Das SPRAR-Heim in Gela, wo das Schlagwort „Zukunft“ lautet
Vergangene Woche besichtigten wir das SPRAR* der Kommune Gela, das von der Kooperative San Francesco verwaltet wird, die zur Genossenschaft Sol Calatino gehört.
Außerhalb einer der Wohnungen treffen wir einen Bewohner und den diensthabenden Verantwortlichen. Ich frage, ob noch andere Bewohner*innen da sind, doch mir wird geantwortet, dass einige schlafen und andere zur Arbeit sind. Nach wenigen Minuten steigt aus dem Obergeschoss ein anderer Bewohner herab mit sichtbaren Problemen beim Umherlaufen. Es rührt daher, erklären sie uns, dass er aufgrund einer schweren Erkrankung sehbehindert ist. Auf Anordnung des Betreibers täten die Mitarbeiter*innen das Mögliche, die für ihn notwendigen Behandlungen sicherzustellen. Doch aus Mangel an spezialisierten Einrichtungen sei es sehr kompliziert, dies zu gewährleisten.
Es ist sicher, dass es für diese Person eine große Einschränkung ihrer Selbständigkeit darstellt, im zweiten Stockwerk eines Gebäudes ohne Fahrstuhl zu leben, und eine weitere Erschwernis seiner Behinderung.
Bevor er unsere Fragen beantwortet, ruft der diensthabende Verantwortliche einen seiner Mitarbeiter*innen. Dieser erklärt sich sofort bereit, uns in seinem Büro treffen, um uns das Management des Aufnahmeprojektes zu erläutern. Es ist auf fünf verschiedene Wohnungen verteilt, alle im Zentrum von Gela gelegen. 50 Begünstigte gäbe es insgesamt.
Der Verantwortliche erzählt, dass die soeben besichtigte Wohnung bis vor kurzem von 25 Personen bewohnt wurde. Um angesichts des vom zentralen Dienst im Rahmen der durchgeführten Überprüfungen signalisierten Zustands der Überfüllung Abhilfe zu schaffen, ist kürzlich der Umzug von 7 Begünstigten in eine andere Wohnung vorbereitet worden, die eigens angemietet wurde.
Der Mitarbeiter redet dann über Maßnahmen der Integration und sozialen Inklusion und erzählt, dass die Kooperative San Francesco, um in regionaler Übereinstimmung arbeiten zu können, Vereinbarungen mit verschiedenen in der Region arbeitenden Einrichtungen unterzeichnet hat. Unter diesen gibt es Einrichtungen für das lebenslange Lernen EDA [Anm.: Erwachsenenbildung] (für die Teilnahme an L2-Kursen für Italienisch als Fremdsprache und für den Abschluss der ital. Mittleren Reife) sowie das Jugendzentrum Macchitella, mit dem Fußballspiele organisiert wurden, eine Amateur-Meisterschaft, an welcher einige der SPRAR-Bewohner*innen teilnahmen, sowie zwei öffentliche Treffen zur Aufklärung anlässlich des Tags des Flüchtlings (an diesen Treffen nahmen auch andere regionale Vereine Teil).
Der Mitarbeiter berichtet außerdem, dass seit Beginn des SPRAR-Projektes, das im April 2014 startete, 20 Berufspraktika initiiert wurden, und dass der Italienischkurs, gehalten von einem für den Unterricht der Stufe L2 zugelassenen Lehrer, an allen Werktagen von 10 bis 12 und 16 bis 18 Uhr gesichert ist.
Als wir nach der Teilnahme an den Unterrichtsstunden fragen, gibt sogar die Lehrerin zu, dass leider die Zahl derjenigen, die teilnehmen, sehr niedrig ist: Viele bleiben den Unterrichtsstunden fern, da sie sich nicht trauen, ihre Anwesenheit im SPRAR zu unterbrechen, während sie auf ihre Papiere warten, andere fehlen, da sie versuchen „Anderes“ zu machen. Es handelt sich offensichtlich um Schwarzarbeit, zudem unterbezahlte, auch wenn es nach unseren Partnern auszuschließen ist, dass in Gela tatsächlich das Phänomen organisierter Beschaffung von Schwarzarbeitern existiert. Die Landwirte und örtlichen Handwerker begeben sich jeden Morgen direkt an einen Punkt der Stadt, um die für den Tag notwendige Arbeitskraft „abzuholen“.
Das Thema der illegalen Arbeit betrifft die Bewohner*innen vieler Heime und ergibt sich quasi organisch aus einem Aufnahmesystem, das auf lange Wartezeiten ausgelegt ist, und verursacht somit eine kritische Situation, die schwer zu beheben ist. Die Betreiber*innen der Aufnahmeprojekte, die davon erfahren haben, würden gerne etwas unternehmen, um diesem Phänomen entgegenzuwirken, doch sie haben keine Mittel zur Verfügung. Sie haben keinerlei Möglichkeit, den Begünstigten eine Alternative anzubieten, die eine Einkommensquelle und eine Arbeitsbeschäftigung darstellen würde.
Nachdem wir das Thema Schwarzarbeit beendet haben, erhalten wir Informationen über die Zusammensetzung des Personals, bestehend aus: 2 Verwaltungsleiter*innen, 13 Mitarbeiter*innen (davon drei Aufnahmemitarbeiter*innen und drei allgemeine), drei Fachkräfte, die die soziale, psychologische und rechtliche Beratung sicherstellen, und Berater für Arbeitsmarktpolitik, der sich um berufliche Orientierung kümmert, und ein sprachlich-kultureller Mediator. Eine im Übrigen große Belegschaft verglichen mit der Anwesenheit nur eines Mediatoren, einem ehemaligem Bewohner, der gut französisch, englisch, manding, wolof spricht. Seine sprachlichen Kenntnisse sind freilich begrenzt im Gespräch mit den Gästen asiatischer Herkunft, die im SPRAR sind.
Zum Abschluss des Treffens fragen wir, ob wir mit einigen Gästen sprechen können, und werden in eine andere Wohnung gebracht, die als „die bessere“ eingeschätzt wird. Die Wohnung erscheint sehr anständig, geräumig und sauber. Wir machen Bekanntschaft mit vier Jugendlichen aus Mali, die in ihrem Zimmer sind, ausgestreckt auf dem Bett in gelangweilter und niedergeschlagener Atmosphäre.
Mit entmutigtem Tonfall erzählen sie uns, das einzige große Problem, das sie bedrücke, sei das Warten auf die Papiere. Sie setzen hinzu, dass sie sich abgeschrieben fühlen, ohne eigenes Leben. Sie geben sich Mühe, den Italienischkurs zu besuchen, doch ganze Tage zu verbringen, ohne etwas zu tun, ist sehr schwierig, sie schaffen es nicht mehr. Sie sind alle seit zwei Jahren in Italien. Nachdem sie über ein Jahr auf die Antwort der örtlichen Kommission gewartet haben, haben sie Widerspruch eingelegt gegen die Ablehnung ihres Asylgesuchs.
In der Küche der Wohnung treffen wir andere Jugendliche des Projekts. Als wir sie vor dem Herd sehen gehen wir davon aus, dass sie zum Kochen dort sind. Stattdessen entdecken wir, dass das Projekt einen Cateringdienst hat (Zubereitung durch eine Pizzeria/Restaurant im Ort), und dass die Bewohner*innen die Küche lediglich zum Erhitzen und Nachwürzen je nach Geschmack des bereits fertigen Essens nutzen können, das mittags und abends gebracht wird. Es sind dieselben Bewohner*innen, die uns erzählen, dass sie mehrere Male protestiert haben, weil sie die Gerichte selbst kochen möchten, da sie die extern zubereiteten nicht mögen. Sie zeigen viel Ärger, weil sie es nicht gerecht finden und die Gründe dieser Anweisung nicht verstehen: Sie behaupten, dass sie, um essen zu können, Lebensmittel mit ihrem Taschengeld kaufen, während das Catering-Essen verschwendet wird. Alle Bewohner*innen beschweren sich darüber, lediglich 40 Euro Taschengeld monatlich zu erhalten, und halten es für wenig, da sie es nutzen müssen, um Lebensmittel und Kleidung zu kaufen, und unter Berücksichtigung, dass in anderen Projekten die Höhe pro Gast auch das Doppelte erreicht. Der Mitarbeiter bestätigt die monatliche Höhe und unterstreicht, dass die Summe von 1,50 Euro täglich die in der Vereinbarung vorgesehene ist. Zum Thema Geld informieren uns die jungen Leute außerdem, dass die Berufspraktika nicht bezahlt würden, angesichts dessen, dass manche Bewohner*innen niemals Geld für Praktika erhalten haben, die bereits vor mehreren Monaten abgeschlossen wurden.
Sie alle erscheinen gut gekleidet, doch als wir sie darauf aufmerksam machen, betonen sie, dass sie gewohnt seien, diese vom eigenen Geld zu kaufen, dass sie seit vergangenem Herbst keine Kleidung erhalten haben, und präzisieren, dass wer im letzten September ins Projekt gekommen ist, noch niemals irgendeine Kleidung erhalten habe, ebensowenig bei der Ankunft.
An diesem Punkt bekommen wir die Erlaubnis, auch in die erste Wohnung hineinzugehen. Als wir die Treppe hoch gehen, befinden wir uns in einer Einrichtung ähnlich einer Jugendherberge: ein großer Gemeinschaftsraum, eine große Küche und einen einzigen großen Sanitärbereich, in dem 5 Duschen und 5 abgetrennte WCs sind. Im Küchenbereich finde ich verschiedene Jugendliche an den Kochplatten, die vor haben zu kochen. In Wirklichkeit braten sie lediglich Zwiebeln an, um daraufhin den fertigen Reis zuzubereiten, zusammen mit einem anderen gerade vom Cateringdienst gelieferten Gericht mit Fleisch und Tomaten.
Hier ist die Atmosphäre entspannter, doch auch diese jungen Leute sprechen frustriert und entmutigt vom endlosen Warten auf die Papiere. „Das ist kein Leben, essen und schlafen, wir verbringen unsere Zeit damit, an die Papiere zu denken, die nicht ankommen, und an unsere Situation, die sich nicht ändert.“ Sie sagen uns, dass sie Italienisch könnten, doch unsere Unterhaltung setzt sich auf Englisch fort. Unser Treffen endet damit, dass einer von ihnen sagt: „We have to create our futuro“ und „futuro“ ist das einzige Wort, das deutlich und klar auf Italienisch klingt.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicila Onlus
*SPRAR: Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis
Übersetzung aus dem Italienischen von Johannes Majoros-Danowski