Chronik einer schweren Rechtsverletzung im Hotspot von Lampedusa

Pressemitteilung – Trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Khlaifia werden die willkürlichen Verhaftungen fortgesetzt, Massenabschiebungen vorgenommen und das Recht auf Asyl verwehrt. Herr M. ist seit vier Tagen in den Hungerstreik getreten. Seinem Beispiel folgen ca. 200 tunesische Landsleute, die im Hotspot von Lampedusa festgehalten werden. Sie weigern sich etwas zu essen, bis sie ihre Grundrechte wahrnehmen können. Ein Mitstreiter ist vor wenigen Stunden ins Krankenhaus verbracht worden. Das Festhalten der Protestierenden im Hotspot erfolgt ohne jegliche richterliche Bestätigung. Niemand hat ihnen erklärt, auf welchem Wege sie ihr Recht auf Asyl geltend machen können.

Diesen Zustand bestätigt auch Herr A., auch er aus Tunesien und Insasse des Hotspots seit 14 Tagen mitsamt 200 weiteren Tunesier*innen. Er sagt der Organisation Arci am Telefon, dass ihm das „Recht, einen Asylantrag zu stellen, verweigert worden sei“.

Die zuständigen Behörden schweigen wissentlich. Der italienische Staat begeht Rechtsverstöße gegen nationales und internationales Recht. Nur dank der Meldung unserer tunesischen Partnerorganisation FTDES (Tunesisches Forum für soziale und ökonomische Rechte) konnten wir mit den tunesischen Geflüchteten, die in Lampedusa in Hungerstreik getreten sind, Kontakt aufnehmen.

Der italienische Staat verhält sich gleichgültig gegenüber den Urteilen des EUGH. Vor wenigen Monaten haben die Richter*innen des Straßburger Gerichts den italienischen Staat zu Entschädigungszahlungen in Höhe von 30.000 Euro verurteilt aufgrund der Behandlung von drei tunesischen Migranten. Laut dem Gericht wurden den Geflüchteten die Gründe für ihr Festhalten nicht mitgeteilt, noch wurde ihnen Gelegenheit zu anwaltlichem Beistand vermittelt. Die Zustände, die während ihrer Haft herrschten, wurden als „unterhalb der Menschenwürde und diese schwer missachtend“ verurteilt. Überfüllte Zimmer verleiteten die Menschen dazu, auf dem Boden zu schlafen, während die Waschräume und Toiletten nicht von den Schlafsälen getrennt waren. Hinzu kamen Mangel an Wasser sowie der fehlende Kontakt mit der Außenwelt. Diese Zustände wiederholen sich nun.

Die Richter*innen haben Italien wegen Freiheitsberaubung und Verstoß gegen das Recht auf Sicherheit verurteilt, weil die Tunesier ohne jegliche gesetzliche Grundlage festgehalten wurden. Ihnen wurden weder Gründe für diese Behandlung mitgeteilt, noch wurde ihnen Zugang zur gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme gewährt.

Im Lichte der schweren Zustände, die im Hotspot von Lampedusa zu Tage treten, fordern ARCI und FTDES:

– alle Geflüchtete, die ohne richterliche Erlaubnis festgehalten werden, werden freigelassen

– alle Geflüchtete, die festgehalten werden, werden über ihr Asylrecht aufgeklärt

– alle Geflüchtete erhalten Zugang zu unabhängigen Schutzorganisationen

– die italienische Regierung beendet die Massenabschiebungen auf Grundlage der gesetzeswidrigen Vereinbarung zwischen Italien und Tunesien

– die italienische Regierung macht der Öffentlichkeit seine Abschiebepraxis mit Tunesien auf dem Meer kenntlich

ARCI – FTDES

Übersetzung aus dem Italienischen von Alma Freialdenhoven