Permanentes Völkertribunal zur bislang straflosen Verletzung der Menschenrechte von Migrant*innen und Geflüchteten tritt in Palermo zusammen
Das Permanente Völkertribunal wurde in Palermo einberufen, um zu prüfen, ob die politischen Strategien und Praktiken der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten, in erster Linie Italiens, Verletzungen des Völkerrechts oder der Menschenrechte von Migrant*innen und Geflüchteten darstellen.
Die Verhandlung findet öffentlich vom 18. bis zum 19. Dezember (Registrierung um 8:30 Uhr, Eröffnung um 9:00 Uhr) im Studienzentrum Bernardo Albanese (Piazza Napoleone Colajanni) statt. Das Urteil der Geschworenen des Tribunals wird am Mittwoch, den 20. Dezember, verkündet.
Anlässlich des 17. Jahrestages der Verabschiedung der UN-Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen wird am 18. Dezember 2017 die erste Sitzung des Permanenten Völkertribunals zur Verletzung der Menschenrechte von Migrant*innen und Geflüchteten auf dem Mittelmeer eröffnet. Sie findet in Palermo, der Hauptstadt der Gastfreundschaft, und somit direkt am Mittelmeer statt, jener südlichen Grenze Europas, die sich zur Zeit immer mehr in ein Massengrab verwandelt. Die zweite Sitzung wird vom 4. bis zum 5. Januar 2018 in Paris stattfinden und sich mit den Innengrenzen der Europäischen Union sowie den Außenpolitiken und Ausschlusspraktiken ihrer Mitgliedsländer auseinandersetzen.
Die Palermitaner Sitzung
Als internationales Meinungsgericht hat das PVT die im vergangenen Juli in Barcelona durch das Transnational Institute Amsterdam, die Transnational Migrant Platform Europe und das große Netzwerk von Nicht-Regierungsorganisationen und Menschenrechtsvereinen formulierte und von mehr als hundert sozialen Einrichtungen und Initiativen sowie zahllosen migrantischen Organisationen unterstützte Forderung angenommen, die politischen und praktischen Vorgehensweisen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, allen voran Italiens, zu prüfen und festzustellen, ob sie eine Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte von Migrant*innen oder Geflüchteten darstellen. Es handelt sich dabei um komplexe, aber beweisbare Verbrechen und Verantwortlichkeiten, die in diesem Rahmen von direkten Zeug*innen und Expert*innen präsentiert, analysiert und gegenüber dem durch das Tribunal einberufenen Schwurgerichts belegt werden sollen. Auf Zeug*innenseite werden unter anderem die Organisationen Sea-Watch, MEDU, Borderline Sicilia, Baobab Experience und LasciateCIEntrare auftreten.
Es ist an der Zeit, das Schweigen zu brechen!
Wie entscheidend und aktuell es ist, das Tribunal tagen zu lassen, wie es viele italienische und internationale Hilfsorganisationen gefordert haben, wird leider zur Zeit immer wieder durch die tragischen Berichte über Seenotfälle, Tote auf dem Meer, Zurückweisungen, willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen bestätigt. Dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein zufolge hat die durch das ungeheure Leid Tausender Männer, Frauen und Kinder gekennzeichnete Situation katastrophale Ausmaße angenommen und sich zu einer “Schmach für die Menschheit” entwickelt. Im Angesicht der “zeitgenössischen Sklaverei, der Folter und der sexuellen Gewalt”, die im Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Migrationsphänomen stehen, müsse das Schweigen, so der Hohe Kommissar, endlich gebrochen werden.
Es tiempo de hablar! Dieser grundlegenden Aufgabe des PVT trug Tribunal-Mitglied Carlos Beristain bei der letzten Sitzung in Barcelona Rechnung, als er an die Forderung eines alten Mannes aus Guatemala nach einem kollektiven Gedenken an die Opfer politischer und institutioneller Gewalt in seinem Land erinnerte. Auch für Migrant*innen und Geflüchtete ist die Zeit gekommen, das Schweigen zu brechen und die Wahrheit über das zeitgenössische Migrationsphänomen ans Licht zu bringen. Die politischen Entscheidungen und Praktiken der europäischen Regierungen müssen im Bezug auf Menschen- und Völkerrecht analysiert und bewertet werden, um dem tragischen Verlust der Menschlichkeit, den wir derzeit Tag für Tag erleben müssen, zukunftsträchtige Perspektiven der Solidarität entgegenzusetzen.
Die Eröffnung möglicher Alternativen gehört zu den wichtigsten Funktionen des Tribunals, das sich auf Grundlage der Universalen Erklärung der Völkerrechte (Algier, 1976) für fähig erklärt, über schwerwiegende und systematische Verletzungen der Menschen- und Völkerrechte zu urteilen. Seit 1979 hat das Tribunal 44 Sitzungen realisiert.
Das Permanente Völkertribunal
Das Permanente Völkertribunal (PVT) wurde 1979 von Lelio Basso gegründet und wirkt als Katalysator gesellschaftlicher Sicht- und Sagbarkeit für jene Volksgruppen, die in der Universalen Erklärung der Völkerrechte (Algier, 1976) als Opfer von Grundrechtsverletzungen genannt und vom internationalen Recht marginalisiert worden sind. Mithilfe von Rechtsexpert*innen aus aller Welt untersucht das Tribunal die Gründe und Spielarten solcher Verletzungen und denunziert die Meinung der Weltöffentlichkeit dort, wo “die nationalen und internationalen Gesetzgebungen die Verteidigung des Völkerrechts unterlassen”. Weiterhin tritt das Tribunal für die allgemeine und praktische Anerkennung der grundlegenden Völkerrechte ein und verurteilt Fälle schwerwiegender und systematischer Menschenrechtsverletzung durch Staaten, nicht-staatliche Autoritäten, Gruppen oder private Organisationen. Das PVT bringt staatliche Verbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit, Völkermordsverbrechen und schwerwiegende Verletzungen der Rechte und Freiheiten von Einzelnen, Volksgruppen und Minderheiten zur Sprache.
Angesichts des Fehlens einer internationalen gerichtsbaren Instanz, die über Völkerrechtsfälle urteilen könnte, übernimmt das Tribunal eine subsidiäre Funktion. In seinen Urteilen beschränkt sich das Tribunal nicht darauf, bestehende Normen anzuwenden, sondern weist darüber hinaus auf Grenzen oder Lücken im internationalen System zum Schutz der Menschenrechte hin, um mögliche Entwicklungsstrategien für selbiges zur Diskussion zu stellen.
Dem Internationalen Schwurgericht der Palermitaner Sitzung des Tribunals gehören an:
Franco Ippolito, italienischer Richter und Vorsitzender des PVT
Philippe Texier, französischer Richter und stellvertretender Vorsitzender des PVT
Carlos Beristain, spanischer Arzt und Psychologe, Experte für Menschenrechte und Erinnerungspolitik
Donatella Di Cesare, Philosophin und Dozentin an der Sapienza-Universität Rom und an der Scuola Normale Superiore Pisa
Luciana Castellina, Politikerin, Journalistin und Schriftstellerin
Francesco Martone, Experte für Internationale Beziehungen, Pazifismus und Menschenrechte
Luis Moita, Dozent für Theorie der internationalen Beziehungen an der Autonomen Universität Lissabon
Kontakt
Tribunale Permanente dei Popoli – Palermo
+39 3274658128
palermotpp@gmail.com
www.tppsessionepalermo.it
Übersetzung aus dem Italienischen von Laura Strack