Alles ist gut im „Dorf der Orangen“. Oder nicht?

9 Hektar, 404 Einfamilienhäuser auf zwei Stockwerken – das ist das „Dorf der Orangen“, abgelegen zwischen den Feldern von Mineo, gebaut von der Pizzarotti AG, vermietet an Amerikaner, die es vor über einem Jahr verlassen haben. Ex-Minister Maroni hat es sich fein ausgedacht, daraus ein kolossales CARA (Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende) zu machen, das im Moment „nur“ 1400 auf die Aufenthaltsgenehmigung wartende Personen beherbergt.
Als die Amerikaner da waren, hatte der umgebende Stacheldraht, eine beschützende Funktion. Jetzt hat die „stachelige“ Barriere eine umgekehrte Funktion, indem sie das Außen gegen die Gefahr verteidigt, welche von diesen Fremden verkörpert wird, die von „rassistischer“ Propaganda zu potentiellen Verbrechern erklärt wurden und somit „separat“ und unter Kontrolle gehalten werden müssen. In das „Dorf der Orangen“, das von Polizeikräften kontrolliert wird, kommt man tatsächlich nicht ohne eine spezielle Erlaubnis rein.

Und die Integration? War dies nicht ein Ziel, das verfolgt werden sollte? Mit welchen Personen aus dem Ort können sie humane und kulturelle Beziehungen aufnehmen?

„Sie können tagsüber, von 8 bis 20 Uhr rausgehen, es ist nicht wahr, dass sie eingesperrt sind“, sagt uns Dottoressa Salvioni, Leiterin vom Roten Kreuz Mailand, das das gesamte CARA in der anfänglichen Notstandsphase verwaltet hat und aktuell verantwortlich für die gesundheitliche Versorgung ist. Aber wir sind Mitten auf dem Land – entgegnen wir – das nächstgelegene Dorf ist mehr als 10 km entfernt, von den Entfernungen nach Caltagirone und Catanien ganz zu schweigen… „Sie können umsonst den Bus benutzen, der die schulpflichtigen Kinder, die im CARA sind, nach Mineo fährt. Es gibt auch Dienstautos, die zwischen dem Zentrum und den umliegende Dörfern pendeln, vor allem Caltagirone.“
Die Antwort überzeugt uns wenig. Ein Bus, der halbtags fährt, und ein paar Autos scheinen uns unverhältnismäßig, um das Mobilitätsproblem für eine solche große Menschenanzahl lösen zu können. Es ist kein Zufall, dass man Ausländer sieht, die meist in kleinen Gruppen entlang der Straße laufen. „Sie haben auch die Möglichkeit, die Linienbusse zu nehmen, denn seitdem die Verwaltung an die Provinz übergegangen ist, erhalten sie eine „Taschengeld“ in Form von 3,50 Euro pro Tag.“ Allerdings nicht in Geldform. Die Summe wird auf einer Karte gespeichert, mit der die Bewohner des CARA auf dem Bazar im Zentrum einkaufen können (Zigaretten, Getränke, Kekse, Telefonkarten, Busfahrkarten, Stempelmarken).

Rechnen wir einmal zusammen: Eine Einzelfahrt kostet ca. fünf Euro, acht Euro die Hin- und Rückfahrt. Ein Wochenabonnement (zehn Fahrten) kostet um die 25 Euro. Sie können den Bus nehmen, allerdings nur in unregelmäßigen Abständen. Darüber hinaus gibt es die anderen zahlreichen finanziellen Ausgaben, vor allem für die mit der Aufenthaltsgenehmigung verbundenen Prozeduren, die inklusive Briefmarken, Gebührenmarken für die Dokumente und Fotos 105 Euro kosten. Deshalb bleiben die meisten im Zentrum ohne irgendetwas zu tun. Sie warten. Sie warten auf die Anhörung vor der Kommission, auf die Einspruchprozeduren im Falle einer Ablehnung und auf die Urteile des Gerichts. „Wenn sie nichts tun, liegt die Schuld nicht bei der Genossenschaft Sisifo (die das Cara zur Zeit verwaltet). Man hat ihnen Keramikkurse vorgeschlagen, aber niemand kommt. Auch Italienischkurse für Erwachsene werden nur sporadisch besucht.“ Wir wissen nichts über die Kompetenz der Lehrer und wir wollen sie auch nicht bestreiten, denn wir haben keine Auskunft darüber, ob man versucht hat anderen, von unserem Verständnis abweichenden, Bedürfnissen und Ansprüchen entgegen zu kommen. Doch ganz sicher passt irgendetwas nicht zusammen, wenn die Menschen vorziehen nichts zu tun und gleichzeitig darunter leiden. Im Hinblick auf die Keramikkurse haben wir zum Beispiel erfahren, dass unter den Bewohnern ein Keramiker ist. Wurde er in das vorgeschlagene Projekt miteinbezogen oder wurde der Kurs möglicherweise organisiert, um Freunden der Verwaltung zu „helfen“?

„Sie erscheinen nicht zu den Verabredungen, sie sind es nicht gewöhnt Verbindlichkeiten einzuhalten.“ Mag sein, dass das für einige stimmt, doch unter den Bewohnern gibt es auch welche, die studiert und gearbeitet haben. Wir haben es nicht mit einer gleichförmigen „Masse“ zu tun, wie sie meistens präsentiert wird. „Die, die meisten Probleme mit der kulturellen Anpassung haben, sind die Afrikaner, vor allem aus Mali oder Burkina Faso.“ Die ärmsten Länder, denken wir uns. „Dann kommen die aus der Elfenbeinküste und Nigeria.“

„Die Genossenschaft Sol.Calatino hat eine interessante Möglichkeit in Form von einigen bezahlten Praktika erarbeitet“, sagt uns Dottoressa Salvioni. Die Ausländer arbeiten für 500 Euro im Monat und erlernen einen Beruf: Koch, Barmann, Gärtner. Wir fragen uns jedoch, ob diese Bezahlung adäquat ist und wie viele Personen dieses Angebot tatsächlich wahrnehmen können? Verglichen mit der Anzahl der Gäste, sind es sehr wenige. Können diese limitierten Vorschläge daher überhaupt als Lösungen bezeichnet werden?

Drei Fälle von alleinstehenden Frauen mit Kindern konnten durch die Vermittlung eines Aufnahmeplatzes in einem SPRAR (zentrale Aufnahme- und Wohneinrichtung für Asylsuchende und Flüchtlinge) in Ragusa, Padua und Rom gelöst werden. Doch auch hier liegt eine enorme Unverhältnismäßigkeit vor. Es sind lediglich Tropfen im Meer der Ungewissheit. Denn es scheint immer wieder das Grundproblem durch – die isolierte Unterbringung so vieler Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft an einem Ort. Wer eine Aufenthaltsgenehmigung erhält, musste früher das Zentrum verlassen, seit zwei Monaten darf man bleiben, wenn man auf eine Verlegung in ein SPRAR oder auf juristische Entscheidung in dritter Instanz wartet oder auch wenn man Arbeit vor Ort gefunden hat. Der Großteil geht jedoch weg, meist ins Ausland, um die dortigen lokalen „Kolonien“ von Landsmännern aufzusuchen. Die Afghanen gehen vor allem nach Deutschland, die Eritreer nach Holland und die Iraker nach Schweden. Da sie kein Bargeld zur Verfügung haben, beschaffen sie sich welches. Sie verkaufen ihre „Kredite“ an andere Bewohner im Zentrum, oder sie arbeiten auf den umliegenden Feldern, um beispielsweise für fünf Euro Artischocken zu ernten. Illegale Vorkommnisse, von illegaler Anwerbung von Tagelöhnern bis hin zur Prostitution gibt es und alle wissen darüber Bescheid. Sind sie wirklich so schwer auszumachen? Es gab einzelne Verhaftungen wegen anderer Straftaten, aber dabei handelt es sich lediglich um Einzelfälle.

Im Bezug auf den Gesundheitsdienst haben wir von einer Arztpraxis erfahren, die jeden Tag von 9 bis 13 Uhr, und von 16 bis 20 Uhr besetzt ist. Sie wird von einem Arzt geleitet, der die Kontinuität garantiert, aber zusätzlich ist ein Notfalldienst vorgesehen und Pflegepersonal. Die Besuche bei spezialisierten Ärzten werden in den umliegenden Dörfern, in Caltagirone oder in Krankenhäusern in Catania vereinbart. Zwei Kinderärzte der ASP garantieren die Behandlung für die 100 Kinder im Zentrum, die „alle geimpft wurden“, wie uns mit Genugtuung mitgeteilt wurde. Die Beschäftigung unseres Pflegepersonals ist garantiert.
Die Effizienz der angebotenen Leistungen müsste im Konkreten bewertet werden und manch einer fragt sich immer noch, ob der Tod eines jungen 36-jährigen Pakistaners im November wirklich unvermeidbar gewesen ist. Es gibt täglich ca. 250 ambulante Leistungen, doch davon sind nur 20 Arztbesuche. Es werden vor allem Medikamente ausgegeben und für alle gilt eine Regel: Die Medikamente werden vor Ort eingenommen. Zu festgesetzten Uhrzeiten kommen die Patienten (nicht immer) und erhalten ihre Verabreichungen, sowohl gegen temporäres Unwohlsein als auch im Rahmen einer vorab festgelegten Therapie. Wir fragen nach dem Grund dieser Entscheidung. So verhindere man den Missbrauch, wird uns geantwortet. Missbräuche im Hinblick auf eine falsche Einnahme des Medikaments, oder vielleicht – wer weiß – auch die Befürchtung, dass man sie verkaufen könnte. Sind diese Ausländer wirklich so unzuverlässig?

Mangelnde Pünktlichkeit und wenig Respekt gegenüber Verpflichtungen, Schwierigkeiten, sich einzubringen. Ist dies eine wahrheitsgetreue Darstellung der Bewohner des Zentrums? Viele von ihnen werden objektive Schwierigkeiten haben, sich in das für sie fremde Regelsystem einzufügen. Dennoch muss man verhindern die Verantwortung für die vielen falschen Entscheidungen auf sie abzuwälzen, nachdem eine schwer zu bewältigende Situation kreiert wurde.
Artikel von der Seite www.argocatania.org

Aus dem Italienischen von Kathrin Neusser