Ein Besuch in der „Villa Sergio“ in Caltanissetta
„Villa Sergio“ ist eine der Einrichtungen , die vom Verein „Casa Rosetta“ getragen werden. Der Verein versammelt unter seinem Dach Anlaufstellen für verschiedene Zielgruppen: therapeutische Gemeinschaften, Wohnungen für Menschen mit Behinderung und Minderjährige, Wohnungen für Menschen mit HIV.
Jedes dieser Wohnprojekte funktoniert auf seine eigene Art, die durch die spezifische Eigenheit des Projekts, die Professionalität und Ausbildung des Personals und durch die Bewohner*innen bedingt ist.
Die „Villa Sergio“ – Namensgeber war ihr erster Bewohner – ist ein vom staatlichen Gesundheitsdienst anerkanntes Haus, in dem Menschen wohnen, die HIV positiv sind.
Durch eine Einladung der Leute, die mit Borderline Sicilia Verbindung aufgenommen hatten – die Einrichtung beherbergt manchmal auch Asylsuchende – bekamen wir die Möglichkeit, „Villa Sergio“ zu besichtigen. Es handelt sich um eine selbstverwaltete Gemeinschaft , die die aktive Mitbeteiligung der Bewohner*innen vorsieht, die direkt verantwortlich für das Funktionieren des Hauses in allen Bereichen sind: angefangen von der Verwaltung, über den Putzdienst, bis hin zur Zubereitung des Essens. Das Ziel von „Villa Sergio“ ist, den Bewohner*innen ihre Autonomie und ihre Integration in die Gesellschaft zu garantieren. Um es mit den Worten unserer Gesprächspartnerin dort auszudrücken: „Das Ziel dieser Gemeinschaft ist, Lebensumstände, die bedroht sind, aktiv aufrechtzuerhalten“.
Für jede*n Patient*in ist ein Bildungsprogramm vorgesehen, das sechs Punkte umfasst. Dieses soll ermöglichen, die eigene Identität im Dasein neu bestimmen zu können – einem Dasein , das durch Schwierigkeiten und Misserfolge in der Vergangenheit, durch den Verlust der menschlichen Kontakte und der gesellschaftlichen Position brüchig geworden war. Das Projekt zielt deshalb also vordringlich auf Wiedereingliederung und gesellschaftliche Teilhabe der Bewohner*innen ab.
So sind einerseits innerhalb des Hauses stattfindende Tätigkeiten vorgesehen, um die Selbstverwaltungsstruktur zu gewährleisten (es gibt eine Therapiegruppe, in der man die“Sprache der Gefühle“ neu erlernt und Konfliktbewältigungsstrategien erarbeitet sowie Gruppen, die sich um die Hausangelegenheiten kümmern). Andererseits gibt es auch Angebote außer Haus, die die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen sollen (Berufspraktika und Gemeinschaftsaktivitäten im Bereich Sport, es gibt Kino und Workshops, die Kreativität fördern, aber auch Entspannung bieten sollen. Diese werden von Vereinen oder Ehrenamtlichen vor Ort angeboten).
Das Team für die Grundversorgung der Gemeinschaft ist hoch spezialisiert und besteht aus: einem Direktor, einer ausgebildeten Erzieherin, die auf dem Gebiet Therapien, gesellschaftliche Wiedereingliederung und Verbesserung der Lebensqualität arbeitet, einer Erzieherin, die zuständig ist für die Gruppen, die die Arbeiten im Haus machen, einem Mitarbeiter, der im medizinisch-therapeutischen Bereich ausgebildet ist und einem Pfleger. Die psychologischen Hilfsdienste werden vom staatlichen Gesundheitsdienst übernommen.
Zur Zeit fehlt geschultes Personal für die Aufnahme von Geflüchteten, z.B. Personen, die sprachlich-kulturelle Vermittlung oder Rechtsberatung anbieten könnten. So kommt es, dass man sich bei der Organisation von Italienischkursen gut auf externe Strukturen stützen kann, aber bei den oben genannten Dienstleistungen auf zufällige und unregelmäßige Angebote zurückgreifen muß, die noch dazu von Willen und Fähigkeiten der Leute abhängen.
Auch die mögliche Aufnahme Asylsuchender in spezialisierte Zentren scheint eher dem „Zufall überlassen“. Tatsächlich ist es so – dies zeigen die Erfahrungen der Leute von „Villa Sergio“ – dass die Aufnahme eines Asylsuchenden mit HIV durch die Meldung der Wohnprojekte oder der Erstaufnahmezentren geschieht. Handeln diese sorgfältig oder haben schon Erfahrung im Umgang mit diesen besonderen Fällen, dann bemühen sie sich, die für die Aufnahme solcher Menschen geeignetsten Einrichtungen zu suchen und direkt zu kontaktieren. Wenn man Ermessensspielraum und Zufälligkeit im Umgang mit solch sensiblen Umständen betrachtet, stellt sich die Frage, was passiert, wenn dort, wo der/die Asylsuchende anfangs aufgenommen wird, keine Kenntnisse von dem bestehenden Netzwerk bestehen oder man sich nicht um die sofortige Spezialaufnahme bemüht – weil Kontakte, Wissen oder Willen fehlen.
So war z.B. der Amtsweg, der der jüngsten Aufnahme einer Asylsuchenden in „Villa Sergio“ vorausgegangen war, folgender: Als die Frau nach einer furchtbaren Überfahrt in Sizilien angekommen war, wurde sie in einem Frauenhaus aufgenommen. Sobald dort die Diagnose der Frau bekannt wurde, haben die Verantwortlichen mit „Villa Sergio“ Kontakt aufgenommen. Sie begleiteten die Betroffene auf ihren Wunsch hin in die „Villa Sergio“, um zu sehen, wie dort gearbeitet wird und um die Bewohner*innen und das Team kennenzulernen. Danach haben sie mithilfe der verschiedenen in diesem Fall zuständigen Stellen den Umzug in die „Villa Sergio“ auf den Weg gebracht.
Wir haben die Einladung, „Villa Sergio“ kennenzulernen deshalb angenommen, weil wir glauben, dass im Zusammenhang mit dem Mangel an geeigneten Aufnahmeplätzen für besonders Schutzbedürftige und aufgrund der ungenügend vorbereiteten und ungeeigneten Strukturen der öffentlichen Institutionen das Modell einer spezialisierten Einrichtung wie „Villa Sergio“ eine wesentliche Ressource sein kann.
Tatsächlich passiert es oft, dass die möglichen Pathologien der Asysuchenden nicht erkannt oder wenn, dann nur nachlässig behandelt werden- dies aufgrund der Umstände der Ankunft und der Aufnahme. Wir haben Kenntnis von vielen Fällen, in denen besonders Schutzbedürftige die ganze Vorlaufzeit ihres Aufenthaltes in überfüllten und völlig ungeeigneten staatlichen Aufnahmeeinrichtungen verbracht haben, in denen sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung nicht einmal kurz hätten sein dürfen.
Häufig passiert es auch, dass infolge der generell schlechten Vorbereitung, die für die Erstaufnahmestellen charakteristisch ist, die Betreiber die für die Aufnahme von schwer physisch oder mental erkrankten Menschen nötigen Informationen an dafür spezialisierte Zentren nicht weitergeben oder nicht wissen, dass sie das tun müssten (oder an wen). Oder es passiert, dass trotz der Bemühungen des Betreibers die Weiterleitung nicht ernstgenommen wird und gleichzeitig es auch nicht gelingt, eine angemessene Rückmeldung von den lokalen Stellen zu bekommen. Diese sind immer noch nicht darauf vorbereitet, sich um Fälle aus einem anderen Sprach- und Kulturkreis zu kümmern.
Deshalb halten wir es für wichtig auf unserem Blog auf die Existenz eines Projekts wie das der „Villa Sergio“ hinzuweisen und auf das Netzwerk CICA*, das alle Wohnprojekte für HIV-Positive umfasst; dies tun wir immer auch unter dem besonderen Hinweis, dass die Aufnahmestrukturen die Schutzkapazitäten für alle Asylsuchenden und vor allem für die besonders Schutzbedürftigen verstärken sollten.
Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia
*C.I.C.A. – Coordinamento Italiano delle Case Alloggio per persone con HIV/AIDS – Italienische Koordinierungsstelle für betreutes Wohnen für Menschen mit HIV
Übersetzung: Petra Schneider