Zurückgewiesen und festgehalten. Die Kurzschlüsse der Aufnahme in Sizilien

Artikel vom 21. Januar 2022

Die bereits bestehende Externalisierung der Grenzen und die neu geschaffenen, während der Pandemie eingeführten sanitären Grenzen führen zur absurden Sachlage, dass Menschen, die auf Sizilien ankommen, festgehalten werden. Sie haben keine Möglichkeit, aufgenommen zu werden oder, noch allgemeiner, sich zu bewegen.

Wir konnten mit zwei Gruppen von je vier jungen Männern aus dem Senegal in Kontakt treten, die im Dezember 2021 in Italien angekommen waren: eine Gruppe erreichte Lampedusa Anfang des Monats, die andere landete Ende Dezember an Bord der Geo Barents in Syrakus an. Alle acht jungen Männer haben nicht nur Verfolgung, Gewalt und Ausbeutung sowohl in ihrem Herkunftsland als auch in Libyen erlebt; sie sind zudem sehr jung, einer von ihnen ist minderjährig.

Es bestehen hier mindestens zwei unrechtmässige Sachverhalte: erstens die schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Asyl, denn bei der Ausschiffung aus dem Quarantäneschiff wurde keine Möglichkeit geboten, Schutz zu beantragen. Stattdessen wurde ihnen der Abschiebungsbescheid ausgehändigt mit der Anordnung, Italien innerhalb der nächsten sieben Tage zu verlassen. Aus ihren Berichten geht hervor, dass es an Bord der Quarantäneschiffe keinerlei rechtliche Informationen gab und dass sie nicht wussten, was geschah, als sie von Bord gingen und sie die Abschiebungsanordnung erhielten.

Der Grund dafür könnte darin liegen, dass sie als Personen aus dem Senegal, also aus einem „sicheren Drittstaat“, automatisch (jedoch rechtswidrig!) als nicht schutzberechtigt behandelt werden und darum nicht einmal über diese Option informiert wurden – wie dies auch bei anderen Staatsangehörigkeiten oft der Fall ist. Zweitens wurden keine Ermittlungen zu eventueller Schutzbedürftigkeit durchgeführt, allen voran der der Minderjährigkeit. Was die Vorgehensweise bei der Ermittlung und Meldung der Schutzbedürftigkeit anbelangt, so hat uns eine interne Quelle mitgeteilt, dass das Rote Kreuz angewiesen wurde, an Bord der Quarantäneschiffe keine Altersbestimmungen von Minderjährigen mehr vorzunehmen, wodurch die Anwesenheit von Minderjährigen und prekären Situationen an Bord faktisch legitimiert wird.

Zudem implizieren der fehlende Zugang zum Antrag auf Schutz und der Abschiebebescheid, dass es unmöglich ist, in einer Aufnahmeeinrichtung aufgenommen zu werden, denn es besteht die Verpflichtung, innerhalb der folgenden sieben Tage das Land eigenständig zu verlassen. Wie kann jemand das Land verlassen (von Rom aus, mit dem Flugzeug!) ohne geimpft zu sein, unter den jetzt geltenden Bestimmungen, in denen der Super Green Pass für Bus und Fähren obligatorisch ist?

Das ist der Kurzschluss, den die sanitären Grenzbestimmungen schaffen: Das Recht der Migrant*innen auf Bewegungsfreiheit wird aufgehoben und es wird als einzige Lösung zur Bekämpfung von Ansteckungen dargestellt. Diese sanitäre Maßnahme drängt die Menschen in die Illegalität. Denn ohne die Möglichkeit des Zugangs zum Gesundheitssystem, schafft die Anordnung noch mehr Gesundheitsrisiken.

Der zweite fragwürdige Sachverhalt betrifft die getroffenen Maßnahmen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Die Männer aus dem Senegal wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft auf Lampedusa im dortigen Hotspot geimpft, in einer Situation, in der es nicht möglich war, ihre tatsächliche Bereitschaft zur Impfung und das Bestehen von Vorerkrankungen abzuklären. Außerdem stellt sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Willkür: warum sind diejenigen, die auf Lampedusa an Land gingen, geimpft worden und warum erhielten die, welche in Syrakus mit dem Schiff Geo Barents ankamen, keine Impfung? Jede Möglichkeit, sich zu bewegen, ist für sie darum „illegal“.

Alle acht jungen Männer sind selbständig von Augusta nach Catania gereist, wo wir sie getroffen haben und in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und der senegalesischen Gemeinde unterstützen. Wir werden ihnen helfen, gegen den Abschiebungsentscheid Einspruch zu erheben und endlich den Antrag auf Schutz zu stellen, da sie diese Absicht, zusätzlich zu der des Aufenthalts in Italien, ausdrücklich geäußert haben.

Aber damit sind die Probleme noch nicht gelöst. Um nach der Anlandung in ein Aufnahmezentrum aufgenommen zu werden, muss eine Quarantäne von mindestens zehn Tagen eingehalten werden, die für Geimpfte auf fünf Tage reduziert werden kann und das, obwohl alle von ihnen bereits eine Quarantäne auf dem Schiff durchlaufen haben. Wenn es ihnen möglich gewesen wäre, internationalen Schutz bereits bei der Anlandung zu beantragen, wie es hätte sein sollen, wäre es kein Problem gewesen, sie im nationalen Aufnahmesystem aufzunehmen. Weil sie aber unrechtmässig abgewiesen worden waren, wird ihnen eine zweite Quarantäne auferlegt, und das an einem nicht näher bestimmten Ort, der im Aufnahmesystem nur sehr schwer zu finden ist.

Während der nächsten Tage war es der Stadtverwaltung von Catania nicht möglich, einen für die Quarantäne geeigneten Ort zu finden. Offenbar fehlen in der ganzen Provinz dafür geeignete Einrichtungen. Auch in der Provinz Syrakus befinden sich mindestens zehn Personen auf der Straße mit einem Abschiebungsentscheid (und von der Gemeinde organisierten Notmaßnahmen). Auch sie haben weder die Möglichkeit, sich „legal“ zu bewegen, noch institutionelle Unterstützung für ihre Unterbringung zu bekommen.

Im Klartext bedeutet das: die Möglichkeit der Unterstützung für eine Unterkunft, für juristische Beratung und logistische Begleitung hängt vom Glücksfall der Kontaktaufnahme mit solidarischen Organisationen ab, welche an ihrer Stelle mit den Widersprüchen, Mängeln und Untätigkeit der Institutionen kämpfen. Wir wissen, dass es weit mehr abgewiesene Personen gibt als diejenigen, mit denen wir in Kontakt kommen. Das hat zur Folge, dass viele sich bereits in den Netzwerken der Unsichtbarkeit und Ausbeutung bewegen, was durch die Pandemie weiter verschärft wird.

Im Übrigen haben wir es mit denselben unrechtmäßigen Praktiken zu tun, die wir schon seit Jahren verurteilen und die wir weiterhin anprangern (werden).

 

Borderline Sicilia

 

Aus dem Italienischen Übersetzt von Susanne Privitera