Die immer isolierteren Aufnahmezentren von Sizilien

Artikel vom 24. Oktober 2022

Seit der Gründung von Borderline Sicilia beschäftigt sich der Verein damit, das von der italienischen Regierung etablierte Aufnahmesystem für Asylsuchende zu beobachten. Im Laufe der Jahre konnten wir die Unzulänglichkeiten des Systems und der Behandlung von migrierenden Menschen aufdecken und anprangern.

2008 wurden die CARA* eingerichtet, die die CID* ablösten. Sie waren die ersten Megazentren für Asylsuchende. 2011 während des sogenannten nordafrikanischen Notstands wurde dem Zivilschutz das Notfall-Aufnahmesystem übertragen, woraufhin einige Zentren eröffnet wurden, darunter das von Mineo. Dieses ist berühmt wegen der furchtbar schlechten Lebensbedingungen und der gerichtlichen Skandale, die gezeigt haben, wie es der organisierten Kriminalität im Laufe der Jahre gelungen ist, in die Verwaltung vieler Einrichtungen einzusickern. Die kriminellen Kreise, die die Situation der Ankommenden ausnutzen, konnten nur eine schlechte Aufnahme hervorbringen. Das haben wir oft erläutert und tuen es noch immer.

Verschiedene Gerichtsverfahren und verschiedene journalistische Untersuchungen haben gezeigt, wie das CARA* von Mineo, das als Flaggschiff der italienischen Aufnahme bezeichnet wurde, für die lokale Mafia der Ort ihrer Wahl war. Es wird wahrscheinlich in die Geschichte eingehen, wie Buzzi, Mitglied der Gruppe, die das Zentrum verwaltete, gesagt hat, dass die Migrant*innen mehr als Drogen einbrächten. Das Gespräch wurde während der Operation Mafia Capitale abgehört. Aber nicht nur die lokale kriminelle Welt war mit der internen Verwaltung des Zentrums beauftragt, auch die nigerianische Mafia war involviert. Es gibt zig anklagende Artikel seitens lokaler und nationaler Medien sowie Berichte von Organisationen, die zeigen, wie das CARA* das Zentrum eines Drogenhandelsrings, der Prostitution, in mehreren Fällen sogar Minderjähriger, und Menschenhandels war. Das gleiche gilt für andere CARA* außerhalb Siziliens, wie das CARA* von Bari, das ebenfalls zu einem Urteilsspruch des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte führte. Darin wurde es für ungeeignet erachtet, besonders vulnerable Asylsuchende unterzubringen. Hierdurch wurde die Verlegung eines Asylsuchenden annulliert und damit von der Dublin-Regelung wegen schwerer Mängel im System der italienischen Aufnahme abgewichen.

Die Situation hat sich nicht verändert, als 2014 die CAS* (Außerordentliches Aufnahmezentrum) eingerichtet wurden. Schon bald wurden die CAS* die Hauptform der Aufnahme. Ihrer eigenen Abkürzung widersprechend, wurde die außerordentliche Aufnahme also die übliche. Bei den Belegungszahlen liegen sie weit vor den CARA* und den SPRAR*-Projekten. Tatsächlich sind die CAS* im Laufe von weniger als fünf Jahren dahin gekommen, 80 % der Asylsuchenden aufzunehmen. Obwohl das SPRAR*-System das Hauptsystem für die Aufnahme und Integration sein sollte, bleibt dieses System in Wirklichkeit, auch infolge verschlechternder rechtlicher Eingriffe wie dem Sicherheitsdekret von 2018, das mit der geringsten Aufnahmekapazität.

Die CAS* sind so zu dem Fundament der italienischen Aufnahme für Asylsuchende geworden – und sie sind es bis heute. Wir haben oft beklagt, wie diese Zentren zu bloßen Schlafstätten geworden sind. In ihnen werden keine Dienstleistungen angeboten, die auf die Eingliederung in die Gesellschaft zielen. Dazu haben auch migrationspolitischen Maßnahmen beigetragen, die immer weniger aufnahmefreundlich wurden. Bei den CAS* handelt es sich um Zentren, die oft isoliert gelegen sind. Die Personen leben in prekären Wohnverhältnissen, sind zum unfreiwilligen Zusammenleben in Fracht-Containern gezwungen, von Stahl umgeben. Kleine Ghettos, die die italienische Landschaft durchziehen. Sie liegen an Orten, die ohne eigene Verkehrsmittel schwer zu erreichen und in ökonomische Landschaften eingegliedert sind, die aus gepflügten Feldern und Anbauflächen bestehen, wo die Asylsuchenden für geringe zweistellige Beträge am Tag ausgebeutet werden. Tatsächlich handelt es sich um eine Inklusion in einen irregulären Arbeitsmarkt, der durch die Exklusion dieser Menschen aus der Zivilgesellschaft, aus der städtischen Welt, geschaffen wird, von der sie an die Ränder der Städte verbannt und weggeschlossen werden. Die heutige Anwerbung unterbezahlter illegalisierter Landarbeiter*innen ist ein Produkt der Migrations- und Asylpolitik, genauso wie die Toten auf dem Mittelmeer.

Wie jedes Jahr hat Borderline Sicilia bei der öffentlichen Verwaltung den Antrag gestellt, Zugang zu den Informationen über die verschiedenen Arten von Zentren zu bekommen, die es auf Sizilien gibt.

Die Daten, die Borderline Sicilia vorliegen, beziehen sich auf Schriftstücke, die von den Präfekturen der sizilianischen Provinzen zugänglich gemacht und die uns im Februar 2022 übertragen wurden. Somit zeigen sie eine Momentaufnahme und spezifische Unterschiede zur heutigen Situation sind möglich.

In diesem Artikel analysieren wir die Daten, die wir bekommen und durchgearbeitet haben, bezüglich der CAS*. Dazu haben wir die CAS* in eine Karte eingefügt, um die Isolierung aufzuzeigen, in der sich diese Art von Zentren tendenziell befinden. Wir haben eine heat-wave-Straßenkarte erstellt, um mit bloßem Auge den städtischen und ländlichen Kontext zu sehen, in den viele dieser Zentren eingebettet sind. Insgesamt zählen wir 68 Zentren mit einem Fassungsvermögen von 2929 Plätzen. Diese Zahl setzt das sizilianische System bezüglich der Aufnahmekapazität auf Platz zwei hinter dem System der Lombardei (die aber doppelt so viele Einwohner*innen hat wie Sizilien).

Die CAS* wurden auf der Grundlage der Gesamtisolierung in Kategorien eingeteilt: Die zentralen CAS* befinden sich in Städten mit mehr als 5.000 Einwohner*innen, sind im historischen Ortskern gelegen oder in Vierteln mit Dienstleistungen; die isolierten CAS* befinden sich in Ortschaften mit weniger als 5.000 Einwohner*innen, deren Infrastruktur keine Grunddienstleitungen anbietet (wie z.B. die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis). Die CAS* in den Peripherien liegen zwar außerhalb der Städte, sind aber noch in der Lage, von den städtischen Dienstleistungen zu profitieren. Dagegen liegen die ländlichen CAS* weit ab vom städtischen Kontext. Charakteristisch für ihre Lage ist die Abwesenheit von Dienstleistungen und die fast völlige Unmöglichkeit, sich mit öffentlichen Transportmitteln fort zu bewegen.

Wie zu sehen ist, befindet sich mehr als die Hälfte der Zentren in einer peripheren oder ländlichen Lage. Die CAS* in zentraler Position liegen meistens in der Gegend von Palermo oder Ragusa und in einigen kleinen Städten in der Provinz Messina und Agrigent. Man muss anmerken, dass die Provinz von Caltanisetta jedweden Typ von Aufnahme in das Mehrzweckzentrum „Pian del Lago“ verbannt, in das auch das CPR* eingefügt ist. Dieses beherbergt auch das Immigrationsbüro der Präfektur. Das bedeutet, dass man sich für jedwede Dienstleistung an diesen von der Stadt ziemlich isolierten Ort begeben muss. Nach der Schließung des CARA* von Mineo im Juli 2019 hat die Provinz Catania jetzt langsam begonnen, Ausschreibungen zu veröffentlichen und die Vergabe für die Verwaltung der CAS* in Gang zu bringen. Jedoch gibt es zum Zeitpunkt dieser Momentaufnahme nur zwei geöffnete CAS* in der Provinz Catania.

Es würde genügen, dass der Minister sich die gleichen Daten ansehen würde, die er liefert. Dann würde er verstehen, dass sich das große Problem im Zusammenhang mit dem Fehlen wirklicher Eingliederung und der Ausbeutung in einer kurzsichtigen – oder vielleicht im Gegenteil zu weitsichtigen – Verwaltung der Aufnahme eingenistet hat. Dies hat eine Konstellation erzeugt, bei der die Aufnahmezentren in die Peripherien und die ländlichen Gegenden auf Sizilien und in ganz Italien gedrängt werden. Dabei fließen öffentliche Gelder in die Hände wenig transparenter privater Träger und die Rechte von Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Zuflucht nach Europa gekommen sind, werden auf schwerste Weise verletzt.

 

Giuseppe Platania
Borderline Sicilia

 

*CARA – Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende

*CID – Centro di Identificazione: Identifikationszentrum

*CAS – Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum

*SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen.

*CPR: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft

 

Aus dem Italienischen übersetzt Rainer Grüber