Erneutes Massaker im Kanal von Sizilien. Rettungskräfte sprechen von 700 Toten
Die Anschuldigungen und Appelle überschlagen sich auf Grund
dessen, was in wenigen Stunden das größte Unglück im Kanal von Sizilien werden
könnte. Nachdem gestern Nacht ein 20 Meter langes Boot mit über 700 Personen an
Bord umkippte, bleibt die Bilanz der
Rettungskräfte ernüchternd: 28 Überlebende und 24 Leichen, die aus dem Meer
geborgen werden konnten. Nach Aussage einiges Zeugen brach das Boot von Ägypten
auf und fuhr dann entlang der libyschen Küste, um Fahrgäste aufzunehmen, es
sollen 950 gewesen sein. „Wir sind zu tiefst betroffen über die Tragödie, es
braucht mutige Taten, um dieser grausamen Realität entgegen zu wirken,“ so die
Antwort der europäischen Kommission auf die Ereignisse. Es waren lokale und
nationale politische Kräfte, die sich nach dem Unglück an die europäischen Kommission wandten. Die
internationale Organisation hat ein Treffen der Innen- und Außenminister
angekündigt. Das Ziel des Treffens ist es eine neue Strategie auszuarbeiten,
die Ende Mai in Kraft treten soll.
Das Schiff befand sich gestern in libyschen Gewässern. Das
Notrufsignal wurde von der italienischen Küstenwache empfangen, welche ein
portugiesisches Handelsschiff aufforderte seinen Kurs zu ändern, um die
Menschen an Bord zu retten. Als sich das Handelsschiff dem Boot näherte brach
Panik unter den Migranten aus. Plötzlich begaben sich alle Insassen auf eine
Seite des Bootes, welches daraufhin umkippte und zu sinken begann.
Die geretteten Migranten und die Körper der Passagiere,
welche es nicht geschafft haben, konnten nach Catania gebracht werden. Dort hat
die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Schiffbruch und mehrfacher
fahrlässiger Tötung eingeleitet. Von Seiten des Innenministers kam noch keine
Anordnung, aber der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco, hat die Verlegung der
Migranten nach Catania bestätigt. „Die Rettungsaktion auf dem Meer ist noch im
Gange,“ erklärt Michele Maltese von der Hafenbehörde in Catania gegenüber
MeridioNews. „Im Moment wird alles von Rom aus koordiniert, zusammen mit den
zuständigen Behörden in Palermo.“
Am Nachmittag wurde einer der Passagiere mit dem Helikopter
zum Stützpunkt Maristaeli geflogen und ins Krankenhaus Vittorio Emanuele
eingeliefert. Auf Grund seines schlechten Zustands war es den Ermittlern noch
nicht möglich ihn zu befragen, dies wird erst geschehen sobald sich sein
Gesundheitszustand verbessert hat. Die maltesischen Autoritäten haben
Ministerpräsident Matteo Renzi bereits zugesichert, dass die 24 Toten nach
Malta gebracht werden können.
In der Zwischenzeit werden Rettungsmaßnahmen eingeleitet
auch wenn nicht einmal das Rote Kreuz Anordnungen erhalten hat. „Aus dem
Ministerium gibt keine offizielle Bestätigung,“ sagt Stefano Principato,
Sprecher des italienischen Roten Kreuz Catania. „Allerdings ist seit 17.00 Uhr
ein Schalter für Verwandte eingerichtet, wo sie Auskünfte erhalten können.“
Eine Hotline (389 3432063) und ein Emailkonto (rfl@cricatania.it) werden die Anfragen auch in arabischer und
senegalesischer Sprache aufnehmen. Die Vereinigung Rete antirazzista
(Antirassitisches Netzwerk) wird morgen ab 8.00 Uhr im Hafen sein.
Die 28 Überlebenden befinden sich im Moment an Bord vier
verschiedener Schiffe. 22 sind auf dem portugiesischen Handelsschiff King
Jacob, welches als erstes Rettungsmaßnahmen vorgenommen hat. Auf der Gregoretti,
einem Schiff der Küstenwache befinden sich zwei Personen, zwei weitere auf
einem anderen Handelsschiff und die letzten zwei sind auf einem Militärschiff,
welches mit den Rettungsarbeiten beschäftigt ist. „Sobald sie uns sahen wurden
sie unruhig und das Boot kippte um. Unser Schiff ist nicht gegen das Boot
gerammt,“ präzisiert der Kapitän des portugiesischen Frachters. Einer der Rettungskräfte
bestätigt, „man sieht nur noch Dieselöl und Frackteile, seit heute 10.00 Uhr
morgens haben wir nichts mehr gefunden.“ Unter den geborgenen Leichen soll auch
ein Jungen zwischen 10 und 15 Jahren sein. „Er war einer der ersten, die wir
bergen konnten. Mit dem Kopf nach unten lag er in einem Ölteppich.“
„Gleichgültigkeit geht nicht.
Diese Tragödien werden zur „Normalität“ und das ist nicht akzeptabel,“ so Kheit
Abdelhafid, Imam von Catania und Präsident der muslimischen Gemeinschaft in
Sizilien. „Ich hoffe, dass zumindest diese hundertste, ungeheure
Flüchtlingstragödie, die größte, die die Menschheit je gesehen hat, Europas
Bewusstsein wach rüttelt,“ erklärte der Bürgermeister von Catania, Bianco.
„Sollten die aktuellen Zahlen
bestätigt werden, handelt es sich bei diesem Schiffbruch um den höchsten
Verlust von Menschenleben von
Flüchtlingen und Migranten, die je nach einem einzelnen Unglück im Mittelmeer
gezählt wurden.“ Wie in einer Notiz des UN Flüchtlingshilfswerks vom UN
Hochkommissar für Flüchtlinge in Erhebung gezogen: „dieser Vorfall folgt auf
das Unglück der letzten Woche, als wir einen Verlust von 400 Menschenleben
verzeichneten.“ Eine weitere Tragödie, jene von Lampedusa im Oktober 2013: „war
Zeuge von 600 Toten in zwei separaten Bootsunglücken.“
„Es muss mit Entschiedenheit und in Eile reagiert werden,
um ein Wiederholen dieser Unglücke zu verhindern,“ mit diesen Worten richtete
sich Papst Franziskus auf dem Petersplatz an die internationale Gemeinschaft.
„Es sind Männer und Frauen wie wir.“ Von Seiten der Politik kamen gleich die
üblichen Protestchöre als Antwort auf das Handeln der EU angesichts ähnlicher
Tragödien. Staatspräsident Sergio Mattarella hat unterdessen verkündet das
Ereignis mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen.
Der Nationalrat des Arci schreibt in einer Mitteilung:
„eine Tragödie deren genaue Verantwortlichkeit man in den ausgeführten
Entscheidungen der italienischen und europäischen Institutionen finden kann.“
Die Körperschaft schlägt einen strengen Ton ein: „Wann wird man verstehen, dass
sich Migrationsströme weder von den Schikanen der Todesschlepper noch von den
Gefahren auf überfüllten und unsicheren Booten abhalten lassen? Wie viele Tote
braucht es noch bis man sich entscheidet der Nachfrage nach der Öffnung von humanitären
Kanälen gerecht zu werden und so jenen die vor Krieg und Gewalt flüchten,
sichere Wege der Flucht anbietet?
Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo hat für
Morgen einen Trauertag in seiner Stadt ausgerufen, diese Entscheidung wird auch
von seinem Amtskollegen Bianco in Catania geteilt. Der Präsident des Anci hat
angekündigt, dass die selbe Entscheidung von den 390 Gemeinden Siziliens
getroffen wurde, „Morgen werden die Fahnen aller Verwaltungsgebäude auf
Halbmast wehen“ erklärt er, „angesichts dieses regelrechten Blutbads kann man
nicht gleichgültig bleiben und jeder, begonnen bei der EU und der
internationalen Gemeinschaft muss Verantwortung übernehmen.“
Aus dem Italienischen von Elisa
Tappeiner