Wer muss bezahlen?
Bei der Berichterstattung über die Migranten und ihre Aufnahme in Sizilien geht es fast immer um den ökonomischen Aspekt. Finanzierungen, verspätete, vorzeitige, fehlende Zahlungen und Proteste sind mittlerweile an der Tagesordnung. Erst vor wenigen Tagen erklärte der Bürgermeister von Pozzallo sein Bedauern und seine Empörung darüber, als bekannt wurde, dass von den 20 000 Euro aus Lampedusa, die von dem interministeriellen Ausschuss für Wirtschaftsplanung, der Cipe, bereitgestellt wurden, keinerlei Mittel für die Gemeinde Ragusa vorgesehen wurden. In einem Interview stellte er eindeutig klar, dass er seinen Protest fortsetzen und durchsetzen wolle, dass in diesem Fall in der Erstaufnahmeeinrichtung Cpsa* nicht mehr als 200 Personen aufgenommen werden sollen.
Eine absolut nachvollziehbare Forderung, wenn man bedenkt, dass die Aufnahmekapazität der Einrichtung 180 Personen beträgt, wobei diese Zahl jedoch eher die finanzielle Situation berücksichtigt und weniger die Tatsache, dass die Migranten in jedem Augenblick ihres Aufenthalts ein Recht auf eine menschenwürdige Aufnahme haben sollen, so wie es das Gesetz vorschreibt, und nicht zu Hunderten in Einrichtungen zusammengepfercht werden. Inzwischen wurde die Verwaltung des Cpsa in Pozzallo bis zum 30. Juni der Firma Azione Sociale anvertraut, mit einem Vertrag, der eine Summe von 45 Euro pro Migrant am ersten Tag seiner Aufnahme vorsieht (um die Kosten von Wäscheausgabe und Hygienesets im Fall einer sofortigen Verlegung zu gewährleisten) und 35 Euro für jeden weiteren Tag. Man hofft immer noch auf einen Umschwung, da die Betreiber im Moment noch einen Zahlungsrückstand von gut sechs Monaten gegenüber dem vorherigen Betreiber haben, was natürlich nicht zu optimalen Arbeitsbedingungen führt.
Inzwischen kommen immer mehr Migranten an und gestern wurden nach der Ankunft von zwei Booten im Laufe von 24 Stunden ungefähr 400 Personen in der Erstaufnahmeeinrichtung gezählt. Ein weitere Gruppe kam in Augusta an, wo sich unter den 286 Flüchtligen der Leichnam eines Jungen befand, der wahrscheinlich erstickt ist. Ein weiterer Mann musste die Freiheit der anderen mit seinem Leben bezahlen, sein Tod erregt nicht einmal mehr Aufsehen. Im Gegenteil. Die Einsamkeit setzt sich sogar noch nach dem Tod fort. So für die Opfer des letzten großen Schiffbruchs, der die Debatte ausgelöst hat zwischen denen, die der Meinung sind, die Bergung des Wracks und der Leichname seien zu teuer, und denen, die es für ein Recht der Migranten halten, dass sie ein würdiges Begräbnis erhalten, und die die Ermittlungen zur Aufklärung dieser vorhersehbaren Tragödie notwendig finden. Es wird oft über Geld gesprochen, aber nie wird klar, wer letztendlich für alles zahlen muss. In diversen Einrichtungen um Catania bekommen die Betreiber keinen Lohn und sind jetzt seit Monaten gezwungen, umsonst zu arbeiten.
So ist das bei den Mitgliedern der Genossenschaft S. Giuseppe, Träger einer Wohngemeinschaft für unbegleitete Minderjährige und Italiener in Ramacca, in der die Situation, gelinde gesagt, verzweifelt ist. Die besagte Wohngemeinschaft beherbergt im Moment zehn Jugendliche, zwei Italiener, die anderen Jugendlichen kommen aus Nigeria, der Elfenbeinküste, Ägypten, Gambia, Mali und die meisten von ihnen wurden aus der Einrichtung Papa Giovanni di Priolo hierher verlegt. Die Leiterin der Wohngemeinschaft erzählt mir, wie die Gelder, die über einen Vertrag mit der Region kamen, seit Juli 2014 nicht mehr kommen. Seit Januar 2015 gab die Region dann die Zuständigkeit für Ausländer ans Innenministerium ab. In dieser wirtschaftlich extrem schwierigen Situation hat die Genossenschaft zunächst beschlossen, eine Einrichtung zu schließen und nur noch letztere zu behalten, aber trotzdem zwingt das Fehlen finanzieller Mittel alle Mitglieder, einschließlich des Verwalters, als Personal in der Einrichtung ohne jegliche Bezahlung schichtweise zu arbeiten und hat zur Reduzierung des Taschengelds und der Dienstleistungen für die Bewohner geführt. Die jungen Migranten scheinen in den grundlegenden Fragen, dem Umgang mit Papieren, dem Ausfüllen des Modells C3, der Terminvergabe bei der Kommission, der Zuweisung zu einem Vormund und der Organisation einer Alphabetisierung begleitet zu werden. Eine solche Lebenssituation bringt jedoch zwangsläufig eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich und der gesamte Integrationsprozess, der für die Minderjährigen vorgesehen ist, muss kompetent und gewissenhaft begleitet werden, was allein mit gutem Willen nicht geleistet werden kann. D., aus Gambia, ist nach vier Monaten in Priolo im vergangenen Januar in Ramacca angekommen. Hier in Ramacca hat endlich sein Verfahren begonnen, mit dem er internationalen Schutz beantragt hat. Sicher jedoch befindet er sich erneut in einer quälenden Ungewissheit, die vielleicht auch schwieriger zu verstehen ist, da es hier nicht einmal die Unterstützung durch internationale Organisationen wie Terre des Hommes gibt. Diese war immerhin in der Einrichtung Papa Francesco mit einem Ethnopsychiater und Sozialarbeitern vertreten. Bis jetzt begegnet er nur der Einsamkeit und der Langweile eines kleinen Ortes und einer Gemeinde, in der es keine konkrete Hilfe zur Eingliederung und wenig Aufmerksamkeit gegenüber seiner Zukunft gibt, und in der es schon ein Glück ist, wenn man auf Umwegen einige Euros bekommt, um sein Handy aufzuladen.
In der Zwischenzeit verbessert sich die Situation in der Einrichtung Regina Elena in Catania, die für Minderjährige zuständig ist, auch nicht. Nach dem Protest vor einigen Wochen haben die Jugendlichen seit März immer noch kein Taschengeld erhalten, wobei es schon in den Monaten davor nur unregelmäßig verteilt wurde. Und so lassen auch die Arbeitsbedingungen der Betreiber, deren Monatsgehälter seit gut 16 Monaten ausgesetzt sind, nicht auf ein besseres Klima innerhalb der Einrichtung hoffen. Das Problem ist anscheinend immer die verzögerte Vergütung, eine Aufgabe der Region, des Ministers und der Kommune, wie die Leiterin der Einrichtung, Frau Dottoressa Ssa Ursino, betont, und sie erklärt, dass ihr die Hände in mehrfacher Hinsicht gebunden seien. „Wenn kein Geld da ist, ist es rein rechnerisch einfach unmöglich, das Taschengeld auszubezahlen. Auch schafft die Tatsache, dass die Angestellten über Monate gezwungen werden, ohne Lohn zu arbeiten, eine sehr starke Spannung bei der Verwaltung der Einrichtung, da sie sich tatsächlich jeden Moment weigern könnten, weiterzuarbeiten.“ Folglich scheint es keine Lösung in dieser Zeit extremer Unzufriedenheit zu geben und die andauernden Proteste der Betreiber und der Verantwortlichen scheinen die Situation nicht gerade zu entspannen, sondern führen ganz im Gegenteil zu einer Art Teufelskreis aus Ressentiments und Groll, die oft die Aufmerksamkeit weg vom Hauptproblem verlagern. Wenn für die Betreiber von Ramacca „eine Schließung keine Lösung ist, vor allem, weil wir uns Jahrzehnte lang für diese Arbeit engagiert haben, und dann auch deswegen, weil wir ja nichts anderes machen könnten“, scheint für die leitende Gruppe von Regina Elena die wichtigste Hoffnung darin zu bestehen, dass die Gelder eintreffen, bevor die Flucht der Angestellten die Leitung zu einer Schließung zwingt. So viele Sorgen und nur eine Gewissheit: Unter all den beteiligten Akteuren sind die Migranten die größten Leidtragenden, denn sie müssen den Preis für jede Verspätung und Nichteinhaltung bezahlen und sie haben keine Alternative.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
Übersetzt aus dem Italienischen von Jutta Wohllaib
*CPSA: Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme