Auf der Suche nach einen sicheren Ort
In den letzten Tagen folgten Vorschläge und Gegenvorschläge bezüglich der Verwaltung der Grenzkontrollen und der Rettungseinsätze im Mittelmeer von Seiten politischer Vertreter Italiens und der europäischen Institutionen aufeinander.
Die Vorschläge welche Alfano der EU präsentierte, unterstützen die Lobeserklärungen an die Operation Mare Nostrum, die kürzlich auch vom Oberstaatsanwalt von Catania, Giovanni Salvi, kamen. Die Vorschläge des Innenministers beinhalten Abkommen mit Tunesien und Ägypten über die Patrouille der Küsten und die Errichtung von mindestens drei Flüchtlingslagern in afrikanischen Ländern, die als sicher gelten.
Eine vereinte Seeüberwachung würde eine effizientere Bekämpfung des „Terrorismus und des illegalen Menschenhandels“ ermöglichen, während es der finanziellen und technischen Unterstützung von EU und UN Organisationen für Flüchtlinge und Migranten, UNHCR und OIM, erlauben würde „sichere“ Zufluchtsorte in afrikanischen Drittländern zu schaffen. Dort könnten Migranten Asylanträge stellen, ohne ihr Leben auf dem Meer zu riskieren. Dieser Vorschlag wird vorgebracht während sich die Abkommen zwischen italienischen und tunesischen Patrouilleneinheiten intensivieren http://antoniomazzeoblog.blogspot.it/2015/03/litalia-verso-le-deportazioni-di.html und er drückt die etwas schizophrene Haltung der Gesprächspartner der verschiedenen Staaten aus, die den effizienten Rettungseinsätzen von Mare Nostrum „nachtrauern“ und gleichzeitig aktiv dabei sind, jene Menschen, die aufgebrochen sind „zurückzuweisen“. Stattdessen bevorzugen sie ein ziemlich zweifelhaftes Model das die Hilfe nach Außen verlagern soll und welches sich vor allem um die Beendigung des Einwanderungsproblems dreht. Auch der UNHCR scheint bis heute noch keine endgültige Position bezogen zu haben, während man sich für ein freiwilliges Aufnahmeprojekt von syrischen Migranten in den Ländern Nordeuropas ausspricht http://dirittiefrontiere.blogspot.it/2015/03/lunhcr-sostiene-davvero-la-proposta-di.html
Die Erinnerung an jene Vorfälle, welche in einigen tunesischen Flüchtlingscamps zu beobachten waren, ist in den Köpfen vieler Aktivisten noch sehr präsent: Hunderte Flüchtlinge wurden für unbestimmte Zeit in regelrechte Lager gezwungen. Oft sind sie von dort geflüchtet um erneut von Libyen aus die Überfahrt nach Italien zu versuchen. Dies alles erinnert an die spärliche, wenn nicht inexistente Reflexion über die realen Beweggründe, welche die Migranten in die Flucht treiben. Diese sagen einiges über die als „sicher“ befundenen Orte aus. Die furchtbaren Geschichten und die immer gewagteren Aufbrüche derer, die nach Libyen gezwungen werden, beschreiben Begebenheiten in denen Migranten keine Wahl oder Möglichkeit zur Rückkehr haben. Sie erachten die Flucht über das Meer als einzige Überlebensmöglichkeit und als einzige Chance auf ein würdevolles Leben.
Nicht nur Syrer und Palästinenser sondern auch Tunesier flüchten weiterhin und träumen von der Freiheit und von der sozialen Gerechtigkeit, die in der alltäglichen Realität ihres Landes nicht vollständig garantiert zu sein scheint. Aber anderswo glaubt man lieber, dass dem nicht so sei, um eine bequemere politische Lösung des Problems zu finden. Das Schweigen der Migranten auf dem Höhepunkt der Diskussionen ist wirklich ohrenbetäubend. Dabei wird dort über ihr Schicksal und die Art und Weise diskutiert, wie ihre rechtmäßige Einreise verändert und kontrolliert werden kann. Aber noch beeindruckender ist es wie sich die öffentliche Meinung mit bruchstückhaften und improvisierten Erklärungen über die zukünftige Entwicklung der betreffenden Abkommen zufrieden gibt. Wer fragt sich wie ein solch ungewisses Schicksal, zum Beispiel einer Person, deren Asylanfrage einem tunesischen Flüchtlingscamp abgelehnt wurde, aussehen wird? Wer versucht die Umstände, die Migranten aufbrechen lassen, zu erkennen und zu verstehen und sich dabei über die bekanntesten Ereignisse des Syrienkonflikts und der Unruhen in Nigeria hinaus zu begeben?
Im letzten Jahr kam es zu einem schwindelerregenden Anstieg von Neuankünften aus Gambia, häufig von der Territorialkommission abgelehnt, die sichtbare und unsichtbare Kennzeichen von unglaublichen Qualen aufweisen. Für Viele war die Überfahrt von Libyen verhängnisvoll, jedoch muss man sich fragen, was treibt diese Personen dennoch weiterhin in die bereits bekannte Hölle? Auch im Falle des kleinen Staates wie Gambia, in dem persönliche und gemeinschaftliche Freiheiten seit Jahrzehnten stark eingeschränkt werden, mangelt es nicht an Zeugnissen der Ereignisse und der internationalen Politik. http://www.unimondo.org/Notizie/Gambia-chi-scappa-dalla-nuova-superpotenza-africana-149873 Die Zahl der Geschichten steigt weiterhin an, sie enthüllen Fluchtrouten und Bestrebungen jener junger Menschen, die dafür kämpfen an einen sicheren Ort zu gelangen, wo sie damit beginnen können sich etwas aufzubauen. Ein Wunsch, der vielleicht nicht einfach zu verstehen ist, wenn man bereits an einem solchen Ort geboren wurde. M. ist ein Junge aus Gambia, der vor kurzem volljährig geworden und im Juni 2014 in Italien angekommen ist. Auf der Überfahrt über das Mittelmeer hatte er mit angesehen wie sein Vater gestorben ist und von anderen Passagieren ohne Mitgefühl ins Wasser geworfen wurde. Sie waren zu zweit in Gambia aufgebrochen nachdem Vertreter der aktuellen Regierung Mitgliedern ihrer Familie gedroht hatten oder sie verschwinden ließen. Heute hat M. eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten aber er befindet sich alleine in Italien, in einem unbekannten und nicht wirklich aufnahmefreudigen Land. M. leidet sehr unter seiner Situation aber zu einer möglichen Rückkehr nach Gambia oder in ein anderes afrikanisches Land, zögert er nicht zu sagen: „Ich will hier bleiben, weil hier bin ich zumindest an einem sicheren Ort“. Vielleicht „zu sicher“, sollte man jene fragen die uns regieren. Wie lange muss noch gewartet werden bis die Einwanderungspolitik endlich die Menschen schützt und nicht die Grenzen und Interessen dahinter?
Lucia Borghi
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner