Fingerkuppen verletzt, da sie von ihren Landsleuten, die Italien vor ihnen erreicht hatten, erfahren haben, dass es hier keinerlei Chancen für sie gibt. Es sei ja ein demokratisches Land, doch es gebe keine Fürsorge für Asylsuchenden und Flüchtlinge, es sei sehr schwer Arbeit zu finden und überhaupt zu überleben. Sie hoffen, dass sie in andere europäische Staaten gehen können, in denen sie vielleicht Freunde und Familienangehörige haben, wenn sie ihre Fingerabdrücke nicht geben.
Am Ende geben 20 von ihnen auf, die Haut an den Fingern ist nachgewachsen, sie geben ihre Abdrücke. Jeden Tag fragen sie erneut, wann sie nach Sizilien verlegt werden, aber die Ordnungskräfte vertrösten sie immer wieder: die Zentren seien überbelegt, das Schiff fahre nicht usw. Wir fragen sie, ob sie einen Asylantrag gestellt haben, aber sie verstehen gar nicht, wovon wir reden, davon wissen sie nichts. Sie erzählen, dass sie Mitarbeiter des UNHCR gesehen hätten, aber anscheinend konnten nicht alle mit ihnen sprechen.
Warum hat sich niemand vom UNHCR, von der IOM (International Organisation of Migration) oder von anderen Organisationen des Flüchtlings-Projektes Praesidium um den Transfer gekümmert? Der Vertrag zwischen dem italienischen Innenministerium und diesen Organisationen ist genau dazu da, solche rechtswidrigen Vorgänge zu verhindern. Lampedusa ist ein sogenanntes CSPA, ein Zentrum für den allerersten Aufenthalt und die Notversorgung der ankommenden Flüchtlinge. Es ist nicht dafür ausgerichtet, Flüchtlinge über Monate zu beherbergen.
Am 5.März versammelt sich die Gruppe der Eritreer an der Kirche inmitten des Ortes. Sie sind aufgrund der Kälte notdürftig in Decken gehüllt. Sie protestieren gegen das Festhalten auf der Insel, aber sie haben keine Schilder, keinen Slogan, um sich zu erklären, und die Lampedusaner verstehen nicht, warum sie protestieren. Fünf von ihnen haben immer noch keine Abdrücke abgegeben, darum haben sich die Behörden für eine Sippenhaft entschieden: bis nicht alle die Fingerabdrücke zur Identifizierung gegeben haben wird niemand verlegt.
Doch noch am selben Abend gibt es eine Sitzung, an der die Bürgermeisterin und die Ordnungskräfte teilnehmen. Am Ende beschließt die Polizei den Transfer von 20 Eritreern am 7. März, unterstreicht jedoch, dass das nicht Ergebnis der Proteste sei. Die fünf „Rebellen“ müssen bleiben.
Am 7. März werden die 20 Eritreer, die ihre Abdrücke gegeben haben, in das Asylsuchenden-Zentrum (CARA) von Gradisca d’Isonzo gebracht. Vom äußersten Süden in den äußersten Norden an die slowenische Grenze. Die Fünf bleiben.
Ein junger Eritreer, der Jüngste von ihnen, der behauptet, noch minderjährig zu sein, bekommt einen Nervenzusammenbruch und wird in der kleinen Poliklinik der Insel mit Medikamenten ruhiggestellt.
Am 8. März rufen uns die österreichischen Kollegen von Borderline Sicilia/borderline-europe, die sich noch länger als wir auf der Insel befunden hatten, von der Fähre an: vier der Eritreer werden mit ihnen nach Sizilien fahren, doch der Fünfte, der, dem es schlecht ging, fehlt.
Es heißt, er sei mit einem Schnellboot der Küstenwache oder der Carabinieri nach Sizilien in ein Krankenhaus gebracht worden. Aber niemand weiß etwas Genaues. Wo ist der junge Mann, der nach einer sehr gefährlichen Flucht nichts anderes wollten, als ein neues, normales Leben anzufangen?
Es ist immer noch nicht klar, warum die 20 Eritreer noch auf Lampedusa bleiben mussten, obwohl sie schon ihre Fingerabdrücke gegeben hatten. Wir haben es hier zum x-ten Male mit einem illegalen Festhalten zu tun, mit dem Menschen ihrer persönlichen Freiheit beraubt werden, ohne dass es eine richterliche Verfügung gäbe. Hier werden Asylsuchende, die nach nationalen und internationalen Regelungen ein Anrecht auf Schutz haben, wie Kriminelle behandelt.
Drei Monate auf Lampedusa, zwischen Streik der Fischer und Transportunternehmer, die ein Anlegen der Fähre verhinderten, und dem lang anhaltenden schlechten Wetter. Aber sind nur dies die Gründe des Nicht-Verlegens? Sicher nicht, denn pro Tag gehen mehrere Flüge nach Palermo und nach Catania auf Sizilien. Diese Entscheidung wurde getroffen, damit sie auf dem Festland oder in Sizilien nicht aus den Asylzentren verschwinden, ohne vorher identifiziert worden zu sein. Das ist die Falle der Dublin II-Verordnung, die alle hier Ankommenden in Italien festhält, auch wenn sie in ein anderes Land gehen möchten. Alle wissen, dass es in Italien keine Hoffnung für Flüchtlinge gibt. Vor allem nach der Beendigung des „Notstands Nordafrika“ und der Zwangsräumung vieler Aufenthaltszentren suchen viele Flüchtlinge erneut im ganzen Land ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit. Nach einer „sicheren“ Zeit in einem Asylzentrum werden auch diese Eritreer bald ohne Arbeit, ohne Wohnung und ohne Hoffnung sein.
Judith Gleitze
Borderline Sicilia/borderline-europe