Non è un film – Es ist kein Film

Wir möchten als Überschrift für diesen Blogbeitrag den Titel eines bekannten Liedes von Fiorella Mannoia nehmen, um die Anlandungen während des letzten Wochenendes auf Sizilien zu beschreiben – Landungen in fast allen Häfen der Insel, von Pozzallo bis Augusta, in Messina, Lampedusa und Palermo.

Die letzte Landung war am Samstag am Kai Puntone in Palermo, wo 712 Migrant*innen, die auf See von der italienischen Marine gerettet worden waren und anschließend vom norwegischen Schiff Siem Pilot (Palermo ist für dieses Schiff fast schon ein Heimathafen) hierhin gebracht wurden.

Es war die erste Landung in der sizilianischen Regionshaupstadt in diesem Jahr und es scheint, als wären sie dort außer Übung geraten. Der gesamte Aufnahmebetrieb war nicht in der Lage, den Migrant*innen passende Antworten zu liefern, die in einem kläglichen Zustand angekommen sind, vor allem was die Bekleidung betrifft.

Die Firma, die schon seit langem den Auftrag für die Ausstattung der ankommenden Migrant*innen mit Kleidung und Schuhen bekommen hat und auch in anderen Häfen Siziliens damit betraut wurde, war nicht ausreichend vorbereitet. Trainingsanzüge und warmen Jacke wurde nicht für alle Angekommenen bereitgestellt. Die Migrant*innen sind in die jeweiligen Busse eingestiegen, die sie in die Regionen Venetien, Lombardei, Emilia-Romagna, Toskana und Kampanien bringen sollten. Sie mussten in nassen, kurzen Shorts und T-Shirts, und nur mit Flipflops an den Füßen weiterreisen, die nur in ungenügender Zahl an der Anlegestelle verteilt wurden.

Im Bus Richtung Venetien ist ein Junge aus Gambia der erste Passagier. Er trägt den Cristiano Ronaldo-Trainingsanzug mit Stolz, obwohl er vor Kälte schlottert. Die anderen Passagiere sind alle viel zu leicht bekleidet. In Anbetracht dieses “Hakens an der Sache” hat die Präfektur unverzüglich die beauftragte Firma, Play Sport in Syrakus, dazu aufgefordert, passende Kleidungsstücke zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, dass die Migrant*innen nicht “erfrieren”. Unzählige junge Männer und vor allem Frauen sind an uns vorbeigekommen, die sichtlich von Erschöpfung und von der Gewalt gezeichnet sind, die sie vor ihrer Einschiffung in Libyen erlitten haben.

Was die Anlandung wie so oft noch zusätzlich erschwert hat, ist die große Zahl von unbegleiteten Minderjährigen. Angekündigt waren 68, tatsächlich aber sind 150 angekommen. Und so beginnt die Jagd nach einer Unterkunft für die unbegleiteten Minderjährigen. Wie immer stellt die Caritas Palermo eine kostenlose Notunterkunft zur Verfügung, wo die meisten von ihnen aufgenommen werden. Die Stadt Palermo hat dafür nicht die finanziellen Mittel. In der Rieseneinrichtung in Via Monfenera wurden weitere 100 unbegleitete Minderjährige aufgenommen und die anderen fanden in betreuten Wohngemeinschaften einen Platz. Schlussendlich fanden noch 25 unbegleitete Minderjährige im Centro San Carlo einen Platz, eine weitere Einrichtung der Caritas. Doch den Großteil der ersten Nacht haben die Jugendlichen im Polizeipräsidium verbracht, um die Identifizierungsprozedur zu durchlaufen. Trotz mangelnder Kleidung gegen die Kälte müssen sie im Freien in den Zelten vor den Büros warten – eine zu oft vorkommende Schikane.

Trotz allem erweist sich Palermo als ein gut funktionierender „Betrieb“, in dem viele etwas dazu beitragen können, die Ankunft der Migrant*innen so human wie möglich zu gestalten. Dennoch lässt die massive Präsenz von Frontexbeamt*innen in allen Phasen der Landung den Standard für die menschenwürdige Aufnahme der Geflüchteten tiefer sinken. Unmittelbar vor den Landeoperationen ist eine Mannschaft von 6-7 Leuten an Bord gegangen und hat langwierige Befragungen aufgenommen, die sich bis hinein in die Busse fortsetzen, ohne jeglichen Raum für Anderes zu lassen. Unzählige Männer und Frauen werden befragt, um die Schlepper auf den Titelseiten der Zeitungen zu denunzieren, um neue Reiserouten zu erfahren und um Informationen zu sammeln, um so schon den Beginn der Reisen verhindern zu können. Trotzdem diente all dies nur einer Vor-Identifikation der angekommenen Personen – kein mobiler Hotspot, keine Abnahme von Fingerabdrücken. Zusammen mit Frontex sind ein Team von EASO*, dem European Asylum Support Office, und das mobile Polizeieinsatzkommando von Palermo gut vertreten. Bei den Anlandungen beträgt das Verhältnis von Humanitären Organisationen zu den Kontroll- und Sicherheitsorganen drei zu fünfzehn. Ein Ausdruck der wahren Absichten der Europäischen Union – statt den Schutz der Menschen an Land zu gewährleisten, lässt man sie auf See sterben.

Auch auf Lampedusa haben in den letzten Tagen zwei Anlandungen stattgefunden. Am letzten Donnerstag kamen 400 und am Montag Abend 120 Personen an. Die Reisen übers Meer finden trotz schlechter Bedingungen zur See weiterhin statt.

Derzeit sitzen im ersten Hotspot Italiens in Contrada Imbriacola mehr als 600 Menschen fest, vermischt, ohne Rücksichtnahme auf diesbezügliche Bestimmungen. Ihre Versetzung verzögert sich um einige Tage, da die Fähre nach Porto Empedocle aus meteorologischen Gründen nicht ablegen kann.

Auf der Mole in Lampedusa wurde die Situation durch die Präsenz von Freiwilligen des Projektes Mediterranean Hope, der Caritas und Bürger*innen Lampedusas etwas erträglicher: sie bringen den Migrant*innen menschliche Wärme mit einem Lächeln, einem heißen Tee und warmen Decken gegen die Kälte. Aber auch in Lampedusa sind die Beamt*innen von Frontex präsent, mit ihrem fordernden Benehmen und respektlosen Verhalten gegenüber diesen Menschen.

Die 600 Migrant*innen, die im Hotspot untergebracht sind, halten sich tagsüber im Stadtzentrum auf. Am Abend kehren sie zurück in der Hoffnung auf ihre Versetzung. Das gleiche Schicksal erlitten schon frühere Bewohner*innen. Nachdem wir die Präsenz von zahlreichen unbegleiteten Minderjährigen und Migrant*innen seit November 2015 gemeldet hatten, ist der Hotspot damals geschlossen worden.

Bis heute sind einzig die drei mutmaßlichen Schlepper und die Zeug*innen transferiert worden: Erstere in Haft und die Zeug*innen in eine betreute Wohngemeinschaft.

Das Leben von Migrant*innen ist kein Film und das Happy End ist selten darin vorgesehen. Ein Beispiel ist einer unserer eritreischen Freunde, der nach langen Monaten auf Lampedusa in den HUB in Villa Sikania in Agrigent gebracht wurde. Dort soll er auf die Relocation* warten. Er wartet noch auf den Transfer in ein weiteres Zentrum in Italien, in Rom, um von dort nach Finnland gebracht zu werden.
Seine Zukunftspläne waren andere. Sein Film hätte anders enden sollen. Doch unser eritreischer Freund muss sich mit anderen Realitäten zufriedengeben, ja sogar zufrieden sein. Er wird von einem italienischen Zentrum ins andere geschickt (zur Freude der verschiedenen Betreiber, die an der gleichen Person Geld verdienen), bis er endlich den Flug nach Skandinavien antreten kann.

Alberto Biondo

Borderline Sicilia Onlus

*EASO European Asylum Support Office: Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen

*Relocation: Weiterreise zur Aufnahme in einem anderen europäischen Land

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne