Das Recht auf Asyl wird zur Utopie

In diesen Wochen, in
denen sich die Nachrichtenmeldungen anderen Angelegenheiten widmen, verweigert
Italien weiterhin jungen Migranten Zukunft und Hoffnung. Diese jungen Migranten
sind aus den Händen der Terroristen, vor den ‚demokratischen‘ Bomben, vor den
multinationalen Unternehmen und vor der Sklaverei geflüchtet. Nachdem sie es
durch die Wüste und über das Meer geschafft haben, sind sie unter Brücken oder
Arkaden gelandet.

Die Hoffnung von der
wir reden heißt internationaler Schutz. Doch sowohl für jene, die schon seit
geraumer Zeit in Italien sind, als auch für jene, die in diesen Tagen ankommen,
scheint Asyl vor allem eine Utopie. In absoluter Stille hat die italienische
Regierung Abkommen mit einigen afrikanischen Ländern (Tunesien, Ägypten,
Nigeria, Gambia) unterzeichnet oder bereits bestehende Verträge überarbeitet.
Die Abkommen, hinter denen immense Geldsummen stehen, sollen sowohl die
(illegalen) Reisen nach Europa verhindern, als auch die zügige Rückführung all
jener ermöglichen, die weder von der Wüste, noch von den Menschenhändlern oder
vom Meer gestoppt wurden.

Diese Abkommen gehen aus der „road map“, einem
von der Regierung abgefassten Dokument hervor, in dem die Absichten Italiens
und die Versprechungen Europas im Bereich der Migration schwarz auf weiß dargestellt
werden und hinter denen beträchtliche Geldsummen stecken.

Das Abkommen mit der
nigerianischen Regierung beinhaltet zum Beispiel eine Kursänderung bezüglich
der Möglichkeit auf internationalen
Schutz: seit einigen Monaten werden Nigerianer, die ihren Fuß „illegal“ auf
italienischen Boden setzten, direkt in ein CIE* gebracht, zur raschen Identifizierung
von Seiten der afrikanischen Botschaft und mit der Bestätigung zur sofortigen
Zurückführung in ihr Heimatland.

Bei den letzten
Ankünften auf Lampedusa, in Pozzallo und in Trapani (wobei ein Mann sein Leben
verlor und nur sein Leichnam am Hafen ankam), wurden die Nigerianer direkt in
das CIE von Pian del Lago bei Ponte Galeria und in das CIE von Milo gebracht.
70 Frauen und 20 Männer kamen in das CIE von Pian del Lago und weitere 34
Personen wurden mit der Fähre nach Porto Empedocle gebracht und kamen in das
CIE von Milo, obwohl diese auf der Fähre vergeblich den Willen geäußert haben,
Asyl zu beantragen.

Tatsächlich ist
allen der Zugang zum Asylverfahren verweigert worden. Zum Glück und dank der
Informationen von den Mitarbeitern der OIM (Internationale Organisation für
Migration), ist es den Nigerianern, die in das CIE von Trapani kamen gelungen,
den Antrag zu stellen. Die Massenrückführung der 90 Personen im Zentrum Ponte
Galeria in Rom wurde dank des Einsatzes der antirassistischen Vereinigungen
gestoppt. Diese haben sich rechtzeitig eingeschaltet, um mit ihrer Hilfe, das
Vorgehen zu verhindern, das leider in den letzten Wochen zur Normalität
geworden ist.

Wenn nicht mit
Botschaftern oder Konsulen zusammengearbeitet wird oder wenn die Plätze in den
CIE ausgelastet sind, kümmern sich die Polizeipräsidien um die Veranlassung von
illegalen Rückführungen. Deren Ausführung wurde schon oft von sizilianischen
Gerichten verhindert.

Die zahlreichen
Hinweise, die uns von verschiedenen Seiten bekannt sind, sprechen von einer
nicht vorhandenen Informationsvermittlung gegenüber der soeben angekommen
Migranten. Sie sind dazu aufgefordert Fragebögen auszufüllen, die ihnen von den
Frontex Mitarbeitern ausgeteilt wurden. Dabei müssen sie ihren Namen, ihre
Nationalität und ihr Geburtsdatum angeben, aber nicht ihr Motiv, weshalb sie
nach Italien gekommen sind.

Uns fällt außerdem
auf, dass sich dutzende Migranten, die vom Rückführungsdekret betroffen sind, an die sizilianische Polizei gewandt haben und
darum gebeten haben einen Asylantrag zu stellen. Ihr Glück war es gute Anwälte
zu treffen, die zu ihrer Verteidigung und zum Kampf für die Anerkennung ihrer
Rechte bereit waren. Dieses Glück hatten auch 13 Pakistaner und 2 Malier, die
am vergangen 5. November von Lampedusa nach Agrigento gekommen sind. Dort hat
ihnen die Polizei mitgeteilt, dass die Vorkehrungen für ihre Ausweisung
getroffen wurden. Am 11. November sind sie in Palermo gelandet, wo ihnen die
Tür der Einwanderungsbehörde vor der Nase zu geschlagen wurde und sich die
Beamten weigerten ihren Antrag auf internationalen Schutz anzunehmen, eine Handlung,
die jeglichem Gesetz widerspricht.

Die einzige Lösung
für jene, die keine Vereinigung (die Vereinigungen zur Unterstützung der
Obdachlosen machen zur Zeit außerordentliche Schichten) oder keinen
bereitwilligen Anwalt finden, die sie unterstützen, ist die Straße, wo sie
erneut Demütigung erfahren und wo ihnen erneut ihre Würde genommen wird.
Gleichzeitig entsteht durch diese Praxis ein Heer von unsichtbaren Menschen. In
diesen Stunden irren hunderte Personen malischer, nigerianischer,
pakistanischer oder senegalesischer Herkunft durch italienische Städte. Mit dem
Ausweisungsbescheid in ihrer Tasche, versuchen sie ein Polizeipräsidium zu
finden, das ihren Antrag auf Asyl entgegen nimmt, eine Handlung, die eigentlich
zu den Grundrechten eines jeden Menschen gehört! Die italienische Regierung
beabsichtigt bereits am Hafen zu entscheiden wem internationaler Schutz
zugesprochen wird und wem nicht. Dabei will man sich ausschließlich auf die
Nationalität der Migranten berufen und nicht auf deren persönliche Schicksale.

Um den Rückstand zu
überwinden, behelfen sich die sizilianischen Territorialkommissionen mit der
Einwilligung der internationalen Organisationen, wie des UN-Hochkommissariats
für Flüchtlinge (das laut Konvention das Recht auf Asyl schützen müsste) auch
einer anderen beschämenden Praxis, die ebenfalls den Versprechen der „road map“
widerspricht. Da die durchschnittliche Wartezeit auf die Anhörung bei der
Asylkommission noch immer zwischen 15 und 18 Monate beträgt, führen die
sizilianischen Territorialkommissionen Anhörungen durch, die 30 oder maximal 40
Minuten dauern. Das Ergebnis sind oberflächliche Interviews basierend auf
vorgedruckten Mustern, die das Recht der Asylantragsteller deutlich verletzen.
In den letzten Wochen wurden sehr viele Asylanfragen abgelehnt. Unter allen
abgeschlossenen Anträgen erreichten die Ablehnungen Spitzenwerte bis zu 60
Prozent. (Die Ablehnungen haben in den
letzten zwei Jahren zugenommen). Die Personen, denen kein Asyl zugesprochen
wurde, so bezeugen es die Mitarbeiter der Aufnahmezentren, sind das Warten müde
und es leid gegen das Monster der italienischen Bürokratie anzukämpfen; deshalb
entfernen sie sich entmutigt aus den Zentren und tauchen ab in die Welt der
Unsichtbaren. Den Präfekturen, die somit wieder einen freien Aufnahmeplatz mehr
haben, tun sie damit einen Gefallen.

Alle diese
Missstände des Systems provozieren Unzufriedenheit zwischen den Flüchtlingen
und den Asylantragstellern. In Zentren
wie dem CSPA* von Lampedusa weigern sich die kürzlich angekommenen Migranten
ihre digitalen Fingerabdrücke abzugeben, außerdem haben sie einen Hungerstreik
begonnen. Lampedusa ist der erste „Hotspot“ Italiens, ein Labor von Frontex und
anderen europäischen Agenturen. Von Lampedusa aus werden die Migranten nach Rom
(CIE, Ponte Galeria) überführt, bevor sie die Rückführung erwartet (zum
Beispiel die Nigerianer). Auf Lampedusa kommt man in kleinen Schiffchen zu 14
Mann an, wird man aufgespürt oder als Tunesier erkannt, kommt man nach Palermo
von wo aus regelmäßige Abschiebungen per Flugzeug nach Tunis durchgeführt werden.

Zu all dem kommen
noch die verspäteten Zahlungen der Präfekturen an die Aufnahmezentren, eine
Tatsache, die die anstrengende Arbeit der kleinen Betreiber erheblich
verkompliziert und sie dazu zwingt ihre Tore zu schließen. So machen die
Kleinen Platz für die Haifische des Business der Einwanderung, welche die
Migranten dann gefräßig unter sich aufteilen. Wenn wir all das bedenken, ist
klar, dass das System nicht mehr nur ‚die italienische Art‘, sondern mittlerweile
eine europäische Variante ist, welche die Garantie für Schutz mehr und mehr
verringert, den Zugang zu den Grundrechten erschwert und ihn immer öfter ganz
unmöglich macht.

Wir versuchen uns
all dem entgegenzustellen, denn der Respekt der Grundrechte liegt in der
Pflicht eines Staates, der sich als zivil und demokratisch bezeichnet. Wir
fordern Treffen mit den Präfekturen und der Polizei Siziliens und
schlussendlich auch die Einstellung der illegitimen Praktiken. Wir fordern,
dass nach einvernehmlichen Lösungen gesucht wird, damit das Recht auf Asyl
nicht zur Utopie wird.

Alberto Biondo

Veröffentlich von
Borderline Sicilia

*CIE – Centro di
Identificazione ed Espulsione: Identifikations- und Abschiebezentrum

*CSPA – Centro di
Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme

Aus dem
Italienischen von Elisa Tappeiner