Campobello di Mazara: Prekäre Arbeitsbedingungen und Diskriminierung in der Landwirtschaft
Einer der wichtigsten Abschnitte der Saisonarbeit auf Sizilien ist sicherlich der von Campobello di Mazara. Jedes Jahr zwischen September und Dezember reisen bis zu 1.300 Hilfsarbeiter*innen an um bei der Olivenernte auszuhelfen, wobei die meisten von ihnen aus Ländern südlich der Sahara stammen. Die Situation ist komplex: während zu Beginn dieses Phänomens die meisten Arbeiter*innen in einer Gegend außerhalb der Stadt, Erbe Bianche genannt, ihre Lager aufschlugen, ist seit 2014 ein Bezirk rund um eine ehemalige Ölmühle hinzugekommen, welche zuvor von der Mafia konfisziert worden war.
Die Mühle war den Arbeiter*innen für den Aufbau ihrer Zelte zur Verfügung gestellt worden, nachdem die Explosion einer Gasflasche in der Zeltstadt von Erbe Bianche den jungen Senegalesen Ousmane das Leben gekostet hatte. Sowohl in Erbe Bianche, als auch in der ehemaligen Ölmühle, welche auf den Namen „Ciao Ousmane“ getauft wurde, waren die Zustände lange äußerst prekär. Nach einem langen Kampf der wenigen lokalen Aktivist*innen wurde das Camp „Ciao Ousmane“ schließlich mit Sanitäranlagen ausgestattet und der Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung ermöglicht. Nichtsdestotrotz muss aufgrund der hohen Anzahl an Menschen jedes Jahr ein Teil der Arbeiter*innen wieder in Erbe Bianche unterkommen.
Der Austausch mit den Einwohner*innen von Campobello ist minimal, obwohl sich das Phänomen jährlich wiederholt und äußerst gewinnbringend für die Region ist. Durch die Anwesenheit der Arbeiter*innen ist nicht nur die Olivenernte gesichert, für welche anderenfalls das nötige Personal fehlen würde, sondern auch die Geschäfte profitieren von den 1.300 zusätzliche Personen, die ihre Einkäufe im Ort tätigen. Campobello di Mazara ist verhältnismäßig klein und so ist die jährliche Ankunft der Hilfsarbeiter*innen deutlich sichtbar, auch wenn die Felder außerhalb liegen. Nichtsdestotrotz bleiben die Arbeiter*innen immer in eine Parallelwelt ausgegrenzt.
Wie ist es möglich, dass eine solche Situation entstehen kann? Die Wurzel des Problems liegt in der Missachtung eines Gesetzes, welches festlegt, dass die Arbeitgeber*innen dazu verpflichtet sind, ihren Arbeiter*innen eine Unterkunft zu stellen. Dies ist von Anbeginn an fast nie geschehen. Einige der jungen Leute haben über die Jahre versucht Zimmer zu mieten, aber dies ist bisher noch niemandem gelungen, nicht jedoch weil es keine leerstehenden Häuser in Campobello gäbe, sondern weil die Eigentümer sich weigern an Schwarze zu vermieten. So sind diese Menschen dazu gezwungen sich ihre Zelte und Baracken in der Landschaft zu errichten, obwohl viele von ihnen bereits seit Jahren in Italien leben, italienisch sprechend und ihre Familie und ihr Zuhause hier haben.
In diesem Jahr ist ein weiteres Element hinzugekommen: das SPRAR, ein kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis für Asylsuchende und Geflüchtete, auf dem Gelände der ehemaligen Ölmühle. Aus diesem Grund hat die Gemeinde von Campobello, welche für die Ölmühle zuständig ist, bekannt gegeben, das Camp „Ciao Ousmane“ zukünftig nicht mehr für die Hilfsarbeiter*innen zu öffnen. Die Antimafia-Organisation „Libera“ und verschiedene Aktivist*innen hatten die Institutionen dazu gedrängt, alternative Lösungen zu finden, im Angesicht der Tatsache, dass bereits in 14 Tagen die ersten Arbeiter*innen eintreffen werden.
Um die landwirtschaftlichen Betriebe dazu zu bewegen Unterkünfte für die Hilfsarbeiter*innen zu stellen, wurde ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, welches eine steuerliche Erleichterung von täglich 4 Euro pro Person vorsieht. Zehn von insgesamt 2500 erklärten Betrieben haben sich bereiterklärt das Abkommen zu unterschreiben. Der Vorschlag sieht ein Registrierungssystem sowohl für die Betriebe als auch für die Arbeiter*innen vor. Die Gemeinde, das Amt für Zivilschutz und die Feuerwehr haben diverse andere private Standorte begutachtet, welche jedoch aus verschiedenen Gründen als ungeeignet bewertet wurden. Oftmals fehlten die Sanitäranlagen, die Kapazitäten waren beschränkt oder die Einrichtung war bereits zu verwahrlost. In manchen Fällen gehörte der Besitzer einer mafiösen Organisation an. Aus diesem Grund wurde in Erwägung gezogen einen Teil der ehemaligen Ölmühle wieder in Betrieb zu nehmen. Ein Abschnitt von der Größe von circa 2/3 des Geländes wird durch einen Zaun vom SPRAR getrennt und einer Anzahl von maximal 300 Personen zur Verfügung gestellt. Diese Lösung ist jedoch nicht endgültig, da in wenigen Wochen weitere tausend Arbeiter*innen nach Campobello kommen werden und man bisher mit den Vorbereitungen für eine menschenwürdige Unterkunft noch weit zurück hängt. Fast höhnisch erscheint zudem die Tatsache, dass offensichtlich eine tägliche Gebühr von 2 Euro für den Zugang zur Ölmühle verlangt werden soll, welche anschließend in die Kassen der Gemeinde fließen wird.
Auch in Erbe Bianche ist die Situation eine andere im Vergleich zu den Vorjahren. Bei unserem Besuch Ende August steht bereits eine beträchtliche Barackenlandschaft. 80 Personen haben sich dort eingerichtet und jeden Tag kommen Neue hinzu. Es gibt wenig Zelte, jedoch stehen überall Holzbaracken, welche mit Plastik überzogen sind. In all seiner Ärmlichkeit erscheint Erbe Bianche fast wie eine richtige kleine Stadt. In eine Baracke mit der Aufschrift „Pizzeria“ treffen wir zwei junge Frauen aus Nigeria, J. und M. Sie sind aus Castelvetrano gekommen, um in der Barackenstadt zu kochen. J- lässt den Blick über das Camp schweifen, wo die jungen Männer, die gerade von der Arbeit zurückgekehrt sind, das Abendessen vorbereiten, ihre Wäsche waschen oder sich in kleinen Gruppen mit unterdrückter Stimme unterhalten. „So ist das Leben,“ sagt J. mit viel Bestimmtheit, zieht sich die Schürze an und kehrt zu ihrer Arbeit zurück.
Campobello zeigt beispielhaft, dass Rechte ein Luxus weniger Privilegierter sind. Leider ist es nicht der einzige Ort wo noch im Jahre 2017 zwischen Menschen erster und zweiter Klasse unterschieden wird: von Cuneo über Brescia bis nach Apulien, hören die Rechtsbrüche und Gewalttaten gegen die Sklav*innen des neuen Jahrtausends nicht auf.
Es gibt keine Lichtquellen in Erbe Bianche und schnell versinkt alles in der Dunkelheit. Es gibt keinen Strom und es gibt keine Bäder, die einzige Wasserquelle ist ein Wasserhahn. Einige der jungen Männer kochen auf dem offenen Feuer oder mit Gasflaschen. Natürlich durfte eine Einladung zum Abendessen trotz der knappen Mittel nicht fehlen: Teilen ist Teil einer Gesellschaft von der wir sicherlich viel lernen könnten. Trotz ihrer schwierigen Lage ist es diesen Menschen gelungen, ein System zu errichten, welches verschiedenen Nationalitäten, Sprachen und Religionen erlaubt friedlich und gut organisiert miteinander zu leben. Das war es auch, was „Ciao Ousmane“ so besonders gemacht hat. Die Dynamiken von Kommunikation, Arbeitsteilung, Solidarität und Mikroökonomie die sich auf besondere Art und Weise in den vergangenen Jahren zwischen den jungen Menschen entwickelt hat, könnten eine wertvolle Ressource und ein Modell zum Nachahmen sein.
Verena Walther
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Giulia Coda