Comiso: „Torre di Canicarao“ – Zweitstelle der SPRAR’s von Comiso und Ragusa
Letzten Dienstag sind wir nach Comiso (Südostsizilien) gefahren, um uns die SPRAR-Einrichtung „Torre di Canicarao“ (Servizio Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati, Zweitaufnahme-System mit Integrationsangeboten) anzuschauen, und um die aktuelle Lage zu kontrollieren. Außerdem haben wir uns die ehemalige Firma „Don Pietro“ angeschaut, die mittlerweile seit Monaten als Notfallaufnahme-Einrichtung genutzt wird. Eine schlecht ausgebaute Landstraße verbindet die beiden Zentren. Die Straße ist ein Kommen und Gehen von Migranten mit unterschiedlichen Herkünften und wahrscheinlich auch unterschiedlichen Zielen.
Am Ende der Landstraße steht ein wunderschöner Palast aus dem 18. Jahrhundert: Der Palast „Trigona di Canicarao“. Er gehört dem Bistum von Ragusa und wird an die Stiftung San Giovanni Battista vermietet, welche die aktuellen SPRAR-Projekte in Ragusa leitet. Die Projekte heißen „Famiglia Amica“ (für Kernfamilien) und „Farsi Prossimo“ (für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge).
Am Eingang zur Einrichtung hängt noch ein Schild, welches auf den Ferien-Bauernhof, der vorher hier beheimatet war hinweist, aber die Einrichtung wird bereits seit letzten Sommer als Unterkunft für die zwei oben genannten SPRAR-Projekte genutzt. Im Juli 2013 hatte sich die Stiftung San Giovanni Battista in den Palast eingemietet, nachdem sie bekanntgegeben hatte eine große Anzahl von Migranten aufzunehmen.
Wie uns ein Mitarbeiter der Geschäftsführung der Stiftung mitteilt, hat die Einrichtung bereits 53 Asylsuchende betreut, von denen neun aus dem CARA (centro accoglienza richiedenti asilo, Aufnahme-Zentrum für Asylantragssteller) aus Mineo und 44 direkt aus den Erstaufnahme-Einrichtungen kamen. Aktuell leben in der Einrichtung 15 Gäste, von denen neun ihre Dokument am Tag unseres Besuches erhalten haben.
Dem Großteil der Bewohner wurde humanitärer Schutz zugestanden, nur einige haben den subsidiären Schutzstatus erhalten. Während unseres Besuchs haben wir erfahren, dass sich die Kooperation „Rel-Azioni“ vor allem um die Alphabetisierung, um Begleitung bei Amtsbesuchen, um kulturelle Mediation und um medizinische Versorgung gekümmert hat. Letztere ist möglich durch einen Arzt, der freiwillig für das Projekt arbeitet.
Wir hatten auch die Möglichkeit, uns die Räumlichkeiten des SPRAR’s anzuschauen. Auch wenn die Räume alt und dadurch natürlich auch feucht waren, waren die Räume insgesamt in einem guten Zustand. Sie wurden vorher als Gästezimmer für die Bauernhof-Gäste genutzt, daher sind die Schlafzimmer der Flüchtlinge in einem guten Zustand. Die Zimmer sind weitläufig und den Bewohnern stehen genügend Badezimmer sowie ein großer Speisesaal zur Verfügung, wo wir die Köchin und eine der Putzfrauen angetroffen haben. Sie haben uns ein Zimmer gezeigt, in dem die Bewohner eine kleine Moschee eingerichtet haben.
Man kann sagen, dass sowohl die strukturelle Aufnahmesituation als auch Betreuung der Bewohner gut und menschenwürdig funktioniert.
Unsere „Führerin“ hat uns erzählt, dass sie momentan noch auf die Finanzierung warten, um die neuen SPRAR Projekte 2014 – 2016 starten zu können. Die Leitung des Zentrums überlegt, weitere Zimmer im Hof zu renovieren, um mehr Flüchtlinge aufnehmen zu können und vor allem um für die Flüchtlinge eine Selbstversorger-Küche zu installieren. Auf diese Weise könnten die Bewohner ihre eigenen Bedürfnisse viel besser befriedigen als durch die oft kontraproduktive Komplett-Verpflegung.
Bezüglich der Finanzierung der Projekte gibt es einige bemerkenswerte Dinge zu erwähnen. Die Mitarbeiter, die uns beim Besuch begleitet haben, bestätigt uns das, was wir schon durch die beherbergten Flüchtlinge erfahren hatten: Alle Aktivitäten, eingeschlossen der Verteilung des Taschengeldes, wurden im Dezember 2013 eingestellt. Seitdem reduziert sich die Einrichtung nur noch auf Kost und Logis.
Der Vertrag über das SPRAR lief im Dezember 2013 aus und die Kosten für die Aufnahme der 53 Gäste war nur bis Ende 2013 abgesichert. Das ist der Grund warum die Aktivitäten seit Anfang des Jahres eingestellt wurden – den Organisatoren stand kein Geld mehr zur Verfügung. Wir haben nachgefragt, warum das Projekt 2014 auch ohne Finanzierung weitergeführt wurde und uns wurde gesagt, dass wir uns bezüglich dieser Frage am besten an die Stiftung wenden sollten. Da wir einen Mitarbeiter der Stiftung zufällig im Hof trafen, haben wir ihn gefragt, ob die Einrichtung wirklich Teil des SPRAR-Systems sei oder ob es sich um ein außerordentliches Aufnahmezentrum handelt. Der Mitarbeiter teilte uns entschieden mit, dass die Einrichtung direkt dem Ministerium und dem „Servizio Centrale“ (zuständig für die SPRAR-Projekte) unterliegt. Auf die Frage nach der Finanzierung des Projekts haben wir keine Antwort bekommen, nur die, dass wir uns an die Zuständigen der Stiftung San Giovanni Battista wenden sollten.
Die ehemalige „Azienda“ Don Pietro – Notfallaufnahme-Einrichtung
Nur wenigen Kilometer von „Torre di Canicarao“ entfernt liegt die ehemalige Firma „Don Pietro“, die in eine Notfallaufnahme-Einrichtung ungewandelt wurden.
Die Räumlichkeiten werden erst seit März 2014 als Aufnahmeeinrichtung genutzt. Die Einrichtung eines neuen Zentrums war verbunden mit dem Anstieg von Anlandungen im Hafen von Pozzallo und den Überbelegungen der anliegenden Zentren. Da das Zentrum auf einen Bedarf hin eröffnet wurde, wird es wie eine Zweigstelle des CPSA in Pozzallo (Centro di primo soccorso e accoglienza, Ernstaufnahme-Einrichtung) genutzt. Das Zentrum wird nicht nur vom Zivilschutz geleitet, sondern auch von den Mitarbeitern der Kooperative San Domenico Savio, die auch das Zentrum in Pozzallo leiten.
Zu dem Zeitpunkt, als wir die Einrichtung besucht haben, waren dort 357 Personen untergebracht, von denen 190 Syrer gerade erst aus dem Hafen von Pozzallo direkt in das Zentrum gebracht wurden. Wir haben außerhalb des Zentrums mit den syrischen Flüchtlingen gesprochen. Wir haben ihnen erklärt, wie sie das Aufnahmezentrum in Comiso erreichen können und sie darauf hingewiesen, dass sie besser nicht mit den Taxis fahren sollten, weil diese oft horrende Preise verlangen. Einige von den Flüchtlingen haben sich von der Unterkunft „entfernt“, um ihren langen und gefährlichen Weg nach Nordeuropa weiter zu verfolgen.
Im Zentrum haben wir auch viele junge Männer als Gambia, Ghana, Senegal und Nigeria angetroffen. Einige haben erzählt, dass sie nach Comiso gebracht wurden, nachdem sie bereits mehr als einen Monat im CPSA in Pozzallo verbracht hatten.
Solche Umstände sind inakzeptabel. Das Problem ist, dass es keinerlei juristische Definition für dieses Zentrum gibt. Anfangs wurde die Nutzung des Zentrums als Unterkunft dadurch gerechtfertigt, dass es an Aufnahmeplätzen in den Erstaufnahme-Einrichtungen mangelt. Allerdings werden mittlerweile Migranten von den Erstaufnahme-Zentren in diese Einrichtung, die eigentlich nur für Ausnahmezustände gedacht war, gebracht. Dies ist der x-te Beweis dafür, dass das italienische Aufnahmesystem nicht funktioniert.
Elio Tozzi,
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Lisa Groß